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Works John of Damascus (675-750) Expositio fidei Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens (BKV)
Zweites Buch

XI. KAPITEL. Vom Paradies.

Gott wollte den Menschen aus sichtbarer und unsichtbarer Natur nach seinem Bild und Gleichnis 1 wie einen König und Herrscher über die ganze Erde und ihre Dinge bilden. Darum errichtete er ihm zuvor gleichsam eine Königsburg, in der er wohnen 2 und ein ganz glückseliges Leben haben sollte. Dies ist das göttliche Paradies, von Gottes Händen in Eden gepflanzt, ein Vorratsort jeglicher Freude und Wonne — Eden bedeutet ja Üppigkeit3 —, gegen Aufgang höher als die ganze Erde S. 74 gelegen, gemäßigt und von feinster und reinster Luft umstrahlt, mit immergrünen Pflanzen bewachsen, von Wohlgeruch erfüllt, voll Licht, den Begriff aller sinnlichen Anmut und Schönheit übersteigend, ein wahrhaft göttlicher Ort, eine Wohnung würdig dessen, der nach Gottes Bild geschaffen ist. In ihm wohnte kein unvernünftiges Wesen, sondern nur der Mensch, das Gebilde der göttlichen Hände.

Mitten in diesem pflanzte er (═ Gott) den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis 4. Den Baum der Erkenntnis als eine Versuchung, Erprobung und Übung des Gehorsams und Ungehorsams des Menschen. Darum heißt er auch Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen 5 oder [er heißt Baum der Erkenntnis], weil er denen, die davon nahmen, die Kraft gab, ihre eigene Natur zu erkennen. Das ist zwar gut für die Vollkommenen, schlecht aber für die weniger Vollkommenen und „allzu Gierigen, wie feste Speise für die noch Zarten und Milchbedürftigen 6“. Denn Gott, der uns erschaffen, wollte nicht, daß wir in Sorge und Unruhe um vielerlei sind 7 und uns um unser Leben härmen und kümmern. Das eben ist gerade auch bei Adam der Fall gewesen. Denn als er gekostet, erkannte er, daß er nackt war, und er machte sich eine Schürze, er umgürtete sich mit Feigenblättern 8. Vor dem Genusse waren „beide nackt, Adam wie Eva, und sie schämten sich nicht 9“. Gott wollte, daß wir so leidenschaftslos seien — denn das ist ein Zeichen höchster Leidenschaftslosigkeit —, außerdem auch noch sorglos, daß wir nur eine Beschäftigung haben, nämlich die der Engel, unaufhörlich und unablässig den Schöpfer zu preisen und in seiner Anschauung zu schwelgen und auf ihn unsere Sorge zu werfen. Das ließ er auch frei und offen durch den Propheten David uns verkünden. „Wirf auf den Herrn deine Sorge“, sagt S. 75 er, „und er wird dich erhalten 10“. Und in den Evangelien spricht er, seine Jünger belehrend: „Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen, noch für euren Leib, was ihr anziehen werdet 11.“ Und wiederum: „Suchet das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles wird euch dazugegeben werden 12.“ Und zu Martha: „Martha, Martha, du machst dir Sorge und Unruhe um vielerlei: Eines nur ist not. Maria hat den besten Teil erwählt, der ihr nicht wird genommen werden 13“ — insofern sie nämlich zu seinen Füßen saß und auf seine Worte hörte.

Der Baum des Lebens war ein Baum, der lebenspendende Kraft besaß, oder von dem nur die des Lebens Würdigen und dem Tode nicht Unterworfenen essen konnten. Einige nun stellten sich das Paradies sinnlich vor, andere geistig 14. Meine Ansicht jedoch ist die: Wie der Mensch sinnlich und geistig zugleich erschaffen worden war, so war auch dessen hochheiliger Tempel sinnlich und geistig zugleich, er hatte somit eine doppelte Seite. Denn mit dem Leibe wohnte er, wie erwähnt, an dem hochgöttlichen, über die Maßen schönen Orte. Mit der Seele aber weilte er an einem noch erhabeneren und schöneren Orte. Er hatte ja Gott, der in ihm wohnte, zum Tempel, er war sein herrliches Gewand, er war mit seiner Gnade bekleidet, er erfreute sich wie irgendein anderer Engel seiner Anschauung, der einen, süßesten Frucht. Von dieser nährte er sich: Das eben heißt doch ganz entsprechend Baum des Lebens. Denn die süße Teilnahme an Gott verleiht denen, die sie genießen, ein S. 76 Leben, das vom Tode nicht zerschlagen wird. Das eben hat Gott auch „alle Bäume“ genannt, da er sprach: „Von allen Bäumen im Paradiese mögt ihr essen 15.“ Denn er selbst ist alles, in ihm und durch ihn besteht alles.

Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber ist die praktische Wertung der theoretischen Kenntnis, d. i. die Erkenntnis der eigenen Natur. Sie ist gut für die Vollkommenen und in der göttlichen Erkenntnis Fortgeschrittenen. Sie verkündet ja aus sich selbst die Größe des Schöpfers denen, die keinen Fall befürchten, weil sie es mit der Zeit zu einer gewissen Fertigkeit in solcher Erkenntnis gebracht haben. Nicht gut aber [ist sie] für die noch Jungen und „allzu Gierigen 16“. Denn da sie im Besseren noch nicht kräftig verharren, und das eine Gute noch nicht fest bei ihnen sitzt, pflegt die Sorge um ihren Leib sie auf ihre Seite zu ziehen und zu zerstreuen.

