72.
1. Da erheben sich wieder die Ankläger mit der Behauptung, Freude und Schmerz seien Erregungen der Seele.1 Die Freude bestimmen sie nämlich als eine vernünftige Erhebung und das Frohlocken als Freude an Schönem, das Mitleid dagegen als Schmerz über einen, der, ohne es verdient zu haben, Schlimmes erleidet;2 solche Gefühle seien aber Veränderungen und Erregungen der Seele.3
2. Wir hören aber, wie es scheint, nie auf, die Heilige Schrift auf fleischliche Weise zu verstehen und, indem wir von unseren eigenen Gemütserregungen ausgehen, den Willen des leidenschaftslosen Gottes ähnlich wie unsere eigenen Regungen aufzufassen.
3. Wenn wir jedoch annehmen, daß es sich ebenso bei dem Allmächtigen verhalte, wie wir es zu hören vermögen, so begehen wir damit einen gottlosen Irrtum.
4. Denn das wirkliche Wesen der Gottheit konnte nicht in Worte gefaßt werden; vielmehr so, wie es für uns, die wir die Fesseln des Fleisches tragen, zu vernehmen möglich war, so haben die Propheten zu uns geredet, indem sich der Herr in der Absicht, uns zu retten, zu der Schwachheit der Menschen herabließ.