II.
Er erwähnt eines Ausdrucks, der sich im alten Bunde vorfindet, und gibt zugleich zu verstehen, daß Das für sie der größte Gewinn sei, da sie von einer so argen Pest befreit würden, und daß dieses Verfahren keine Neuerung sei, sondern daß schon jener alte Gesetzgeber es für angezeigt hielt, solche Menschen aus der Gemeinschaft der andern zu stoßen. Jedoch war die Strafe dort härter, hier aber milder. Daher möchte leicht Jemand die Frage aufwerfen, warum jenes Gesetz den Frevler bestrafte und steinigen ließ, dieses hingegen Nichts der Art gestattet, sondern ihn zur Buße beruft. Warum war denn dort eine andere und hier wieder eine andere Satzung? Aus folgenden zwei Gründen: erstens, weil die Christen, zu einem höhern Kampfe S. 262 berufen, größerer Langmuth bedürfen; zweitens und zwar vorzugsweise, weil diese durch die Buße von ihren Sünden sich leichter bekehren, jene hingegen sich in größere Laster hineinstürzen würden. Denn da sie in denselben Lastern fortfuhren, obwohl sie Andere vor sich gestraft sahen, so mußte Dieses noch mehr geschehen, wenn Niemand gestraft worden wäre. Darum werden doch Ehebrecher und Mörder auf der Stelle mit dem Tode bestraft; hier aber entgehen sie der Strafe, wenn sie sich durch Buße von der Sünde losmachen. Doch findet man auch im neuen Bunde strengere und im alten mildere Strafen, damit man aus Allem erkenne, daß die beiden Testamente mit einander verwandt sind und einen und denselben Gesetzgeber haben. In beiden gibt es Strafen, die dem Vergehen auf dem Fuße nachfolgen, und wiederum andere, die erst nach langer Zeit eintreten; ja wir finden, daß oft nach langer Zeit keine Strafe erfolgte und Gott sich mit der Buße begnügte. So ward im alten Bunde David, der sich des Ehebruches und Mordes schuldig gemacht, durch die Buße gerettet; und im neuen Testamente starb Ananias, der nur etwas Weniges von dem Preis seines Ackers verheimlichet hatte, mit seinem Weibe eines jähen Todes. Gibt es aber im alten Bunde mehr härtere, im neuen mehr mildere Strafen, so liegt der Grund dieses Unterschiedes im Unterschied der Personen.
Kap. VI.
1. Untersteht sich Jemand von euch, der einen Handel hat wider seinen Bruder, sich richten zu lassen bei den Ungerechten und nicht bei den Heiligen?
Hier rügt er abermals ausgemachte Fehler. Denn oben sagt er: „Überhaupt hört man von Unzucht unter euch,“ und hier: „Untersteht sich Jemand von euch?“ Damit gibt er gleich Anfangs seinen Unwillen zu erkennen S. 263 und zeigt, daß Dieses verwegen und gottlos sei. Und warum schaltet er hier die Rede ein gegen den Geiz und gegen die Streitsachen vor heidnischen Richtern? Um seinem Grundsatze treu zu bleiben. Denn es ist seine Gewohnheit, sie über Fehler zurechtzuweisen, von denen nebenbei die Rede ging, wie er zum Beispiel von den gemeinschaftlichen Mahlen redend zu den Geheimnissen den Übergang macht. So unterbricht er auch hier, nachdem er der Geizigen Erwähnung gethan, aus Eifer für die Bekehrung der Sünder die Ordnung der Rede, gibt dann wieder Zurechtweisung über einen Fehler, worauf ihn die Folge der Rede führte, und kehrt so zu dem Frühern zurück. Hören wir, was er nun hierüber sagt: „Untersteht sich Jemand von euch, der einen Handel hat wider seinen Bruder, sich richten zu lassen bei den Ungerechten und nicht bei den Heiligen?“ Einstweilen bedient er sich der bloßen Namen, um die Sache in ihrer Blöße darzustellen, sie zurechtzuweisen und davon abzumahnen. Anfangs verwirft er die Schlichtung von Streitsachen bei den Gläubigen nicht; aber nachdem er ihnen darüber ernstliche Vorwürfe gemacht, will er dergleichen Streitsachen gänzlich verbannt wissen. Er will sagen: Wenn durchaus gestritten sein muß, so ziemt es sich doch nicht, daß Dieses vor Ungerechten geschehe; übrigens sollte es unter euch gar keine Streitsachen geben! Doch Dieses sagt er erst später. Zuerst erklärt er nun, daß sie keine Streithändel vor den Heiden führen sollten. Ist denn Das nicht ungereimt, daß du, wenn ein Freund mit dir hadert, den Feind zum Friedensstifter erwählest? Wie? Du erröthest nicht? Du schämst dich nicht, daß ein Heide als Richter über einen Christen dasitzt? Wenn es schon unstatthaft ist, die Entscheidung über gewöhnliche Dinge den Heiden anzuvertrauen, wie dürfen wir sie über andere erhabenere Dinge zu Gericht sitzen lassen? Und siehe, wie er sich ausdrückt! Er sagt nicht: „von Ungläubigen,“ sondern: „von Ungerechten,“ durch welchen Ausdruck er seinen Zweck, sie davon abzuhalten und abwendig zu machen, besser erreicht. Weil von S. 264 Streitsachen die Rede ist und Diejenigen, die da rechten, Nichts so sehr wünschen, als daß die Richter strenge das Recht handhaben mögen, so mahnt er sie davon ab, indem er gleichsam sagen will: Was treibt dich, o Mensch, was beginnst du? Du erfährst gerade das Gegentheil von Dem, was du suchst, indem du, um zu deinem Rechte zu kommen, an Ungerechte dich wendest. Da ihnen aber die Mahnung, gar nicht zu rechten, anfänglich hart vorkommen konnte, so sagt er Dieses nicht gleich, sondern wechselt nur die Personen der Richter und läßt die Heiden in der Kirche auftreten. Da es aber ferner verächtlich erscheinen konnte, die Entscheidung ihrer Streitsachen den Mitchristen zu überlassen, und besonders zu jener Zeit (denn die Mehrzahl aus diesen waren unstudierte Leute, unbekannt mit dem Geschäftsgange und nicht gesetzkundig und redegewandt wie die heidnischen Richter); — sieh, wie er ihnen dadurch Achtung verschafft, daß er sie zuerst Heilige nennt. Weil aber Das wohl ein Zeugniß für ihre Sittenreinheit, aber nicht für ihre Fähigkeit zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen war, — so siehe, wie er auch diesen Punkt regelrecht abthut, indem er also spricht:
