IV.
Ich will Das, was ich sage, deutlicher machen: Die Nahrung des Körpers, die für alle Glieder gemeinschaftlich gereicht wird, wird, falls sie bloß im Magen bleibt, dem Körper wie dem Magen fremd, wenn dieser sie nicht verdauen und in Nahrungssaft verwandeln kann. Wird sie hingegen gemeinschaftlich, so hat sowohl der Magen als jedes andere Glied Antheil daran. So ergeht es dir auch mit den Gütern: Genießest du dieselben allein, so verlierst S. 169 du sie, (denn du wirst keinen Lohn davon haben); wenn du aber davon Andern Antheil gewährst, dann sind sie mehr dein Eigenthum und dann wirst du davon einen Nutzen haben. Siehst du nicht, daß die Hände (dem Munde) dienen, der Mund (die Speisen) kaut und der Magen sie aufnimmt? Spricht wohl der Magen: Weil ich die Speisen aufgenommen, so muß ich auch Alles behalten? So darfst nun auch du in Betreff der Giiter nicht sprechen: Wer empfangen hat, ist verpflichtet mitzutheilen. Sowie es nun gefehlt ist, wenn der Magen alle Speisen behalten und davon Nichts mittheilen will, — er zerstört dadurch den ganzen Körper — so ist es auch gefehlt, wenn die Reichen Alles, was sie haben, für sich behalten wollen; denn dadurch verderben sie sich selber und Andere. Ebenso nimmt das Auge alles Licht auf, behält es aber nicht für sich allein, sondern erleuchtet den ganzen Körper; denn es liegt nicht in seiner Natur als Auge, das Licht für sich zu behalten. Auch die Nase, welche die Wohlgerüche empfindet, behält nicht alle für sich, sondern theilt sie auch dem Gehirne und dem Magen mit, und erquickt dadurch den ganzen Menschen.
Auch die Füße gehen allein, tragen aber nicht bloß sich selbst herum, sondern setzen den ganzen Leib in Bewegung. Darum sollst auch du, was dir gegeben ist, nicht allein behalten, weil du dadurch dem Ganzen schadest und dir selbst vor Allem. Das gilt aber nicht allein von den Gliedern (des Leibes). Denn auch der Eisenarbeiter, der die Frucht seiner Kunst Niemand mittheilen wollte, schadet sich und den übrigen Künsten. Ebenso der Schuhmacher, der Landmann, der Bäcker und Jeder, der ein unentbehrliches Gewerbe treibt, richtet nicht nur sich selbst, sondern auch Andere zu Grunde, wenn er diesen Nichts von seiner Kunst mittheilen will. Und was rede ich von den Reichen? Ja selbst die Armen würden, wenn sie euch, die ihr habsüchtig und reich seid, in euerem schlimmen Gebahren nachahmen wollten, euch den größten Schaden zufügen und euch bald S. 170 arm machen, ja, ganz zu Grunde richten, woferne sie euch von Dem, was ihr brauchet, Nichts zukommen ließen, z. B. der Bauer von der Arbeit seiner Hände, der Schiffer von den durch die Seefahrt gewonnenen Waaren, der Krieger von seiner Tapferkeit im Felde. So achtet doch wenigstens Dieses, wenn ihr auf nichts Anderes lebet, und ahmet das vernünftige Betragen jener Menschen nach. Du theilst von deinem Reichthume Niemanden mit? Dann sollst du auch von keinem Andern Etwas empfangen. Geschieht aber Das, so wird Alles umgekehrt: denn überall, beim Säen, in der Schule, bei Gewerben, ist Geben und Empfangen der Ursprung von vielem Guten. Denn will Jemand seine Kunst für sich behalten, so schadet er sich und der ganzen menschlichen Gesellschaft, und der Landmann, der seine Getreide zu Hause vergräbt und verwahrt, verursacht drückende Hungersnoth. So stürzt sich auch der Reiche, wenn er es mit seinem Gelde ebenso macht, noch vor dem Armen in’s Elend, indem er sich ein schrecklicheres Höllenfeuer bereitet. Wie also die Lehrer, selbst wenn sie viele Schüler haben, jedem ihre Kunst mittheilen: so laß auch du Viele an deinen Wohlthaten Theil nehmen, und alle mögen sprechen: Diesen hat er aus der Hungersnoth, Jenen aus Gefahren gerettet; um Jenen war es geschehen, wenn nebst der Gnade Gottes nicht du ihn geschützt hättest. Rühmen mögen sie, wie du den Einen von Krankheit befreit, den Andern vor Schmach bewahrt. Andere als Fremde beherbergt. Andere, die nackt waren, bekleidet habest. Diese Worte sind mehr werth als der größte Reichthum und unermeßliche Schätze, und erregen bei Allen mehr Bewunderung als goldgestickte Kleider, Pferde und Sklaven. Denn diese Dinge bewirken, daß du als ein lästiger Mensch, als ein gemeinschaftlicher Feind erscheinest; jenes aber, daß du wie ein Vater und Wohlthäter aller gerühmt wirst, und was das Größte ist, Gottes Wohlgefallen begleitet allüberall deine Handlungen. So möge denn der Eine sagen: Er hat meine Tochter ausgestattet; ein Anderer: Er hat gemacht, daß mein Sohn zum Manne geworden; wieder S. 171 ein Anderer: Er hat mich aus dem Unglück gerettet; ein Anderer: Er hat mich aus Gefahren befreit. Solche Reden sind eine größere Zierde als goldene Kronen, als unzählige Lobpreiser seiner Menschenfreundlichkeit in der Stadt zu haben. — Solche Stimmen sind viel lieblicher und angenehmer als die Stimme der Herolde, die vor den Obrigkeiten hergehen; denn sie preisen dich mit göttlichen Namen — Retter, Wohlthäter, Beschützer, nennen dich aber nicht Geizhals, Stolzer, Nimmersatt, Filz!
So laßt uns also, ich bitte euch, keinen dieser Namen verdienen, sondern das Gegentheil! Denn wo ferne diese schon auf Erden einen solchen Ruhm und Glanz mit sich bringen, so bedenke, welchen Ruhm, welche Herrlichkeit du erlangen wirst, wenn diese Namen im Himmel eingeschrieben sind, und Gott am Tage des Gerichtes dieselben bekannt macht! Möge uns allen diese Herrlichkeit zu Theil werden durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Herrschaft und Ehre jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
