Zweiter Artikel. Nicht kraft ihres Wesens versteht die Seele das körperliche.
a) Das scheint doch wohl, daß die Seele durch ihr Wesen die Körper versteht. Denn: I. Augustinus sagt (10. de Trin. cap. 5.): „Die Seele rollt zusammen die Bilder der Körper und reißt sie, nachdem sie dieselben in sich vollendet, von sich selber los; denn sie verleiht ihnen, indem sie formt, etwas von ihrer, der Seele, Substanz.“ Die Seele aber versteht eben durch entsprechende Bilder oder Ähnlichkeiten das Körperliche. Also erkennt sie letzteres durch ihr Wesen, das sie jenen in ihr selbst geformten Bildern mitteilt und aus dem heraus sie dieselben formt. II. Aristoteles sagt (3. de anima): „Die Seele ist gewissermaßen Alles.“ Da also das Ähnliche nur verstanden wird, scheint die Seele durch sich selbst die Körper zu erkennen. III. Die Seele steht im Sein höher wie die körperlichen Kreaturen. Die niedrigen Dinge aber sind in den höheren in hervorragenderer Weise wie in ihrem eigenen Sein, nach Dionysius. (12. de coel. hier.) Also existieren alle körperlichen Kreaturen in erhabenerer Weise im Wesen der Seele als in sich selber. Also durch ihr Wesen kann die Seele sie erkennen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (9. de Trin. 3.): „Der vernünftige Geist sammelt Kenntnisse von den körperlichen Dingen vermittelst der Sinne des Körpers.“ Die Seele selber aber ist nicht erkennbar durch die Sinne des Körpers. Also erkennt sie nicht das Körperliche durch ihre Substanz.
b) Ich antworte; die alten Philosophen nahmen an, die Seele erkenne kraft ihres Wesens die Körper. Denn das ist gemeinhin allen Seelen eingeprägt, daß Ähnliches durch Ähnliches erkannt wird. Sie meinten aber, daß die Erkenntnisform in der nämlichen Weise innen in der Seele ist, wie sie außen im gekannten Dinge sich vorfindet. Nun durchschaute Plato, daß die vernünftige Seele stofflos sei und in stoffloser Weise erkenne. Also, meinte er, seien auch die erkannten Gegenstände in ihrem wirklichen Sein außerhalb der Seele stofflos. Die früheren Philosophen aber meinten umgekehrt, weil die erkannten Dinge körperlich seien, deshalb müssen sie auch in der Seele in stofflicher Weise sich vorfinden. Deshalb nahmen sie an, die Seele habe ihre Natur gemeinsam mit allen Dingen und demgemäß erkenne sie alle Dinge. Und weil die Natur der abgeleiteten verursachten Dinge aus den Elementen oder Principien gebildet wird, so legten sie der Seele die Natur der Elemente oder Principien bei. Der da also das Feuer als das Urelement annahm, sagte, die Seele sei Feuer; und ähnlich andere, welche Wasser oder Luft als Urelement betrachteten. Empedokles aber, der vier stoffliche Elemente annahm und zwei bewegende Principien, behauptete, daraus bestehe nun auch die Seele. Da also in diesem Sinne die Dinge stofflicherweise in der Seele waren, so nahmen diese Philosophen auch an, jede Kenntnis sei stofflich und machten keinen Unterschied zwischen Sinn und Vernunft. Das Alles aber ist falsch aus folgenden Gründen: 1. In den Elementen oder Principien existieren die Dinge nur dem Vermögen nach, weil sie daraus werden können. Nichts aber wird erkannt gemäß dem, daß es etwas sein kann, sondern insofern es thatsächlich ist; so daß ein Vermögen selber allein für sich gar nicht erkennbar ist, außer vermittelst seiner Thätigkeit. Also würde es gar nicht genügen, der Seele die Natur der Elemente oder Principien beizulegen, damit sie Alles erkenne; sie müßte denn zugleich die Dinge auch gemäß ihrem thatsächlichen Sein in sich enthalten oder dieselben sein, also was diese Elemente in Wirklichkeit geworden, in sich tragen; — sie müßte z. B. Fleisch sein, Knochen etc., damit sie das Thatsächliche durch das ihm Ähnliche erkennen könne. In dieser Weise beweist Aristoteles gegen Empedokles. (l. de anima.) 