• Home
  • Works
  • Introduction Guide Collaboration Sponsors / Collaborators Copyrights Contact Imprint
Bibliothek der Kirchenväter
Search
DE EN FR
Works Boethius, Anicius Manlius Severinus (480-524) Philosophiae consolatio Trost der Philosophie (BKV)
Fünftes Buch

VI.

Da also, wie kurz zuvor gezeigt, alles, was gewußt wird, nicht aus seiner eigenen Natur, sondern aus der der Auffassenden erkannt wird, wollen wir nun, soweit es recht ist, betrachten, was der Zustand der göttlichen Substanz ist, damit wir erkennen können, wie weit es etwa ein Wissen von ihr gibt. Daß Gott also ewig sei, ist das gemeinsame Urteil aller Vernunftbegabten. Wir wollen also untersuchen, was die Ewigkeit ist, denn aus ihr wird uns gleichmäßig die göttliche Natur und das göttliche Wissen erschlossen. Ewigkeit also ist der vollständige und vollendete Besitz des unbegrenzbaren Lebens, was aus dem Vergleich mit dem Zeitlichen noch deutlicher erhellt. Denn alles, was in der Zeit lebt, das geht als ein Gegenwärtiges vom Vergangenen weiter in die Zukunft, und es gibt nichts, was in der Zeit besteht, das seinen ganzen Lebensraum zugleich umfassen könnte. Sondern das Morgige erfaßt es noch nicht, das Gestrige aber hat es schon verloren, und auch im heutigen Leben lebt ihr nicht weiter als in diesem einen beweglichen und vorübergehenden Augenblick. Mag also auch das, was die Bedingungen der Zeit duldet, weder jemals angefangen haben noch aufhören, wie Aristoteles von der Welt urteilt, mag sich auch ihr Leben in die Unendlichkeit der Zeit erstrecken, so sollte man doch ein solches nicht mit Recht für ewig halten. Denn es erfaßt und umfaßt nicht den ganzen Umkreis des wenn auch unbegrenzten Lebens, sondern es fehlt ihm noch die noch nicht durchlebte Zukunft. Was also die ganze Fülle des unbegrenzbaren Lebens zugleich erfaßt und besitzt, dem weder etwas am Zukünftigen abgeht, noch vom Vergangenen verflossen ist, das wird mit Recht als ewig aufgefaßt, und das muß notwendigerweise seiner selbst mächtig immer als ein Gegenwärtiges in sich verweilen und die Unendlichkeit der S. 183 beweglichen Zeit als eine Gegenwart vor sich haben. Darum ist die Meinung derer nicht richtig, die wenn sie hören, daß Plato glaubte, diese Welt habe weder Anfang in der Zeit gehabt, noch werde sie einen Untergang in ihr haben, annehmen, daß die geschaffene Welt auf gleiche Weise ewig sei wie der Schöpfer. Etwas anderes ist es, wenn ein unbegrenzbares Leben geführt wird, was Plato der Welt zuerteilt, etwas anderes, wenn ein unbegrenzbares Leben zugleich als eine ganze Gegenwart erfaßt wird, was offenbar die Eigentümlichkeit des göttlichen Geistes ist. Auch darf Gott nicht älter als die erschaffene Welt nach der Ausdehnung der Zeit, sondern vielmehr nach der Eigentümlichkeit seiner einfachen Natur angesehen werden. Denn die unbegrenzte Bewegung des Zeitlichen ahmt diesen gegenwartsbewußten Zustand unbewegten Lebens nur nach, und da sie nicht vermag, ihn nachzubilden und ihm gleich zu kommen, verfällt sie aus der Unbewegtheit in die Bewegung, aus der Einfachheit der Gegenwart schwindet sie dahin zur unendlichen Ausdehnung der Zukunft und Vergangenheit, und da sie die ganze Fülle ihres Lebens zugleich nicht besitzen kann, scheint sie mit dem, was sie irgendwie zu sein niemals aufhört und das sie doch nicht ausfüllen und ausdrücken kann, einigermaßen zu wetteifern, indem sie sich an die Gegenwart dieses wenn auch noch so geringen und flüchtigen Augenblicks heftet. Und da dieser ja ein gewisses Abbild jener beharrenden Gegenwart in sich trägt, so gewährt er denen, an denen er teil hat, daß sie zu sein scheinen. Da er aber nicht beharren kann, hat er den unbegrenzten Weg der Zeit ergriffen, und so ist es gekommen, daß er durch sein Weiterschreiten das Leben ununterbrochen macht, dessen Fülle er durch sein Beharren nicht zu umfassen vermochte. Wenn wir also den Dingen würdige Namen beilegen wollen, so wollen wir Plato folgend Gott zwar ewig, die Welt aber dauernd nennen. Da nun jedes Urteil seiner Natur gemäß das erfaßt, was ihm untersteht, Gott aber ein