7. Im Natrongebirge
In den Klöstern um Alexandrien blieb ich drei Jahre lang und verkehrte mit überaus edlen, eifrigen Männern, etwa zweitausend an Zahl. Von da ging ich in das Natrongebirge. Zwischen ihm und Alexandrien liegt der sogenannte Mareotissee, dessen Breite siebzig Meilen beträgt. Nachdem ich diesen durchsegelt hatte, kam ich in anderthalb Tagen an die Südseite jenes Gebirges; von dort erstreckt sich die große Wüste bis nach Äthiopien, an das Gebiet der Maziker und nach diesem Gebirge wohnen etwa fünftausend Männer. Sie leben nicht auf die nämliche Weise, sondern ein jeder so, wie er kann und will; darum ist jedem gestattet, allein zu bleiben oder zu zweit oder in großer Gesellschaft. Es gibt da sieben Bäckereien, die jenen Männern das Brot liefern und auch den Einsiedlern in der großen Wüste, sechshundert an Zahl. Ich blieb ein Jahr und schöpfte großen Gewinn aus dem Umgange mit den seligen Vätern Arsisius dem Großen, Putubastus, Asion, Kronius und Sarapion. Dann ging ich, durch die vielen Erzählungen der Väter angestachelt, mitten in die Wüste. Dort im Natrongebirge ist eine große Kirche, worin drei Palmbäume stehen. An jedem hängt eine Geißel. Eine davon ist für Mönche bestimmt, die sich etwas zu schulden kommen lassen; die zweite für Räuber, die vielleicht einbrechen; die dritte für andere Leute, die dahin S. 334 kommen. Wer in einer Weise fehlt, daß er Schläge verdient, muß den Palmbaum umfassen und erhält in solcher Stellung auf den Rücken die festgesetzte Zahl von Streichen. Dann wird er losgelassen. Neben der Kirche steht ein Hospiz; da findet jeder Fremdling Aufnahme, bis er freiwillig weiterzieht, auch wenn er zwei bis drei Jahre sich aufhält. Einen Tag der Woche läßt man ihn ohne Beschäftigung; während der übrigen wird er zur Arbeit verwendet in Garten, Bäckerei oder Küche. Wenn er des Lesens kundig ist, gibt man ihm ein Buch und gestattet ihm bis zur sechsten Stunde nicht, ein Gespräch mit jemand zu führen. Auf diesem Gebirge leben auch Ärzte und Kuchenbäcker. Auch trinkt man Wein und verkauft ihn. Eigenhändig webt ein jeder Leinwand und so leidet kein einziger Mangel. Um die neunte Stunde hört man aus allen Klöstern Psalmengesang erschallen, so daß man glaubt, in das Paradies entrückt zu sein. Zur Kirche kommen sie nur am Sabbat1 und Sonntag; acht Priester stehen ihr vor. Solange der erste Priester noch am Leben ist, opfert, predigt und richtet2 keiner aus den übrigen, sondern sie sitzen nur still an seiner Seite.
Den erwähnten Arsisius und viele der anderen Greise, die mit ihm zusammenlebten, haben wir persönlich gekannt; ihr Zeitgenosse war noch der selige Antonius gewesen. Auch erzählten sie, daß sie jenen Amun kannten, der im Natrongebirge war und dessen Seele Antonius von Engeln geleitet zum Himmel emporschweben sah. Dieser sagte, er habe auch noch Pachomius von Tabennä gesehen, einen prophetischen Mann, der Archimandrit über dreitausend Männer war. Von ihm will ich unten erzählen.