VI.
So ist es, sagte ich; aber da es deines Amtes ist, verborgene Dinge zu enthüllen und die vom Dunkel verhüllten Gründe zu entwickeln, entscheide dies, ich bitte, und da mich dieses Wunder am meisten verwirrt, erörtere es. – Da sprach jene ein wenig lächelnd: Du rufst mich zur Aufgabe, deren Lösung unter allen die größte ist, die kaum je sich genügend erschöpfen läßt. Denn der Gegenstand ist derart, daß nach Beseitigung eines Zweifels unzählige andre wie die Häupter der Hydra nachwachsen, wofür es kein andres Mittel gibt, als daß man es mit dem lebendigsten Feuer des Geistes bezwingt; denn hierbei pflegt man über die Einfachheit der Vorsehung, über die Reihenfolge des Schicksals, über den plötzlichen Zufall, über die göttliche Erkenntnis und Vorbestimmung, über die Willensfreiheit Fragen aufzuwerfen, und von welchem Gewicht diese sind, erwägst du selbst. Aber da dies zu erkennen auch ein Teil deiner Heilung ist, so wollen wir doch, wenn auch auf eine enge Zeitgrenze beschränkt, etwas davon zu erschöpfen suchen. Wenn dich der Genuß des musischen Gedichtes erquickt, so wirst du dies Vergnügen eine Weile aufschieben müssen, bis ich die in sich verknüpften Gründe der Ordnung nach entfalte. – Wie du willst, sagte ich. – Darauf begann sie gleichsam von einem andern Anfang ausgehend die Erörterung: Die Erzeugung und der gesamte Fortschritt aller veränderlichen Naturwesen, alles was auf irgend eine Weise bewegt wird, erhält Ursache, Ordnung und Form aus der Beständigkeit des göttlichen Geistes. Dieser in der Feste seiner eigenen Einfachheit sich sammelnd, bestimmt eine vielfältige Art der Lenkung, die, wenn sie in der Reinheit der göttlichen Intelligenz selber betrachtet wird, Vorsehung genannt wird, die aber, wenn sie auf die Dinge, die er bewegt und ordnet, bezogen wird, von den Alten Schicksal benannt wurde. Daß sie verschieden sind, wird leicht S. 143 erhellen, wenn man die Kraft beider im Geist betrachtet. Denn die Vorsehung ist jene im höchsten Herrscher aller Dinge selber begründete göttliche Vernunft, die alles ordnet. Das Schicksal aber die den beweglichen Dingen anhaftende planmäßige Anlage, durch welche die Vorsehung mit ihren Ordnungen alles verknüpft. Die Vorsehung umfaßt nämlich alles gleichmäßig, wie verschieden, wie unbegrenzt es sei, das Schicksal aber treibt das Einzelne zur Bewegung, das nach Ort, Form, Zeit verteilt ist, so daß diese Entwicklung der zeitlichen Ordnung, im Überblick des göttlichen Geistes vereinigt, Vorsehung ist, eben diese Vereinigung aber in der Zeit verteilt und entwickelt, Schicksal genannt wird. Wenn die beiden also auch verschieden sind, hängt doch das eine vom andern ab. Denn die Schicksalsordnung geht hervor aus der Einfachheit der Vorsehung. So wie der Künstler zuerst die Form seines Werkes im Geiste erfaßt, dann das Werk wirklich ausführt, und was er einfach vor sich erblickt hat, dann in zeitlicher Ordnung durchführt, so ordnet Gott durch die Vorsehung einheitlich und fest, was geschehen soll. Durch das Schicksal aber verwaltet er das, was er geordnet hat, vielfältig in der Zeit. Mag nun durch göttliche, der Vorsehung dienende Geister das Schicksal ausgeübt werden, mag durch eine Seele oder durch die ganze dienende Natur, durch die himmlische Bewegung der Gestirne, durch die Kraft von Engeln oder mannigfache List der Dämonen, mag die Schicksalsfolge durch einiges hiervon oder durch alles zusammen gewoben werden, das ist gewiß offenbar, daß die Vorsehung die unbewegliche einfache Form der sich vollziehenden Dinge ist, das Schicksal aber der bewegliche Zusammenhang und die zeitliche Ordnung dessen, was die göttliche Einfalt zum Vollzug geordnet hat. So kommt es, daß alles, was dem Schicksal untersteht, auch der Vorsehung unterworfen ist, wie auch das Schicksal