70. Der verleumdete Lektor.
S. 437 Eine Jungfrau, die Tochter eines Priesters zu Cäsarea in Palästina, fiel in Sünde. Sie ließ sich zudem vom Verführer überreden, einen Lektor genannter Stadt zu beschuldigen. Schwanger geworden, gab sie dem eigenen Vater auf sein Befragen den Lektor an. Im guten Glauben teilte dieser es dem Bischofe mit, der sofort die Priesterschaft zusammenrief und auch den Lektor kommen ließ und verhörte. Der legte natürlich kein Geständnis ab; denn wie hätte er gestehen sollen, was er nicht getan? Da wurde der Bischof unwillig und sprach mit Strenge: „Gesteh', du elender und verworfener Mensch!“ Der Lektor gab zur Antwort: „Ich kann nur das eine sagen, daß ich ohne Schuld bin; ich habe niemals nur gedacht an diese. Wenn du jedoch die Wahrheit nicht hören willst gut, dann hab' ich es getan!“ Da setzte der Bischof ihn ab. Nun ging der Lektor zu ihm und sagte: „Wenn ich also gefehlt habe, so befiehl, daß sie mir zum Weibe gegeben werde; denn ich bin ja kein Kleriker mehr und sie keine Jungfrau.“ Nun meinten Bischof und Priester, das hätten beide verabredet, zudem könne man ihrem sündhaften Umgange doch kein anderes Ende bereiten. Und so gab man sie dem Lektor. Der brachte sie nach einem Frauenkloster und bat die Vorsteherin der Schwestern, sie zu behalten, bis sie geboren hätte. Nach kurzem erfüllten sich die Tage, daß sie gebären sollte. Schon kam die entscheidende Stunde heran.1 Die Wehen stellten sich ein; sie stöhnte vor Schmerz und sah die Geister des Abgrundes. Doch das Kind kam nicht. So verging ein Tag, dann der zweite, der dritte, zuletzt der siebente. Das Weib litt Höllenangst, konnte nicht essen und trinken, nicht schlafen und schrie beständig: „Wehe mir Elenden! Jetzt bin ich in Todesgefahr, weil ich den Lektor verleumdet habe.“ Das meldete man ihrem Vater; doch dieser war in Besorgnis, er werde nun ob falscher Anklage bestraft, und beschwichtigte deshalb zwei Tage die Frauen. Allein das Mädchen konnte nicht gebären und nicht sterben. Da die Nonnen ihr Geschrei nicht S. 438 mehr aushielten, lief man zum Bischof mit der Nachricht: „Sie schreit schon Tage lang und gesteht, daß sie den Lektor verleumdet hat.“ Der Bischof sandte sogleich Diakonen zum Lektor und diese sagten ihm offen heraus: „Du sollst beten für jene, die dich verleumdet hat, damit sie gebären kann!“ Doch er antwortete nicht und ließ die Türe zu wie seit dem Tage, wo er sich einschloß, um Gott anzuflehen. Da begab sich der Vater zum Bischof und in der Kirche wurde gebetet für sie; trotzdem konnte sie nicht gebären. Nun erhob sich der Bischof, begab sich selber zum Lektor, schlug an die Türe, trat hinein und sprach: „Steh' auf, Eustathius, und löse, was du gebunden!“ Sobald der Lektor zugleich mit dem Bischof das Knie beugte, gebar das Weib.
So mächtig war sein unablässiges Bitten und Flehen, daß die Verleumdung an das Licht gebracht und die Verleumderin gezüchtigt wurde. Das soll uns antreiben zur Ausdauer im Gebete; dann werden auch wir seine Kraft erfahren.
-
(xxx) - ganz unser Ausdruck: „Krisis.“ ↩