ewiger und immer gegenwartsbewußter Zustand zukommt, so verharrt auch sein Wissen, das jede Bewegung der Zeit überschreitet, in der Einfachheit seiner Gegenwärtigkeit, und indem es die unendlichen Räume der Vergangenheit und Zukunft umfaßt, betrachtet es alles, als ob es schon geschähe in seiner einfachen Erkenntnis. Wenn du also seine Gegenwärtigkeit, mit der er alles durch und durch erkennt, richtig abwägen willst, so wirst du sie nicht als Vorherwissen einer etwaigen Zukunft, sondern als ein Wissen um eine niemals versagende Gegenwart richtiger schätzen. Daher wird dies nicht Vorhersehen, sondern lieber Vorsehung genannt, weil sie fern von den niederen Dingen in sich begründet, gleichsam vom erhabenen Gipfel der Dinge alles vor sich sieht. Warum also forderst du, daß das notwendig geschehe, was vom göttlichen Licht erleuchtet wird, wenn nicht einmal die Menschen das, was sie sehen, zur Notwendigkeit machen? Leiht etwa dein Schauen dem, was du als gegenwärtig S. 185 unterscheidest irgendwelche Notwendigkeit ? – Keineswegs. – Gleichwohl wenn es einen Vergleich würdig göttlicher und menschlicher Gegenwart gibt, so erblickt er alles in seiner ewigen Gegenwart wie ihr einiges in eurer zeitlichen seht. Deshalb verändert diese göttliche Vorerkenntnis die Natur der Dinge und ihre Eigentümlichkeit nicht und erschaut bei sich solches als gegenwärtig, was in der Zeit einst als zukünftig zum Vorschein kommen wird. Auch verwirrt sie nicht die Urteile über die Dinge, und durch ein inneres Schauen ihres Geistes unterscheidet sie ebenso das was notwendig, wie das was nicht notwendig kommen wird, so wie ihr tut, wenn ihr gleicherweise einen Menschen auf der Erde wandeln und die Sonne am Himmel aufgehn seht; denn obwohl ihr beide zugleich erblickt, macht ihr doch einen Unterschied und urteilt, daß jenes freiwillig, dieses notwendig geschehe. So verwirrt das das Weltall durchdringende Schauen Gottes die Eigenschaften der Dinge keineswegs, nur daß sie vor ihm gegenwärtig, in Beziehung zur Zeit aber zukünftig sind. So kommt es, daß es keine bloße Meinung, sondern vielmehr eine auf Wahrheit gestützte Erkenntnis ist, wenn er weiß, daß etwas sein werde, und zugleich, daß es die Notwendigkeit der Existenz entbehre. Wenn du hier nun sagen wolltest, es könne nicht sein, daß das, was Gott als zukünftig geschehend erkenne, nicht eintreffen werde, was aber unmöglich nicht geschehen könne, das geschehe notwendig, und wenn du mich auf diese Bedeutung der Notwendigkeit festlegen willst, so will ich gestehen, es sei dies als Tatsache eine festbegründete Wahrheit, aber an sie kann nur der heranreichen, der die Gottheit schaut. Und ich will dir antworten, daß ein und dasselbe Zukünftige, wenn es auf die göttliche Erkenntnis bezogen wird, notwendig, wenn es aber nach seiner eigenen Natur abgewogen wird, völlig frei und gelöst erscheint. Denn es gibt zweierlei Notwendigkeit; die eine einfache, z. B. ist es notwendig, daß alle Menschen sterblich sind; die andere bedingte, so daß, wenn du von einem weißt, daß er geht, sein Gehen notwendig ist; denn was ein jeder weiß, das kann nicht anders sein, als daß es gewußt wird. Aber diese Bedingtheit zieht keineswegs jene einfache als Folge nach sich; denn sie macht zur Notwendigkeit nicht ihre eigene Natur, sondern das Hinzutreten der Bedingung; keine innere Notwendigkeit zwingt den, der nach eigenem Willen daherschreitet, zu gehn, obwohl es notwendig ist, daß wenn er schreitet, er geht. Auf eben dieselbe Weise ist das, was die Vorsehung als gegenwärtig sieht, notwendig, obwohl es keine Notwendigkeit von Natur hat. Freilich Gott schaut das Zukünftige, was aus der Freiheit des Willens hervorgeht als ein Gegenwärtiges. Also geschieht dies, auf das göttliche Schauen bezogen, mit Notwendigkeit vermöge der Bedingung des göttlichen Erkennens, für sich betrachtet aber läßt es nicht ab von der absoluten Freiheit seiner eigenen Natur. Also wird ohne Zweifel alles geschehen, was Gott als zukünftig geschehend zuvor erkennt; aber einiges S. 187 hiervon leitet sich aus dem freien Willen ab. Dies