selbst. Einiges aber, was der Vorsehung unterstellt ist, überragt die Schicksalsordnung. Das aber ist, was der höchsten Gottheit nahe, so beständig ist, daß es über die Beweglichkeit der Schicksalsordnung hinausgeht; denn unter Kreisen, die sich um denselben Angelpunkt drehen, rückt der innerste der Einfachheit der Mitte näher, und gilt dann den weiter außerhalb kreisenden wiederum als Angelpunkt, um den sie sich drehen; der äußerste aber, der sich im größten Umkreis dreht, entfaltet sich in um so größeren Raum, je mehr er vom unteilbaren Mittelpunkt entfernt ist; jener aber, der sich der Mitte verbindet und gesellt, zieht sich zur Einfachheit zusammen und hört auf sich zu verbreitem und zu zerfließen. In gleicher Weise verstrickt sich, was weiter vom ersten Geist abweicht, in größere Verschlingungen des Schicksals, und ein jedes ist um so freier vom Schicksal, je näher es nach jenem Angelpunkt der Dinge hinstrebt. Wenn es dann in der Festigkeit des obersten Geistes selber wurzelt, so reicht es auch, selbst ohne Bewegung, über die Notwendigkeit des Schicksals hinaus. S. 145 Wie sich also der Vemunftschluß zum Intellekt, das Werdende zum Seienden, die Zeit zur Ewigkeit, der Kreis zum Mittelpunkt verhält, so auch die bewegliche Reihe des Schicksals zur beständigen Einfachheit der Vorsehung. Diese Reihe bewegt den Himmel und die Gestime, lenkt wechselweise die Elemente und formt sie durch gegenseitige Veränderungen, eben sie erneuert alles Entstehende und Vergehende ähnlich wie das Fortschreiten der Früchte und der Samen. Sie bestimmt zwingend auch die Handlungen und Lebensschicksale der Menschen durch unlösbare Verknüpfung der Ursachen; denn da jene vom Ursprung der unbeweglichen Vorsehung ausgeht, so ist es notwendig, daß auch diese selbst unabänderlich sind. Denn so werden die Dinge am besten gelenkt, wenn die im göttlichen Geiste beharrende Einfachheit eine unbeugbare Ordnung der Ursachen hervorbringt. Diese Ordnung aber soll die veränderlichen Dinge, die sonst willkürlich auf- und abfluten würden, durch ihre eigene Unbeweglichkeit zügeln. So kommt es, daß, obwohl wir diese Ordnung ganz und gar nicht zu ergründen vermögen und alles verwirrt und unordentlich erscheint, dennoch ihre Weise alles zum Guten lenkt und anordnet. Nichts nämlich geschieht um des Bösen willen, nicht einmal von den Bösen selbst; denn sie, wie überreich bewiesen ist, verführt nur ein schlechter Irrtum, während sie das Gute suchen, geschweige daß die Ordnung, die vom Angelpunkt des höchsten Guten ausgeht, von ihrem Ursprung abbiege.
Doch du wirst sagen: Welche Verwirrung kann überhaupt unbilliger sein, als daß den Guten bald Glückliches bald Widriges und ebenso den Schlechten bald Erwünschtes bald Verhaßtes zuteil wird? Doch wie, bringen etwa die Menschen ihr Leben in solcher Vollkraft des Geistes hin, daß diejenigen, welche sie für gut oder schlecht erachten, auch notwendig so sind, wie sie meinen? Auch widerstreiten sich die Urteile der Menschen hierin, und die, welche die einen der Belohnung, halten die andern der Bestrafung wert. Jedoch wir wollen zugeben, daß jemand die Schlechten und Guten unterscheiden könne, kann er dann auch jene innerste Mischung, wie man bei Körpern zu sagen pflegt, bei den Geistern anschauen? Denn für die Nichtwissenden ist es ein ganz ähnliches Wunder, weshalb dem einen gesunden Körper Süßes, dem anderen Bitteres paßt und weshalb den Kranken, diesen einen Sanftes, den andern Scharfes hilft; der Arzt aber, der Art und Mischung der Gesundheit und Krankheit unterscheidet, wundert sich keineswegs. Was scheint aber Redlichkeit anders als Gesundheit des Geistes zu sein? Was Laster anders als Krankheit? Wer anders aber ist Erhalter des Guten, Vertreiber des Bösen, als der Lenker und Heiler der Geister, Gott? Da