16. Die Strenge und die Güte Gottes verfehlen bei uns ihren Zweck
Dies alles habe ich ein wenig ausführlicher dargelegt, um zu beweisen, daß wir alle unser Unglück nicht wegen der fehlenden Fürsorge und wegen der Nachlässigkeit Gottes erlitten, sondern nach Recht und Gerechtigkeit, nach seinem Richterspruch, als billigen Ausgleich und vollauf gebührende Wiedervergeltung; daß ferner kein Teil des römischen Reiches oder des römischen Volkes, durch irgendwelche, wenn auch noch so heftige Schläge des Himmels getroffen, jemals sich gebessert hat. Und S. 208 deshalb verdienen wir keineswegs, ein Glück zu genießen, weil wir uns durch Unglück nicht bessern. Aber trotz unserer Unwürdigkeit wird uns bisweilen auch Gutes geschenkt, weil der gütige Herr wie ein verzeihender Vater uns zwar manchmal für unsere Sünden gedemütigt werden, aber doch nicht lange niedergeschlagen sein läßt, und die Seinigen bald um der Zucht willen mit Unglück schlägt, bald in seiner Nachsicht ihnen Ruhe gewährt. Die besten und erfahrensten Ärzte lassen den mit verschiedenen Krankheiten Behafteten verschiedene Heilmethoden angedeihen: den einen helfen sie durch süße Medizinen, den anderen durch bittere; die einen heilen sie durch Ausbrennen mit heißen Eisen, die anderen durch weiche, lindernde Umschläge; die einen schneiden sie mit harten Eisen, die andern beträufeln sie mit angenehmem, mildem Öl; und trotz der großen Verschiedenheit der Heilmittel wird immer das gleiche, die Gesundheit, angestrebt. So macht es auch unser Gott: wenn er uns manchmal durch strengere Strafen im Zaume hält, so behandelt er uns gleichsam mit Brenneisen und Operationsmesser; wenn er uns aber wieder glücklichere Tage schenkt, dann tröstet er uns gewissermaßen durch das Öl und lindernde Umschläge. Durch verschiedene Heilmittel will er uns zu ein und derselben Gesundheit führen. Auch die nichtsnutzigsten Sklaven, die schwere Strafen nicht bessern, pflegen gütige Worte zu bekehren; und die sich durch Schläge ihren Herren nicht unterworfen haben, unterwerfen sich auf Wohltaten hin. Auch die Kinder und fast alle trotzigen Buben, welche Drohungen und Stockhiebe nicht artig machen, bringen bisweilen Spielzeug und freundliche Worte zum Gehorsam. Daraus müssen wir ersehen, daß wir schlechter sind als die schlechtesten Sklaven und törichter als die unvernünftigen Kinder, da uns weder Foltern bessern wie die schlechten Sklaven, noch Schmeicheleien bekehren wie die kleinen Kinder. S. 209