9. Kap. Der Untergang der Tyrannen; ihre letzten Worte vor dem Tode.
Konstantin, Kaiser und einem Kaiser entsprossen, wie wir oben berichtet,1 fromm und der Sohn des frömmsten und allerverständigsten Vaters, und Licinius, der zweite nach ihm, beide ausgezeichnet durch Klugheit und Gottesfurcht, waren vom König der Könige, dem Gott des Alls und Erlöser, erweckt worden, zwei gottgeliebte Männer gegen die zwei gottlosesten Tyrannen. Da sie förmlich den Krieg wider sie begannen und Gott auf ganz wunderbare Weise mit ihnen stritt, unterlag Maxentius zu Rom der Macht Konstantins. Der Tyrann des Ostens2 überlebte ihn nicht lange und fand, in der Gewalt des Licinius, der damals noch nicht dem Wahnsinn verfallen war, ein schimpfliches Ende. Fürs erste empfand Konstantin, der Oberste im Reiche an Würde und Rang, Mitleid mit den bedrückten Einwohnern Roms. Nachdem er Gott, der im Himmel ist, und sein Wort, den Erlöser aller, Jesus Christus, im Gebete zu Hilfe gerufen, rückte er mit der ganzen Streitmacht vor, um den Römern die von den Ahnen ererbte Freiheit wiederzugeben, Maxentius, der mehr auf Zauberkünste als auf die treue Gesinnung seiner Untertanen baute, wagte es nicht, auch nur den Fuß vor die Tore der Hauptstadt zu setzen. Auf jeden Platz und in jeden Flecken und jede Stadt, die im Umkreis von Rom und in ganz Italien von ihm unterjocht waren, hatte er eine ungezählte Menge von Schwerbewaffneten und unendliche Abtei- S. 423 lungen von Legionären gelegt. Im Vertrauen auf den göttlichen Beistand griff der Kaiser (Konstantin) die erste, zweite und dritte Stellung des Tyrannen an, die er alle spielend nahm, marschierte weiter im Inneren Italiens vor und kam bis in die Nähe Roms. Um Konstantin den Kampf mit den Römern, der ihm des Tyrannen wegen bevorstand, zu ersparen, zog Gott selber den Tyrannen wie an Ketten weit aus den Toren der Stadt heraus. Damit fanden jene uralten Erzählungen gegen die Gottlosen, wie sie in den heiligen Büchern niedergeschrieben sind — sehr viele erachten sie als Fabel und verweigern den Glauben, die Gläubigen gewiß halten sie für glaubwürdig —, durch ihre eigene Klarheit bei allen, um es mit einem Worte zu sagen. Gläubigen wie Ungläubigen, ihre Bestätigung, da sie das Wunderbare mit Augen schauten.
Wie Gott zur Zeit des Moses, da das Volk der Hebräer noch gottesfürchtig war, „die Streitwagen des Pharao und seine Heeresmacht, die auserlesenen Streiter, die zu dritt (auf jedem Streitwagen) waren, ins Meer stürzte, daß sie im Roten Meere versanken und die Wasser sie bedeckten“,3 so sanken Maxentius und seine Krieger und Garden „wie ein Stein in die Tiefe“.4 Da er vor der göttlichen Macht, die sich mit Konstantin verbündet, floh und über den auf seinem Marsche liegenden Fluß setzen wollte, wurde ihm die Schiffbrücke, die er sorgfältig über denselben hatte schlagen lassen, zum Verderben. Von ihm konnte man sagen: „Eine Grube hat er gegraben und sie aufgeworfen; er wird hineinfallen in das Loch, das er gemacht hat. Sein Schaffen wird sich gegen sein Haupt wenden, und seine Ungerechtigkeit auf seinen Scheitel nieder steigen.“5 Denn die über den Fluß gelegte Brücke löste sich, der Boden wich unter den Füßen, und die Boote mitsamt der Mannschaft verschwanden in der Tiefe, und zwar er, der Allergottloseste, zuerst, und dann seine Leibwache, S. 424 entsprechend der göttlichen Prophezeiung:6 „Sie gingen im tiefen Wasser unter wie Blei.“ Mit Recht sangen daher die, welchen Gott den Sieg verliehen, gleich den Gefährten des großen Dieners Moses, wenn nicht mit Worten, so durch die Tat das Lied, das jene gegen den gottlosen Tyrannen der alten Zeit gesungen, und sprachen:7 „Lasset uns singen dem Herrn! Denn wunderbar hat er sich verherrlicht. Pferd und Fahrer stürzte er ins Meer. Der Herr ist mir Helfer und Beschützer geworden, um mich zu retten. Wer ist gleich dir, o Herr, unter den Göttern? Wer ist dir gleich? Du bist verherrlicht unter den Heiligen; wunderbar bist du in deiner Herrlichkeit, du Wundertäter!