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The Enchiridion
Chapter 80.--Sins, However Great and Detestable, Seem Trivial When We are Accustomed to Them.
Add to this, that sins, however great and detestable they may be, are looked upon as trivial, or as not sins at all, when men get accustomed to them; and so far does this go, that such sins are not only not concealed, but are boasted of, and published far and wide; and thus, as it is written, "The wicked boasteth of his heart's desire, and blesseth the covetous, whom the Lord abhorreth." 1 Iniquity of this kind is in Scripture called a cry. You have an instance in the prophet Isaiah, in the case of the evil vineyard: "He looked for judgment, but behold oppression; for righteousness, but behold a cry." 2 Whence also the expression in Genesis: "The cry of Sodom and Gomorrah is great," 3 because in these cities crimes were not only not punished, but were openly committed, as if under the protection of the law. And so in our own times: many forms of sin, though not just the same as those of Sodom and Gomorrah, are now so openly and habitually practised, that not only dare we not excommunicate a layman, we dare not even degrade a clergyman, for the commission of them. So that when, a few years ago, I was expounding the Epistle to the Galatians, in commenting on that very place where the apostle says, "I am afraid of you, lest I have bestowed labor upon you in vain," I was compelled to exclaim, "Woe to the sins of men! for it is only when we are not accustomed to them that we shrink from them: when once we are accustomed to them, though the blood of the Son of God was poured out to wash them away, though they are so great that the kingdom of God is wholly shut against them, constant familiarity leads to the toleration of them all, and habitual toleration leads to the practice of many of them. And grant, O Lord, that we may not come to practise all that we have not the power to hinder." But I shall see whether the extravagance of grief did not betray me into rashness of speech.
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Enchiridion oder Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe (BKV)
80.
Dazu kommt dann noch, daß an sich große und schreckliche Sünden nur mehr für kleine oder gleich für gar keine Sünden mehr gehalten werden, wenn sie einmal zur Gewohnheit geworden sind. Und das kann soweit gehen, daß man es gar nicht mehr für notwendig hält, sie geheim zu halten, sondern sie sogar noch weitererzählen und ausbreiten zu dürfen glaubt, weil sich ja, wie geschrieben steht, „der Sünder der Lüste seines Herzens rühmt und der Übeltäter sich glücklich preist1“. Eine derartige Ruchlosigkeit wird in der Heiligen Schrift mit dem Worte „Geschrei“ bezeichnet. So heißt es beim Propheten Isaias von dem schlechten Weinberg: „Ich hoffte, daß er Recht übte, S. 468 aber er übte Unrecht; nicht Gerechtigkeit (übte er), sondern (er erhob) Geschrei2.“ In demselben Sinn heißt es in der Genesis: „Das Geschrei von Sodoma und Gomorrha ist groß geworden3,“ weil die Bewohner dieser Städte nicht nur an sich jene berüchtigten Schandtaten nicht straften, sondern sie sogar öffentlich, gleichsam wie gesetzlich erlaubte Taten, zu üben pflegten. Ebenso sind auch heutzutage gar viele, wenn auch nicht gerade derartig abscheuliche Sünden schon so sehr zur offenen Gewohnheit geworden, daß wir aus diesem Grund keinen Kleriker mehr zu degradieren und erst recht keinen Laien mehr zu exkommunizieren wagen dürfen. So mußte ich selbst vor etlichen Jahren bei der Auslegung des Galaterbriefes an der Stelle, wo der Apostel sagt: „Da muß ich allerdings besorgen, mich vergeblich um auch abgemüht zu haben4“, ausrufen: „Wehe über die Sünden der Menschen, die wir bloß mehr dann verabscheuen, wenn sie uns noch ungewohnt sind; sind aber diese Sünden, für deren Austilgung das Blut des Sohnes Gottes geflossen ist, einmal zur öffentlichen Gewohnheit geworden, so müssen wir nur zu häufig einfach ruhig zusehen und sie geschehen lassen, selbst wenn sich das Reich Gottes wegen ihrer Bosheit unbedingt vor ihnen verschließt, ja manche dadurch, daß wir sie geschehen lassen, geradezu selbst tun5!“ O Gott, möchten doch nicht alle Sünden, die wir nicht verhindern konnten, unsere eigene Tat sein! Doch es wird sich ja einst zeigen, ob mich vielleicht ein unmäßiger Schmerz etwa zu irgendeiner Übertreibung hingerissen hat.