er von der hohen Warte der Vorsehung alles überschaut, erkennt er, was zu einem jeden paßt, und was er passend weiß, das mißt er ihm zu. Hier vollzieht sich jenes staunenswerte Wunder der Schicksalsordnung, S. 147 daß vom Wissenden getan wird, worüber die Unwissenden bestürzt sind. Denn ich will jetzt das Wenige, was die menschliche Venunft vermag, an der göttlichen Tiefe messen. Den, welchen du für den Gerechtesten, für den sorgfältigsten Wahrer der Billigkeit hältst, sieht die allwissende Vorsehung sehr verschieden an. Daß die siegreiche Sache den Göttern, die besiegte aber dem Cato gefallen hat, hat unser Freund Lucanus gerügt. Hier ist also alles, was du gegen deine Hoffnung geschehen siehst, der Sache nach die richtige Ordnung, deiner Meinung nach aber die verkehrte Verwirrung. Sei nun auch jemand so gut gesittet, daß das göttliche Urteil über ihn und das menschliche völlig übereinstimmen, so ist er doch schwach an Kraft des Geistes, und wenn ihm etwas Widriges zustößt, wird er vielleicht aufhören die Schuldlosigkeit zu bewahren, die ihm sein Glück erhalten konnte. Also schont ein weises Abwägen den, welchen das Unglück schlechter machen könnte, um nicht zu dulden, daß der leide, dem es nicht zukommt. Ein andrer ist vollkommen in allen Tugenden, heilig und Gott am nächsten. Daß er durch irgend welche Widrigkeiten berührt werde, hält die Gottheit so sehr für Unrecht, daß sie ihn nicht einmal durch Krankheit betrüben läßt, denn wie einer, der ausgezeichneter ist als sogar ich, sagt: „Eines heiligen Mannes Gestalt auferbauen die ätherischen Lüfte.“ Oft geschieht es aber, daß den Guten die oberste Herrschgewalt übertragen wird, damit die überhandnehmende Schlechtigkeit zurückgestoßen werde. Andern teilt sie eine gewisse Mischung nach der Beschaffenheit ihres Geistes zu, manche beunruhigt sie, damit sie nicht durch langes Glück zu üppig werden, andre werden durch Härte geprüft, um die Tugenden ihres Geistes durch Gebrauch und Übung der Geduld zu stärken. Die einen fürchten mehr als billig, was sie doch tragen können, die andern verachten mehr als billig, was sie nicht tragen können. Diese stellt sie durch Trauriges auf die Probe. Manche haben einen verehrungswürdigen Namen in der Zeit um den Preis eines ruhmvollen Todes erkauft, manche haben, unüberwindbar durch Martern, der Welt ein Beispiel gegeben, daß die Tugend durch Übel unbesiegt sei; und es herrscht kein Zweifel, wie recht und wohlgeordnet dies ist und denen zum Guten gereicht, denen es zustößt. Auch daß den Schlechten bald Trauriges, bald Erwünschtes begegnet, leitet sich aus denselben Ursachen ab. Über das Traurige wundert sich niemand, weil sie es nach aller Meinung wohl verdient haben und ihre Strafe bald die Übrigen vom Verbrechen abhalten, bald die Bestraften selber bessern soll; das Erfreuliche aber redet gerade für die Guten eine laute Sprache als Beweis, was sie von einem Glück dieser Art halten sollen, wenn sie sehen, wie es den Schlechten oft Knechtesdienste leistet. Hierbei könnte auch, glaube ich, dies erwogen werden, daß der eine vielleicht von Natur so jäh und ungestüm ist, daß ihn ein Mangel an Vermögen eher zu Verbrechen erbittern könnte; dessen S. 149 Krankheit heilt die Vorsehung durch die Arzenei gehäuften Geldes. Wenn dieser sein von schlechten Taten belastetes Gewissen betrachtet und sich mit seinem Glück vergleicht, so gerät er vielleicht in Furcht, daß der Verlust dessen, was im Gebrauch ihm so angenehm ist, traurig wäre. Er wird also seine Sitten ändern, und während er fürchtet sein Vermögen zu verlieren, läßt er von seiner Schlechtigkeit. Andre hat ihr unwürdig verbrachtes Glück in verdientes Elend gestürzt; manchen ist das Recht zu strafen zugestanden worden, damit es für die Guten ein Anlaß zur Übung, für die Schlechten