2. Wäre es notwendig, daß die erkannte stoffliche Sache dem Stoffe nach in der Seele sich fände, so würde gar kein Grund bestehen, warum diese Sache nicht ebenfalls, auch soweit sie außerhalb ist, erkannte. Wenn also z. B. die Seele durch das Feuer Feuer erkannte, so müßte auch das Feuer, welches außen besteht, Feuer erkennen. Es bleibt also nur übrig, daß die erkannten stofflichen Dinge wohl im Erkennenden existieren; nicht aber stofflicher-, sondern vielmehr unstofflicherweise. Und der Grund davon ist dieser: Die Thätigkeit des Erkennens umfaßt das, was außerhalb des Erkennenden ist. Denn wir erkennen auch das, was wir selber nicht sind. Durch den Stoff aber ist etwas so das Eine, daß es nicht das Andere umfaßt, daß nur es selbst ist und in keiner Weise Anderes. Also ist es ganz klar, daß die Natur des Erkennens entgegengesetzt ist der Natur der Stofflichkeit. Wenn also ein Wesen nur in stofflicher Weise Formen in sich aufnimmt, so ist es keineswegs erkennend; wie z. B. die Pflanze. Umgekehrt aber je stoffloser ein Wesen die Form der erkannten Sache in sich aufnimmt, desto vollendeter ist sein Erkennen. Somit erkennt die Vernunft, welche die Gattungsform ablöst und zwar nicht nur vom Stoffe, sondern auch von allen Einzelbedingungen der wirklichen Existenz, vollendeter wie der Sinn; der da wohl den Stoff nicht in sich aufnimmt, jedoch die Form zusammen mit den Einzelbedingungen der wirklichen Existenz von Zeit und Ort zum Beispiel. Und unter den Sinnen ist die Sehkraft umfassender im Erkennen, weil sie vom Stoffe mehr entfernt ist; unter den Verstandeskräften aber ist jene vollendeter, welche stoffloser ist. Daraus ist also klar, daß wenn es eine Vernunft giebt, die da durch ihr Wesen Alles erkennt, dieselbe in stoffloser Weise ihrem Wesen nach Alles in sich enthalten muß; ähnlich wie die Alten meinten, das Wesen der Seele sei zusammengesetzt aus den Principien aller Dinge, damit sie Alles erkenne. Das aber ist Gott allein eigen, daß sein Wesen stofflos Alles umgreift; insofern die Wirkungen von vornherein existieren in der Kraft ihrer Ursache, in ihrem ersten Princip. Gott allein also erkennt Alles durch sein Wesen.
c) I. Die Seele bildet nach Augustin in der Einbildungskraft sich die Bilder der Körper; und indem sie dieselben formt, giebt sie ihnen etwas von ihrer Substanz, insofern sie selbige trägt. Und so macht sie aus sich selbst heraus derartige Bilder; nicht als ob die Seele oder etwas von derselben derart verwandelt würde, daß sie dieses oder jenes Bild sei; sondern wie vom Körper gesagt wird, es werde aus ihm etwas Farbiges, insoweit er durch die Farbe bestimmt wird oder Träger derselben ist. Dies ergiebt sich aus dem, was folgt. Denn Augustin sagt, die Seele „behalte etwas“, was nämlich nicht durch ein solches Bild geformt ist und vermittelst dessen urteile sie frei über die Gestalt und Form solcher Bilder; dieses „Etwas“ sei die Vernunft; — was aber vermittelst dieser Bilder geformt worden, nämlich die Einbildungskraft, das sei uns und den Tieren gemeinsam. II. Aristoteles meint nicht, die Seele sei thatsächlich zusammengesetzt aus Allem, wie die alten Naturphilosophen, sondern sie sei „gewissermaßen Alles“; insofern sie nämlich durch die Sinne das Vermögen hat für alles sinnlich Wahrnehmbare und durch die Vernunft das Vermögen für alles geistig Erkennbare. III. Jegliche Kreatur hat ein begrenztes und allseitig bestimmtes Sein. Wenn deshalb auch das Wesen der höheren Kreatur eine gewisse Ähnlichkeit hat mit dem der niedrigeren, insoweit beide in derselben „Art“ übereinkommen; so ist doch diese Ähnlichkeit keine vollständig erschöpfende. Denn die höhere Kreatur gehört einer bestimmten Gattung an und außerhalb dieser Gattung steht die Gattung der niedrigeren Kreatur. Das Wesen Gottes aber ist die vollendete Ähnlichkeit von Allem mit Rücksicht auf Alles, was in den Kreaturen sich findet; denn es ist das allgemeine Princip von allem.