So ist, wie ich glaube, das Paradies zweifach (═ sinnlich und geistig) gewesen. Und in der Tat, das ist die Überlieferung der Väter, die Gott in sich getragen, mögen sie nun so oder so gelehrt haben. Man kann ferner unter „allen Bäumen“ die Erkenntnis der göttlichen Macht verstehen, die man aus den Geschöpfen gewinnt, wie der göttliche Apostel sagt: „Denn sein unsichtbares Wesen wird seit der Weltschöpfung in den Geschöpfen mit geistigem Auge geschaut 17.“ Erhabener jedoch als all diese Erkenntnisse und Betrachtungen ist die unserer selbst, d. h. die unserer Zusammensetzung (Natur), wie der göttliche David sagt: „Wunderbar ist deine Erkenntnis aus mir 18“, d. i. aus meinem Bau. Gefährlich aber war diese für Adam, da er noch ein Neuling war, aus den Gründen, die wir angeführt.

Oder [man kann] unter dem Baume des Lebens die Gotteserkenntnis, die aus allen sinnlichen Dingen zustandekommt, und die durch sie bewirkte Hinführung zum Schöpfer und Bildner und Urheber aller Dinge S. 77 [verstehen]. Das nannte er auch „alle Bäume“ und meinte damit das Volle und Ungeteilte und die bleibende Teilnahme am Guten. Unter dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber die sinnliche und ergötzende Speise, die scheinbar süß ist, in Wirklichkeit aber den, der davon nimmt, mit Übeln in Verbindung bringt. Denn Gott sprach: „Von allen Bäumen im Paradiese magst du essen 19.“ Damit, glaube ich, sagte er: Durch alle Geschöpfe erhebe dich zu mir, dem Schöpfer, und pflücke von allen eine Frucht, mich, „das wahre Leben 20“, alles soll dir Lebensfrucht bringen, und die Teilnahme an mir mache zu deinem Daseinsbestand. Denn so wirst du unsterblich sein. „Vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber, von dem sollt ihr nicht essen. An dem Tage nämlich, da ihr davon esset, werdet ihr des Todes sterben 21.“ Denn naturgemäß ist die sinnliche Speise die Ergänzung des Abgangs und gelangt in den Abort 22 und zur Vernichtung. Und so kann unmöglich unvergänglich bleiben, wer die sinnliche Speise genießt.


  1. Vgl. Gen. 1, 26. ↩

  2. Severian von Gabala (Or. VI, 1 Migne, P. gr. 56, 484) nennt das Paradies einen „königlichen Herrschaftssitz“ βασιλικὸν καὶ δεσποτικὸν ἐνδιαίτημα [basilikon kai despotikon endiaitēma]. Zellinger, a. a. O. S. 105. ↩

  3. τρυφή [tryphē]. So übersetzen das hebräische Wort Eden, wie Zellinger (a. a. O. S. 101) bemerkt, bereits Philo (De Cherub. 12. Ed Cohn I, 172―173), Theophilus von Antiochien (Ad Autol. II, 24. J.C.Th. Otto, Corpus Apolog. christ. saec. secundi VIII [Jenae 1861] 122), Klemens von Alexandrien (Strom. II c. XI, 51, ed. Stählin II (Leipzig 1906) 140), Severian von Gabala (Or. V, 5 Migne, P. gr. 56, 477) u. a. ↩

  4. Gen. 2, 9. ↩

  5. Ebd. [Gen. 2, 9]. ↩

  6. Greg. Naz., Or. 38, 12 (Migne, P. gr. 36, 324 C). Vgl. Hebr. 5, 12—14. ↩

  7. Vgl. Luk. 10, 41. ↩

  8. Gen. 3, 7. ↩

  9. Ebd. [Gen.] 2, 25. ↩

  10. Ps. 54, 23 [hebr. Ps. 55, 23]. ↩

  11. Matth. 6, 25. ↩

  12. Ebd. [Matth.] 6, 33. ↩

  13. Luk. 10, 41 f. ↩

  14. Die syrisch-antiochenische Schule faßte im Gegensatz zur alexandrinischen das Paradies als eine konkrete Gegend unserer Erde. Severian von Gabala, ein Vertreter der antiochenischen Richtung, bekämpft scharf die von Philo (Legum allegor. I, 14. Philonis Alexandrini opera I, ed. L. Cohn, Berolini 1896, 71—72) eingeleitete allegoristische Paradieseserklärung der alexandrinischen Exegese: „Schämen sollen sich die Allegoristen, die sagen, das Paradies sei im Himmel und geistig“ (Or. VI, 7 Migne, P. gr. 56, 492. Zellinger, a. a. O. S. 99 f. ↩

  15. Vgl. Gen. 2, 16. ↩

  16. Greg. Naz., Or. 38, 12 (Migne, P. gr. 36, 324 C). ↩

  17. Röm. 1, 20. ↩

  18. Ps. 138, 6 [hebr. Ps. 139, 6]. ↩

  19. Gen. 2, 16. ↩

  20. 1 Tim. 6, 19. ↩

  21. Vgl. Gen. 2, 17. ↩

  22. Vgl. Matth. 15, 17; Mark. 7, 19. ↩

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