verliert, obwohl es geschieht, durch seine Existenz doch nicht seine eigene Natur, vermöge deren es, bevor es geschah, auch hätte nicht geschehen können. Was kommt es also darauf an, daß es nicht notwendig ist, wenn es, bedingt durch das göttliche Wissen, durchaus so geschieht, als ob es notwendig sei. Freilich wie das eben von mir angeführte Beispiel der aufgehenden Sonne und des schreitenden Menschen zeigt, während es geschieht, kann es unmöglich nicht geschehen, und doch hatte das eine, bevor es geschah, Notwendigkeit zu sein, das andere aber keineswegs. So existiert auch das, was Gott gegenwärtig hat, ohne Zweifel, aber hiervon leitet sich dieses eine aus der Notwendigkeit der Dinge ab, jenes aus der Machtvollkommenheit der Handelnden. Also haben wir nicht mit Unrecht gesagt, daß dieses, wenn es auf die göttliche Erkenntnis bezogen wird, notwendig, wenn es aber an sich betrachtet wird, von den Fesseln der Notwendigkeit gelöst ist; wie alles was den Sinnen offenbar wird, wenn man es auf die Vernunft bezieht, ein Allgemeines, wenn man es an sich selbst betrachtet, ein Besonderes ist. Aber, wirst du sagen, wenn es in meiner Gewalt liegt, den Vorsatz zu ändem, so mache ich die Vorsehung nichtig, wenn ich vielleicht verändere, was jene vorher erkannt hat. Darauf antworte ich: du kannst zwar deinen Vorsatz ablenken, aber doch schaut die untrügliche Vorsehung sowohl, daß du das kannst, als auch ob du es tust und wozu du dich wendest als ein Gegenwärtiges. Du kannst das göttliche Vorherwissen nicht vermeiden, so wie du nicht dem Blick des gegenwärtigen Auges entfliehen kannst, obwohl du dich zu verschiedenen Handlungen nach freiem Willen wenden kannst. Was also willst du sagen? Wird sich das göttliche Wissen nach meiner Verfügung ändern, so daß, wie ich bald dies, bald jenes will, es auch die Art seines Erkennens zu wechseln scheine? – Keineswegs. – Denn allem Zukünftigen eilt das göttliche Schauen voraus, wendet es um und ruft es zurück zur Gegenwärtigkeit des eigenen Erkennens und wechselt nicht, wie du meinst, veränderlich bald das, bald das Vorhererkennen. Sondern es kommt beharrend mit einem Schlage deinen Veränderungen zuvor und umfaßt sie. Diese Gegenwart, alles zu umfassen und zu erblicken läßt Gott nicht aus dem Vorrat der Zukunft, sondern aus der Einfachheit seiner eigenen Natur herausgehen. Hieraus löst sich auch jenes andere Problem auf, das du kurz zuvor aufgeworfen hast, es sei unwürdig unsere zukünftigen Handlungen zur Ursache des göttlichen Wissens zu machen, denn diese Macht des Wissens, die durch gegenwärtige Erkenntnis alles umfaßt, stellt selber bei allen Dingen ihre Art fest und bleibt dem noch kommenden nichts schuldig. Da dies so ist, bleibt den Sterblichen eine unverletzte Willensfreiheit, und nicht unbillig stellen Gesetze dem von aller Notwendigkeit gelösten Willen Belohnungen und Strafen vor Augen. Auch bleibt droben S. 189 das Weltall durchschauend ein vorauswissender Gott, und die immer gegenwärtige Ewigkeit seines Schauens trifft mit der zukünftigen Beschaffenheit unserer Handlungen zusammen, den Guten Belohnungen, den Bösen Strafen austeilend. Und nicht vergeblich bauen Hoffnung und Gebet auf Gott. Sie können, wenn sie richtig sind, nicht unwirksam sein. Widersteht also den Lastern, pfleget die Tugenden, erhebt den Geist zu rechter Hoffnung, richtet demütiges Gebet nach oben. Euch ist, wenn ihr euch nicht verleugnen wollt, die Notwendigkeit zur Redlichkeit auferlegt, da ihr vor den Augen des alles sehenden Richters handelt.

pattern
  Print   Report an error
  • Show the text
  • Bibliographic Reference
  • Scans for this version
Download
  • docxDOCX (109.65 kB)
  • epubEPUB (89.72 kB)
  • pdfPDF (326.78 kB)
  • rtfRTF (288.84 kB)
Editions of this Work
Consolatio philosophiae Compare
Translations of this Work
Trost der Philosophie (BKV)
Commentaries for this Work
Nachwort Trost der Philosophie

Contents

Faculty of Theology, Patristics and History of the Early Church
Miséricorde, Av. Europe 20, CH 1700 Fribourg

© 2025 Gregor Emmenegger
Imprint
Privacy policy