82.
1. Es wird aber in den „Überlieferungen“ berichtet, der Apostel Matthias habe bei jeder Gelegenheit gesagt: „Wenn der Nachbar eines auserwählten Mannes sündigte, S. c86 so sündigte der Auserwählte; denn wenn dieser sein Leben so geführt hätte, wie es das göttliche Wort gebietet, so hätte im Blick auf dieses Leben auch sein Nachbar sich davor gehütet zu sündigen.“1
2. Was werden wir also von dem Gnostiker sagen? „Oder wißt ihr nicht“, sagt der Apostel, „daß ihr ein Tempel Gottes seid?“2 Der Gnostiker ist also göttlich und bereits heilig; er trägt Gott in sich und wird selbst von Gott getragen.3
3. Dementsprechend stellt die Heilige Schrift das Sündigen als etwas Fremdes hin, wenn sie sagt, daß das Volk, das in Sünden fiel, an die Fremdstämmigen verkauft wurde.4 Und wenn sie sagt: „Blicke nicht mit Begierde auf ein fremdes Weib!“,5 so sagt sie damit geradezu, daß die Sünde etwas ist, das dem Tempel Gottes fremd und gegen seine Natur ist.
4. Es gibt aber einen großen Tempel, wie die Kirche, und einen kleinen, wie der Mensch, der in sich den Samen Abrahams6 bewahrt. Wer also Gott in seinem Herzen ruhen hat,7 wird nach nichts anderem begehren.
5. Darum verläßt er alles, was ihn hemmt, verachtet alles Irdische, das ihn abziehen will, durchschneidet vermöge seiner Erkenntnis den Himmel, nimmt seinen Weg durch die Geisterwesen und alle Mächte und Gewalten8 hindurch und gelangt so zu den höchsten Thronen, da sein Ziel allein das ist, was allein der Gegenstand seines Erkennens war.
6. Da er so die Art der Schlange mit dem Wesen der Taube9 verbindet, lebt er vollkommen und zugleich mit gutem Gewissen, wobei sich hinsichtlich der Erwartung des Zukünftigen sein Glaube mit seiner Hoffnung vereinigt.
7. Denn er empfindet, daß er würdig geworden ist, die Gabe zu erlangen, die er erhalten hat; und da er von der Knechtschaft zur Kindschaft versetzt10 ist, vollführt er Taten, die seiner Erkenntnis entsprechen (da er „Gott erkannt hat und von ihm erkannt ist“11); so beweist er sich durch sein Handeln würdig der ihm geschenkten Gnade; S. c87 denn der Erkenntnis folgen die Werke so wie dem Körper der Schatten.12
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Vgl. A. Resch, Agrapha, 2. Aufl. S. 282 Apokryphon 76. ↩
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1Kor 3,16. ↩
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Vgl. Strom. VI 104,1 Epiktetos, Diss. II 8,12. ↩
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Vgl. Ri 2,11-14; 4,2; 10,7; Jes 50,1 u.ä. St.; Strom. II 144,4; III 90,3; Ecl. proph. 49,2. ↩
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Vgl. Mt 5,28; Sprichw 5,20; 6,24 f.; 7,5; 23,33. ↩
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Vgl. Joh 8,33.37; Gal 3,29. ↩
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Vgl. Strom. I 23,2; Ecl. proph. 56,3. ↩
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Vgl. Eph 1,21; 6,12. ↩
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Vgl. Mt 10,16. ↩
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Vgl. Röm 8,15. ↩
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Vgl. Gal 4,9. ↩
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Sacra Par. 274 Holl. ↩