V.
Mir scheint Das, was vom Sauerteige gesagt wird, vorzugsweise an die Priester gerichtet zu sein, welche in der Kirche viel alten Sauerteig dulden, indem sie nicht aus ihrem Gebiete d. h. aus der Kirche wegschaffen die Geizigen, die Räuber und Alles, was vom Himmelreich ausschließt. Der Geiz ist alter Sauerteig: wo immer er hinfällt, und in welches Haus er kommt, da verunreinigt er Alles; der kleinste Gewinn mit Unrecht verdirbt dir das ganze Vermögen. So hat oft ein kleines Unrecht den ehrlich erworbenen Wohlstand des Hauses untergraben. Nichts ist ansteckender als der Geiz; du magst deinen Schatz einschließen, mit Thüren und Riegeln verwahren. Alles umsonst! Du hast den Geiz, den ärgsten Räuber, der dir Alles wegnehmen kann, miteingeschlossen.
Wie aber, fragst du, wenn vielen Geizigen ein solches Schicksal nicht begegnet? Gewiß wird ihnen dieses begegnen, wenn auch nicht gleich; und wenn sie auch jetzt dem Unglück entrinnen, so fürckte um so mehr; denn sie werden für ein größeres aufgespart; ja sollten sie auch selber der Strafe entwischen, so werden ihre Erben dieselbe verbüßen. Aber wie, ist denn Das gerecht? fragt man. Ja, ganz gerecht; denn wer ungerechtes Gut geerbt hat, besitzt doch immer fremdes Eigenthum, wenn er es auch nicht selber geraubt hat; und weil er Das genau weiß, so ist es gerecht, daß er gestraft werde. Wenn Dieser oder Jener Etwas geraubt hätte und du es empfangen hättest und der Eigenthümer, dem es geraubt worden, erschiene und es zurückforderte: würde da die Entschuldigung, daß nicht du es geraubt hast, genügen? Sicherlich nicht. Sage mir, was würdest du antworten, wenn man dich darauf verklagte? Etwa, daß ein Anderer es geraubt? Aber du hast es doch im Besitz. Jener hat es geraubt, und du hast davon den Genuß. Das erkennen auch die bürgerlichen Gesetze an; denn sie wollen, daß man all sein Eigenthum von Dem zurückfordere, bei dem es gefunden wird, ohne sich an Diejenigen zu kehren, die es geraubt oder entwendet haben. Wenn du also Die- S. 253 jenigen kennst, denen Unrecht geschah, so erstatte es wieder und thue, was Zachäus gethan, der noch eine große Zulage gab; kennst du sie aber nicht, so will ich dir einen andern Weg zeigen und das Mittel, den Schaden wieder gut zu machen, dir nicht verschließen: vertheile Dieß alles unter die Armen, und so wirst du jenes Übel wieder gut machen. Wenn Einige solche Güter auf ihre Kinder und Enkel vererbten, so haben sie dafür anderswo zu büßen gehabt. Und was rede ich von dem gegenwärtigen Leben? Eine andere Sprache werden sie führen an jenem Tage, wenn sie beide, der Räuber und der Beraubte, nackt dastehen werden; doch sie werden nicht auf gleiche Weise in Nacktheit erscheinen: von Reichthümern werden sie zwar beide entblößt, der Eine aber zugleich mit Lastern, die daraus entstanden, bedeckt sein. Was wirst du denn anfangenan jenem Tage, wenn Derjenige, dem das Unrecht geschah, und der Alles verlor, vor den furchtbaren Rickterstuhl hintritt und du keinen Vertheidiger hast? Was wirst du denn dem Richter antworten? Hienieden kannst du wohl das Gericht der Menschen bestechen, jenes aber dort keineswegs, ja auch nicht einmal hier; denn jenes Gericht ist auch jetzt schon vorhanden: Gott schaut nämlich, was geschieht, und er ist, auch ungerufen, den Unrecht Leidenden nahe. Wenn auch der Unrecht Leidende es selbst nicht verdient, daß ihm Genugthuung werde, so wird Gott ihn doch sicherlich rächen, weil ihm das Geschehene mißfällt.
Warum, wirst du fragen, geht es denn manchem Ungerechten so wohl? Nicht bis zum Ende wird es so gehen. Höre, was der Prophet spricht: „Auf Bösewichter sei nicht eifersüchtig; denn schnell wie Gras werden sie verwelken!“1 Denn sage mir: wo ist nach seinem Tode der Räuber? Wo sind die glänzenden Hoffnungen? wo der berühmte Name? Ist nicht Alles vorüber? War nicht Alles, was ihm ge- S. 254 hörte, Traum und Schatten? Ebendieselbe Bewandtnis hat es mit jedem Ungerechten, sei es im Leben, sei es nach seinem Tode. Ganz anders aber verhält es sich mit den heiligen Männern: von diesen darf man nicht Dasselbe behaupten, daß Alles Traum und Schatten und Fabel gewesen. Und wenn du willst, so kann ich dir eben den Mann anführen, der Dieses gesagt hat, den Zeltmacher aus Cilicien, dessen Vater nicht einmal bekannt ist. Aber wie ist es möglich, heißt es, diesem ähnlich zu werden? Also verlangst du Das wirklich? Willst du durchaus ein solcher Mann werden? Ja freilich, sagst du. Nun so schlage denselben Weg ein, den er und Seinesgleichen gegangen. Und welchen Weg hat er eingeschlagen? Der Eine sagt: „In Hunger und Durst und Blöße;“2 der Andere: „Gold und Silber habe ich nicht.“3 So hatten sie Nichts und besaßen doch Alles.
