26. Heron.
Ein gewisser Heron aus Alexandrien wohnte nahe bei mir. Er war ein junger Mann von feinen Formen, S. 376 verständig an Geist und tadellos im Wandel. Nachdem er strenge gelebt hatte, befiel ihn unbändiger Hochmut, so daß er mit Verachtung auf die Väter sah und sogar den seligen Euagrius schmähte mit den Worten: "Die deiner Lehre folgen, gehen irre; denn man darf keinen anderen Lehrer haben als Christum allein." Er drehte diese Stelle zugunsten seiner Torheit, indem er sagte: "Der Heiland selber hat den Ausspruch getan: Nennet niemand auf Erden Lehrer!"1 So weit geriet er in seiner Verblendung, daß man später auch ihm Ketten anlegen mußte, denn er weigerte sich, zu den Geheimnissen zu kommen. Doch die Wahrheit in Ehren! In so harter Abtötung lebte dieser Mann, daß er nach dem Zeugnisse jener, die mit ihm verkehrten, oft drei Monate lang nichts genoß, abgesehen von der Teilnahme an den Geheimnissen und wilden Kräutern, wenn er gelegentlich solche fand. Ich konnte mich selbst überzeugen von seiner Lebensweise, während ich mit dem seligen Albanius nach der sketischen Wüste ging. Diese lag vierzig Meilen von uns entfernt. Wir aßen zweimal auf dem ganzen Weg und tranken dreimal Wasser; Heron aber nahm nicht das mindeste, schritt wacker aus und sagte zudem fünfzehn Psalmen aus dem Gedächtnis auf, dann den Hebräerbrief, den Isaias, ein Stück aus Jeremias, dann das Evangelium des Lukas, dann die Sprichwörter. Trotzdem konnten wir kaum gleichen Schritt mit ihm halten. Zuletzt litt es ihn nicht mehr in seiner Zelle, gleichsam als ob er Feuer unter den Füßen habe. Durch Gottes Zulassung kam er infolgedessen nach Alexandrien. Da schlug er, wie man gewöhnlich sagt, den einen Nagel mit dem andern aus. Nun ergab er sich einem leichtsinnigen Lebenswandel, fand aber trotzdem später noch das Heil. Er hielt sich in Theater und Rennbahn auf und trieb sich in den Schenken herum. Dann ergab er sich der Unmäßigkeit in Speise und Trank und fiel in den Schmutz geschlechtlicher Leidenschaft. Eine Schauspielerin bot ihm willkommene Gelegenheit zur Sünde. Nun bekam er am Zeugeglied ein Geschwür und war sechs Monate lang so krank, daß seine Schamteile faulten und abfielen. Längere Zeit, nachdem er sie verloren hatte, genas er, ging in sich, begab sich in die Wüste zu den Vätern und bekannte diesen alles. Ein neues Leben zu beginnen war ihm unmöglich, denn er starb schon einige Tage darauf.
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Mt 23,8. ↩