zur Marter sei. Denn wie es kein Bündnis gibt zwischen Guten und Bösen, so können die Bösen auch untereinander nie einig werden. Wie denn auch? Da ihr Gewissen durch Laster zerrissen ist, so daß jeder mit sich selbst in Zwiespalt gerät, so tun sie oft, was sie nach ihrer eigenen Entscheidung nicht hätten tun wollen. Daraus hat die höchste Vorsehung oft ein bemerkenswertes Wunder gewirkt, daß die Schlechten andre Schlechte zu Guten machen. Denn da es diesen scheint, als ob sie von den Schlechtesten Unrecht litten, kehren sie, von dem Haß gegen ihre Schädiger entbrannt, zur Frucht der Tugend zurück, indem sie sich bemühen denen unähnlich zu sein, die sie hassen. Nämlich allein für die göttliche Kraft ist das Böse auch das Gute, da es durch geeigneten Gebrauch die Wirkung eines Guten hervorbringt. Denn eine Ordnung umfaßt alles insgesamt, so daß, was von der ihm durch Vernunft zugewiesenen Ordnung abgewichen ist, freilich in eine andre, aber doch in eine Ordnung zurückgleitet, auf daß im Reiche der Vorsehung nichts der blinden Willkür zustehe. „Lästig ist es, daß ich, als wäre ich Gott, das alles rede.“ Denn es ist für Menschen nicht recht, die gesamten Triebfedern des göttlichen Werkes mit dem Geiste erfassen oder mit der Rede entwickeln zu wollen. Möge es genügen nur das zu durchschauen, was Gott der Schöpfer aller Wesen, der alles zum Guten lenkt und ordnet, der seine Schöpfung in der Ähnlichkeit mit sich zu halten eilt, alles Schlechte aus den Grenzen seines Staates durch die Ordnung der Schicksalsnotwendigkeit verbannt. So kommt es, daß man nirgends etwas Schlechtes auffinden kann, wenn man auf die ordnende Vorsehung blickt, während es auf der Erde zu überwuchern scheint. Aber ich sehe, daß du schon längst durch das Gewicht der Untersuchung belastet und durch die Ausführlichkeit der Erörterung ermüdet, einige Süße im Gesange erwartest. Empfange also einen Trunk, auf daß du durch ihn wiederhergestellt um so fester zu Weiterem streben mögest.
VI. Wer das Gesetz des erhabenen Donnerers
Will mit reinem Geiste betrachten,
Schau empor zum Scheitel des Himmels,
Dort bewahren die Sterne den Frieden
S. 151 Noch dem All in rechtmäßigem Bündnis.
Nicht vom rötlichen Lichte getrieben,
Hindert Phöbus den kühlen Mondlauf,
Und die Bärin, die rings um des Poles
Höchsten Scheitel auf schneller Bahn kreist,
Niemals wünscht sie im tiefen Westen,
Wo die andern Sterne eintauchen,
Ihre Leuchten im Meer zu löschen.
Stets zu gleicher geeigneter Stunde
Kündet Hesper die nächtlichen Zeiten,
Leuchtet Luzifer vor dem Tage.
So führet Wechselliebe den Kreislauf
Ewig wieder zurück; verbannt vom
Sternenantlitz zwieträchtige Kriege.
Solche Eintracht zügelt im Gleichmaß
Elemente, daß sie im Wettstreit
Wechselnd lösen Feuchtes und Trocknes,
Hitze und Kälte friedlich sich einen,
Steil zur Höhe die Flamme aufsteigt,
Schwer die Last der Erde herabsinkt.
Gleichem Gesetz nach atmet der Frühling
Blütenschwer seine feuchten Düfte,
Trocknet Saaten der heftige Sommer,
Kommt der Herbst mit Früchten beladen,
Näßt den Winter strömender Regen.
Solch ein Gleichmaß nährt und befruchtet
Alles Leben, das irdisch atmet.
Gleicher Weise vernichtet und gründet
Tod und Geburt im Steigen und Sinken.
Oben thront indessen der Schöpfer
Aller Dinge und lenkt die Zügel,
König, Herr und Quelle und Ursprung,
Weises Gesetz und Richter des Rechten.
Wenn zu heftig antreibt Bewegung,
Hält zurück er und festigt das Schwanke.
Nur wem die graden Bahnen befohlen,
Beugt er nicht mehr zurück zum Kreise.
Was jetzt fest seine Ordnung gegründet,
Sinkt erschlafft, getrennt von der Quelle.
Hier ist Liebe, gemeinsam des Weltalls.
Nur in Grenzen streben die Guten,
S. 153 Weil sie anders dauern nicht können,
Wenn sie nicht durch erwidernde Liebe
Fluten zum Quell, der Leben verliehen.