6. Kap. Das schwere Schicksal der Juden nach ihrem Frevel an Christus.
Nach dem Tode des Tiberius habe Gaius die Herrschaft erlangt. Dieser habe gegen zahlreiche Personen viel gefrevelt, ganz besonders aber das ganze jüdische Volk schwer mißhandelt. Philos Worte ermöglichen S. 69 einen kurzen Überblick. Wörtlich schreibt er:1 „Furchtbar wütete Gaius gegen alle, vor allem aber gegen das Geschlecht der Juden. In seiner maßlosen Erbitterung gegen dieses eignete er sich dessen in den anderen Städten gelegenen Bethäuser an, in Alexandrien den Anfang machend, und füllte sie mit Bildern und Statuen seiner eigenen Person; denn dadurch, daß er anderen ihre Aufstellung gestattete, errichtete er sie eigentlich selber. In der Heiligen Stadt selbst änderte und gestaltete er den Tempel, der bis dahin noch unberührt geblieben war und sich völliger Unverletzlichkeit erfreut hatte, zu seinem persönlichen Heiligtum um, damit er Tempel des Gaius, des neuen, sichtbaren Jupiter, genannt werde.“ Noch tausend furchtbare, aller Beschreibung spottende Schicksale, welche die Juden unter dem erwähnten Gaius in Alexandrien trafen, erzählt derselbe Philo in dem zweiten Buche des Werkes, das er „Über die Tugenden“ betitelt hatte. Mit ihm stimmt Josephus überein, der ebenfalls erklärt, daß mit den Zeiten des Pilatus und den Verbrechen an dem Erlöser das Unglück des ganzen Volkes begonnen habe. Vernimm, wie sich derselbe in dem zweiten Buche des „Jüdischen Krieges“ äußert! Wörtlich sagt er:2 „Pilatus, der von Tiberius als Prokurator nach Judäa geschickt worden war, ließ verhüllte Bilder des Kaisers bei Nacht nach Jerusalem bringen, welche Paniere heißen. Dies veranlaßte bei Tagesanbruch eine gewaltige Bestürzung unter den Juden. Diejenigen, welche in der Nähe der Bilder standen, erklärten mit Entsetzen, ihre Gesetze seien mit Füßen getreten; denn diese gestatteten nicht, ein Bild in der Stadt aufzustellen.“ Vergleicht man diesen Bericht mit der Erzählung der Evangelien,3 dann sieht man daß sich die von den Juden vor Pilatus selbst gestellte Forderung, sie wollen nur den Kaiser als König haben, gar bald erfüllte. Von einem anderen Unfall, der die Juden hierauf traf, erzählt der gleiche Geschichtschrei- S. 70 ber mit folgenden Worten:4 „Hierauf verursachte er eine neue Bestürzung dadurch, daß er den heiligen Platz, Korban genannt, für eine Wasserleitung benützte, welche sich auf ungefähr 300 Stadien belief. Daraufhin wurde das Volk erbittert, und als Pilatus nach Jerusalem kam, umringten ihn alle schreiend. Dieser aber hatte ihren Tumult vorausgesehen und deshalb unter die Menge seine bewaffneten, aber in einheimische Kleider gehüllten Soldaten verteilt mit der Weisung, vom Schwerte keinen Gebrauch zu machen, wohl aber die Schreier mit Prügeln niederzuhauen. Nun gab er ihnen vom Richterstuhle aus das verabredete Zeichen. Viele Juden verloren ihr Leben unter den Streichen, viele auf der Flucht unter den Tritten der eigenen Landsleute. Das Schicksal der Getöteten brachte die entsetzte Menge zum Schweigen.“ Josephus belehrt uns, daß in Jerusalem außerdem noch zahlreiche andere Tumulte entstanden, und zeigt, daß von jener Zeit an in der Stadt und in ganz Judäa Aufstände und Kriege und Bedrückungen über Bedrückungen kein Ende nehmen wollten, bis schließlich die Belagerung unter Vespasian über die Juden hereinbrach. So wurden diese für ihre Frevel an Christus von der göttlichen Strafe ereilt.