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Vita Sancti Martini
Severus Desiderio fratri karissimo.
(1) Ego quidem, frater unanimis, libellum quem de uita sancti Martini scripseram, scheda sua premere et intra domesticos parietes cohibere decreueram, quia, ut sum natura infirmissimus, iudicia humana uitabam, ne, quod fore arbitror, sermo incultior legentibus displiceret omniumque reprehensionis dignissimus iudicarer, qui materiem disertis merito scriptoribus reseruandam inpudens occupassem: sed petenti tibi saepius negare non potui. Quid enim esset, quod non amori tuo uel cum detrimento mei pudoris inpenderem? (2) Verumtamen ea tibi fiducia libellum edidi, qua nulli a te prodendum reor, quia id spopondisti. Sed uereor, ne tu ei ianua sis futurus, et emissus semel reuocari non queat. (3) Quod si acciderit et ab aliquibus eum legi uideris, bona uenia id a lectoribus postulabis, ut res potius quam uerba perpendant et aequo animo ferant, si aures eorum uitiosus forsitan sermo perculerit, quia regnum Dei non in eloquentia, sed in fide constat. (4) Meminerint etiam, salutem saeculo non ab oratoribus, cum utique, si utile fuisset, id quoque Dominus praestare potuisset, sed a piscatoribus praedicatam esse. (5) Ego enim, cum primum animum ad scribendum appuli, quia nefas putarem tanti uiri latere uirtutes, apud me ipse decidi, ut soloecismis non erubescerem: quia nec magnam istarum umquam rerum scientiam contigissem, et si quid ex his studiis olim fortasse libassem, totum id desuetudine tanti temporis perdidissem. (6) Sed tamen ne nos maneat tam molesta defensio, suppresso, si tibi uidetur, nomine libellus edatur. Quod ut fieri ualeat, titulum frontis erade, ut muta sit pagina et, quod sufficit, loquatur materiam, non loquatur auctorem.
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Leben des heiligen Bekennerbischofs Martinus von Tours (BKV)
Prolog
An Desiderius, meinen geliebten Bruder, Severus.
S. 17Liebtrauter Bruder, ich hatte mir allerdings vorgenommen, mein Büchlein über das Leben des hl. Martinus in der ersten Niederschrift zu belassen und innerhalb der vier Wände meines Hauses zu behalten. Bei meinem etwas empfindsamen Gemüte wollte ich dem Urteile der Menschen aus dem Wege gehen, wollte nicht, wie ich es befürchten mußte, durch meine weniger feine Ausdrucksweise das Mißbehagen der Leser wachrufen und mir von allen berechtigten Tadel zuziehen, daß ich mich allzu kühn an einen Stoff gemacht habe, an den sich eigentlich nur gewandte Schriftsteller wagen dürften. Allein ich konnte deiner so oft wiederholten Bitte nicht widerstehen. Welches Opfer würde ich nicht der Liebe zu dir bringen, selbst auf die Gefahr hin, meiner Ehre nahezutreten? Ich liefere dir nun das Büchlein aus in der festen Zuversicht, du werdest keinem Menschen etwas davon verlauten lassen. So hast du es ja feierlich versprochen. Allein ich fürchte, du möchtest dem Buche zur Türe werden, und ist es einmal draußen, so kann man es nicht mehr zurückrufen1 . Kommt es so und solltest du sehen, daß das Buch manche Leser findet, so tu mir den Gefallen und bitte sie, sie möchten mehr auf den Inhalt als auf die Form achten; sie möchten es mit Gleichmut über sich ergehen lassen, wenn etwa ein fehlerhafter Ausdruck an ihr Ohr dringen sollte. Das Reich Gottes besteht ja doch S. 18nicht in schön gefeilter Rede2 , sondern im Glauben. Sie sollten auch bedenken, daß schlichte Fischer3 der Welt das Evangelium verkündet haben, nicht geschulte Redner, wenngleich es Gott, wäre es von Nutzen gewesen, auch so hätte fügen können. Ich hielt es eben für unrecht, die Tugenden eines solchen Mannes im verborgenen zu lassen. Deshalb war ich mir, sobald ich mich zum Schreiben entschlossen hatte4 , darüber klar, selbst vor Verstößen gegen die Grammatik dürfe ich nicht zurückschrecken. Ich habe mir ja in dieser Kunst nie besondere Fertigkeit erworben. Was ich mir aber vielleicht durch derlei Studien dereinst notdürftig angeeignet, das habe ich während so langer Zeit aus Mangel an Übung gänzlich verlernt. Damit uns jedoch eine so lästige Rechtfertigung erspart bleibe, soll das Büchlein, wenn du damit einverstanden bist, ohne Namen des Verfassers erscheinen. Um das zu ermöglichen, tilge den Titel an der Spitze. Das Titelblatt soll stumm bleiben, oder doch nur vom Inhalte — das genügt —, nicht aber vom Verfasser reden.