14. Paisius und Isaias.
PaÎsius und Isaias waren Brüder. Ihr Vater war ein Kaufmann, den der Handel bis nach Spanien führte.1 Nach seinem Tode teilten die Söhne, was an unbeweglicher Habe vorhanden war, desgleichen alles übrige: das Geld - fünftausend Goldstücke - die Kleider und Sklaven. Dann überlegten beide hin und her und einer sagte zu dem andern: "Bruder, welche Lebensart sollen wir nun erwählen? Widmen wir uns gleich unserem Vater dem kaufmännischen Berufe, so müssen wir Gefahren bestehen mit Räubern und auf dem Meere. Wohlan! Laß uns Mönche werden, damit wir den Erwerb des Vaters nicht verlieren, unsere Seelen aber gewinnen!" Und in der Tat entschlossen sich beide zum Mönchsleben, doch ein jeder auf grundverschiedene Weise. Denn der eine gab alles an Kirchen, Klöster und Gefängnisse, lernte sodann ein Handwerk, verdiente sich sein Brot S. 343 und übte sich in Abtötung und Gebet. Der zweite dagegen verschenkte nichts, sondern baute sich ein Kloster, zog einige Brüder bei, nahm jeden Fremdling auf, jeden Kranken, jeden Greis und jeden Armen und stellte jeden Sabbat und Sonntag drei Tische bereit, woran er die Dürftigen speiste. So verbrauchte dieser seine Habe.
Als nun beide starben, priesen die einen Brüder den einen, die andern den anderen selig, weil ja beide vollkommen gewesen seien. Als ob dieser Lobeserhebungen Zwiespalt entstand, gingen sie zu dem seligen Pambo und stellten ihm das Urteil anheim, wer von beiden der Größere sei. Pambo sagte: "Beide sind vollkommen. Der eine nämlich war in seinem Wandel ein Nachahmer Abrahams, der zweite des Elias".2 Da sagten die einen: "Wie sollen aber beide gleich sein können?" Sie gaben nämlich dem, der ein asketisches Leben führte, den Vorzug, denn er habe der evangelischen Mahnung gemäß alles verkauft, den Armen gegeben,3 zu jeder Stunde bei Tag und Nacht sein Kreuz auf sich genommen, sei dem Erlöser nachgefolgt4 und habe sich dem Gebete gewidmet. Die anderen wandten dagegen ein: "Der zweite war so barmherzig, daß er sich an die Straße setzte und die Notleidenden und Bedrängten in sein Haus führte; nicht für sich allein trug er Sorge, sondern auch für viele andere, denen er Hilfe bot und in kranken Tagen Pflege angedeihen ließ." Da gab der selige Pambo zur Antwort: "Ich sag' es euch nochmal: beide stehen auf gleicher Stufe. Die beiderseits angeführten Gründe muß ich gelten lassen. Hätte der eine nicht ein so strenges Leben geführt, so hielte man ihn des Vergleiches mit dem Edelmut des anderen nicht einmal wert; dieser dagegen hat Fremdlingen Barmherzigkeit erwiesen und dadurch selbst Barmherzigkeit erlangt; wenn er äußerlich die Bürde seines Reichtumes nicht wegwarf, hat er damit Verdienste gesammelt. Wartet einige Zeit, S. 344 bis ich Offenbarung erlange von Gott, dann kommet wieder und ihr sollet Bescheid erhalten!" Als sie nach einigen Tagen ihn aufsuchten, gab er auf ihre Frage zur Antwort: "Ich sah beide miteinander vor Gottes Angesicht im Paradiese stehen."
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Einen (xxx) nennt Ihn Palladius, wörtlich "Spanienläfer". Wir stellen uns den damaligen Weltverkehrmeist zu kleinlich vor. Die Grabschrift eines Kaufmannes zu Hierapolis In Phrygien meldet von diesem, daaß er zweiundsiebzigmal nach Italien kam. ↩
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Das tertium comparationis liegt das eine Mal In der Gastfreundschaft, das andere Mal Im Fasten und Beten, fern von der Welt. ↩
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Vgl. Lk 18,22. ↩
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Vgl. Lk 9,28; 14,27. ↩