Kap. 9. Fast noch schlimmer sieht es im Privatleben aus, wo sich die Unzucht in allen Formen breit macht.
O könntest du erst, auf jener hohen Warte stehend, mit deinen Augen ins Verborgene dringen, könntest du doch die verschlossenen Türen der Schlafgemächer aufschließen und die geheimen Räume im Inneren dem forschenden Blick der Augen eröffnen! Da würdest du sehen, wie von Unzüchtigen Taten begangen werden, die ein Mensch mit keuscher Stirne nicht einmal mit anzuschauen vermag. Dinge würdest du sehen, deren Anblick schon ein Verbrechen ist, Dinge, deren Verübung die von der Raserei des Lasters Betörten ableugnen, um sie doch eiligst wieder zu verüben. In toller Lust stürzen sich Männer auf Männer; Untaten geschehen, die nicht einmal denen gefallen können, die sie begehen. Ein Lügner will ich sein, wenn ein solcher Unmensch nicht auch noch auf andere schilt: trotz der eigenen Ruchlosigkeit beschimpft er andere Ruchlose und trotz seiner Schuld glaubt er entronnen zu sein, als ob nicht schon das Schuldbewußtsein genügte. Die gleichen Menschen sind in der Öffentlichkeit die Ankläger, im geheimen die Angeklagten; sich selbst gegenüber stehen sie als die Richter und zugleich als die Schuldigen da. Sie verurteilen draußen, was sie drinnen selbst tun; sie begehen unbedenklich, was sie nach der Tat selbst verdammen. Eine Vermessenheit fürwahr, die es mit dem Laster hält, eine Schamlosigkeit, wie sie nur Zuchtlosen zukommt! Wundere dich nur gar nicht über das, was solche Leute reden! Was von ihrem Munde in Worten gesündigt wird, ist noch das geringere Übel1 .
-
Vgl. Röm. 1, 26 f. ↩