2. Der Nutzen der Klugheit wird aus der Unterredung mit dem Abte Antonius bewiesen.
Ich erinnere mich also, daß einst in meinen Knabenjahren in jener Gegend der Thebais, wo der hl. Antonius wohnte, die Väter zu ihm kamen, um nach Vollkommenheit zu forschen, und daß bei der Unterredung, die von den Abendstunden bis zum Morgenlicht sich ausgedehnt hatte, diese Frage den größten Theil der Nacht wegnahm. Denn sehr lange wurde untersucht, welche Tugend oder Übung den Mönch bei den Fallstricken und Täuschungen des Teufels immer unverletzt bewahren oder wenigstens auf dem rechten Pfad und mit festem Schritt zum Gipfel der Vollkommenheit führen könnte. Da brachte nun Jeder nach seiner Einsicht eine Meinung vor, und die Einen setzten Das in den Eifer der Fasten und Nachtwachen, weil der hiedurch ernüchterte Geist, der die Reinheit des Herzens und Körpers erlangt habe, sich leichter mit Gott eine; — die Andern in die Hingabe und Verachtung aller Dinge, von denen völlig entblößt der Geist, weil ihn keine Fesseln mehr zurückhalten, ungehinderter zu Gott kommen könne; — wieder Andere hielten die Anachoresis für nothwendig, das ist die Einsamkeit und die Stille der Wüste; denn wer hier weile, könne Gott vertraulicher anstehen und ihm besonders anhangen; Einige meinten, daß die Werke der Liebe d. i. der Barmherzigkeit zu üben seien, da diesen der Herr im Evangelium ganz besonders das Himmelreich versprochen habe, da er sagte: „Kommet, ihr Gesegnete meines Vaters, nehmet das Reich in Besitz, das euch von Gründung der Welt an bereitet wurde: denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken“ &c. Als sie nun auf diese Weise verschiedene Tugenden bestimmten, durch welche der Zugang zu Gott mehr gesichert wer- S. a326 den könne, und der größte Theil der Nacht durch diese Untersuchung weggenommen war, sagte endlich der hl. Antonius: All’ das, was ihr gesagt habt, ist zwar nothwendig und nützlich für die nach Gott Dürstenden, die zu ihm zu gelangen sich sehnen; aber unzählige Fälle und Versuche Vieler erlauben uns durchaus nicht, in Solches die Hauptgnade zu setzen. Denn ich sah oft Solche, die auf das Strengste den Fasten und Nachtwachen oblagen und sich merkwürdig in der Einsamkeit verbargen, welche ferner die Hingabe alles Vermögens so befolgten, daß sie für sich nicht den Lebensunterhalt eines Tages, oder einen Denar übrig ließen, — welche die Werke der Barmherzigkeit mit ganzer Aufopferung übten: — und Solche sah ich so plötzlich betrogen, daß sie das ergriffene Werk nicht zum entsprechenden Ausgang führen konnten und den höchsten Feuereifer und einen lobenswerthen Wandel mit einem verabscheuungswürdigen Ende beschloßen. Was also hauptsächlich zu Gott führe, können wir klar erkennen, wenn wir die Ursache der Täuschung und des Sturzes Jener genauer untersuchen. Jenen gestattete nemlich, während sie die Werke der genannten Tugenden in Überfluß hatten, allein der Mangel der Klugheit nicht, in denselben bis zum Ende zu verharren. Denn man entdeckt keine andere Ursache ihres Falles, als daß sie, von den Vätern nicht unterrichtet, durchaus nicht im Stande waren, die Weise der Klugheit zu erlangen, welche jede Übertreibung unterlassend den Mönch immer auf königlichem Wege einherschreiten lehrt und ihm weder auf der rechten Seite der Tugend gestattet, sich zu überheben, d. i. im überwallenden Eifer das Maß der rechten Zurückhaltung mit thörichter Anmaßung zu überschreiten, — noch ihm erlaubt, aus Lust an der Erholung sich nach links zu den Lastern zu wenden. d. i. unter dem Vorwande für den Körper zu sorgen, in der entgegengesetztten Schlaffheit des Geistes zu erlahmen. Diese Klugheit nemlich ist’s, welche im Evangelium Auge und Leuchte des Köpers genannt wird nach jenem Ausspruche des Er- S. a327 lösers: 1 „Die Leuchte deines Körpers ist dein Auge; wenn nun dein Auge ungetrübt ist, so wird dein ganzer Körper Licht sein; wenn aber dein Auge schlecht geworden ist, so wird dein ganzer Körper finster sein.“ Das ist so, weil sie alle Gedanken und Handlungen des Menschen unterscheidet und Alles, was zu thun ist, durchschaut und durchleuchtet. Wenn nun sie im Menschen schlecht geworden ist, das heißt, nicht durch wahres Urtheilen und Wissen befestigt, sondern durch irgend welchen Irrthum und Wahn irregeführt, so wird sie unsern ganzen Körper finster machen, d. h. allen Scharfblick des Geistes und all’ unsere Handlungen wird sie dunkel machen, indem sie dieselben mit der Blindheit der Laster und der Finsterniß der Verwirrung umgibt. „Denn,“ sagt der Herr, „wenn das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist, wie groß wird die Finsterniß sein?“ Denn das ist Keinem zweifelhaft, daß, wenn das Urtheil unseres Herzens irrt und in der Nacht der Unwissenheit befangen ist, auch unsere Gedanken und Werke, die aus der Überlegung der Einsicht entspringen, in größere Finsterniß der Sünden verwickelt werden.
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Matth. 6, 22. ↩