“ Solche und ähnliche Lieder sang Konstantin durch seine Taten dem allwaltenden Gott, dem Urheber seines Sieges, und rückte im Triumphe in Rom ein, wo ihn alle Bewohner samt den Weibern und Kindern, die Senatoren und die übrigen hohen Beamten und das ganze römische Volk herzlich und strahlenden Auges als Erlöser, Heiland und Wohltäter unter Freudenrufen und unermeßlichem Jubel empfingen. Konstantin aber ließ sich bei der ihm angeborenen Frömmigkeit gegen Gott durch die Zurufe nicht irreführen und durch die Lobpreisungen nicht zu Hochmut verleiten, sondern befahl alsogleich in dem festen Bewußtsein, daß Gott ihm geholfen habe, daß man seinem Standbilde das Zeichen des heilbringenden Leidens in die Hand gebe. Und da sie ihn tatsächlich mit dem heilbringenden Zeichen in der Rechten an dem belebtesten Platze in Rom aufstellten, gebot er folgende Inschrift in lateinischer Sprache anzubringen: „Durch dieses Zeichen des Heiles, den wahren Prüfstein der Tapferkeit, habe ich eure Stadt vom Joche des Tyrannen errettet und befreit und dem Senate und Volke der Römer mit der Freiheit die alte Würde und den alten Glanz wiedergegeben.“8 S. 425 Da sie Gottes gnädiger Huld alle ihre Erfolge dankten, erließen daraufhin beide, Konstantin selbst und mit ihm Kaiser Licinius, dessen Geist damals noch nicht von dem Wahnsinn getrübt war, in den er später verfiel, in einhelligem Willen und Entschlusse ein vollständiges und umfassendes Gesetz zugunsten der Christen. An Maximinus, der noch über die Völker des Ostens regierte und ihnen gegenüber Freundschaft heuchelte, sandten sie einen Bericht über die Wunder, die Gott an ihnen gewirkt, und über den Sieg, den sie über den Tyrannen erfochten, sowie das erwähnte Gesetz.9 Er, der Tyrann, war ob dieser Nachrichten sehr bestürzt. Und da er einerseits den Schein vermeiden wollte, als füge er sich andern, anderseits aber auch aus Furcht vor den Auftraggebern den Befehl nicht zu unterschlagen wagte, so erließ er an die ihm untergebenen Statthalter notgedrungen, aber scheinbar aus eigenem Antrieb zugunsten der Christen zunächst folgendes Schreiben, worin er sich indes in lügenhafter Weise Dinge zuschreibt, die er niemals getan.
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Oben VIII 13 (S. 395f.). ↩
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Maximinus. ↩
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Exod. 15, 4 f. ↩
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Ebd. 15, 5. ↩
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Ps. 7, 16 f. ↩
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Exod. 15, 10. ↩
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Ebd. 15, 1. 2. 11. ↩
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Vgl. Leben Konstantins I 37—40. Von der bekannten Kreuzeserscheinung in jener Schlacht gegen Maxentius scheint Eusebius bei Niederschrift obigen Berichtes noch nichts gewußt zu haben. ↩
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Dieser Erlaß der Kaiser Konstantin und Licinius zugunsten der Christen dürfte identisch sein mit dem Mailänder Edikt, das unten zu Beginn des 5. Kap. des 10. Buches wiedergegeben wird. Allerdings wird vielfach behauptet, Eusebius nehme hier Bezug auf ein nun verlorengegangenes, die Freiheit der Christen noch etwas beschränkendes, 312 erschienenes Toleranzedikt. Gegen diese Hypothese vgl. u. a. K. Bihlmeyer, „Das angebliche Toleranzedikt Konstantins von 312. Mit Beiträgen zur Mailänder Konstitution (313), in Theol. Quartalschrift 96 (1914), S. 65—100, 198—224. ↩