10. Kap. Erwähnung der Bibel durch Josephus.
„Wir haben nicht unzählige Bücher, die ohne Zusammenhang sind und sich widersprechen. Wir besitzen nur 22 Schriften. Dieselben bilden aber eine Geschichte der ganzen Vergangenheit und werden mit Recht für göttlich gehalten. Fünf Bücher sind von Moses. Dieselben enthalten das Gesetz und die überlieferte Geschichte, angefangen von der Erschaffung des Menschen bis zum Tode des Moses; sie umfassen eine Zeit von fast 300 Jahren. Vom Tode des Moses an bis zum Tode des Artaxerxes, der nach Xerxes König der Perser gewesen war, haben die sich an Moses anschließenden Propheten1 die Geschichte ihrer Zeit in dreizehn Büchern niedergeschrieben. Die noch übrigen vier Bücher enthalten Lobgesänge auf Gott und Lebensregeln für die Menschen.2 Zwar ist auch noch von Artaxerxes an bis auf unsere Zeit alles aufgeschrieben worden, doch sind diese Aufzeichnungen nicht des gleichen S. 119 Glaubens gewürdigt worden wie die früheren, weil der ungestörte Anschluß an die Propheten fehlte.3 Wie hoch wir unsere eigenen Schriften schätzen, beweisen wir durch die Tat. Trotzdem nämlich bereits so lange Zeit (seit ihrer Abfassung) verflossen war, hat niemand es gewagt, etwas hinzuzufügen oder abzustreichen oder Nachträge zu machen. Allen Juden ist es schon von zarter Jugend an eingepflanzt, diese Schriften als Gottes Wort zu achten, sich daran zu halten und, wenn es notwendig ist, gern dafür zu sterben.“ Aus diesen Worten des Geschichtschreibers (Josephus), die ich hier angeführt habe, möge man lernen! Derselbe hat noch ein anderes, nicht unbedeutendes Werk verfaßt, und zwar über „Die Herrschaft der Vernunft“. Manche haben demselben den Titel „Makkabäerbuch“ gegeben, weil es von den Kämpfen derjenigen Hebräer erzählt, welche nach den sog. Makkabäerbüchern für ihre göttliche Religion mannhaft eingetreten waren.4 Am Ende des 20. Buches seiner „Altertümer“5 erklärt Josephus, daß er den Plan gefaßt habe, in vier Büchern gemäß der ererbten jüdischen Lehre über Gott, sein Wesen, die Gesetze und über die Frage, warum in den Gesetzen das eine erlaubt, das andere verboten ist, zu schreiben. Auch noch auf andere Arbeiten verweist er in seinen Schriften.6 Damit S. 120 das glaubwürdig erscheint, was wir aus seinen Schriften mitgeteilt haben, ist es gut, noch seine eigenen Worte, die am Schluß seiner „Altertümer“ stehen, anzuführen. Josephus macht dort dem Justus aus Tiberias, der gleich ihm eine Geschichte jener Zeit geschrieben hatte,7 den Vorwurf der Unwahrhaftigkeit und richtet noch verschiedene andere Angriffe gegen ihn; dann fährt er wörtlich fort:8 „Ich habe wahrlich nicht nach deiner Art wegen meiner Schrift Furcht gehabt, sondern habe meine Bücher den Kaisern vorgelegt zu einer Zeit, da die Ereignisse noch ziemlich aktuell waren. Ich war mir nämlich bewußt, daß ich mich in meinen Berichten an die Wahrheit gehalten habe. Und in der Erwartung, daß die Kaiser meine Berichte gutheißen werden, habe ich mich nicht getäuscht. Aber auch noch vielen anderen Persönlichkeiten habe ich meine Geschichte vorgelegt, von welchen einige am Kriege teilgenommen haben, wie z. B. König Agrippa und einige seiner Verwandten, Kaiser Titus hatte so sehr den Wunsch, daß man über die Geschichte der Ereignisse nur nach meiner Arbeit unterrichte, daß er mein Werk eigenhändig unterschrieb und den Befehl gab, es zu veröffentlichen. Und König Agrippa bezeugt in 62 Briefen meine wahrheitsgemäße Darstellung.“9 Zwei dieser Briefe fügt er seiner Schrift bei. Doch das Gesagte möge genügen!10 Gehen wir zum folgenden über! S. 121
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Das Wort Prophet ist hier im weitesten Sinne zu verstehen. ↩
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Mit Artaxerxes, d.h. mit Esdras, der unter Artaxerxes gelebt hatte, ist nach Josephus der jüdische Kanon abgeschlossen. Nach einer aus dem 2. oder 3. Jahrhundert herrührenden Stelle des babylonischen Talmud (Baraitha Baba bathra 14b) zählte allerdings der Kanon der palästinensischen Juden nicht 22, sondern 24 Bücher. Doch während in der talmudischen Angabe Ruth und Klagelieder für sich gezählt werden, sind sie bei Josephus mit Richter bzw. Jeremias verbunden. ↩
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διὰ τὸ μή γενέσθαι τὴν τῶν προφητῶν ἀκριβῆ διαδοχήν. Die Wahrheit und Göttlichkeit der heiligen Schriften wurde von den Juden mit der διαδοχή begründet; die διαδοχή ist aber auch für die christlichen Apologeten in der Begründung der Wahrheit und Göttlichkeit der Kirche ein wichtiger Faktor, wie uns gerade die KG des Eusebius zeigt. ↩
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Die philosophische Rede über „Die Herrschaft der Vernunft“, auch „Das vierte Makkabäerbuch“ genannt, ist von einem unbekannten hellenistischen Juden aus der Zeit des Josephus verfaßt. Vgl. E. Kautzsch, „Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testamentes“ II (Tübingen 1900) S. 149—177. ↩
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20, 268. ↩
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Altertümer 1, 25. 29; 3, 94. 143; 4, 198; 20, 267; Jüd. Krieg 5, 237. 247. ↩
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Justus aus Tiberias schrieb eine Geschichte des jüdischen Krieges und eine Chronik der jüdischen Könige; beide Schriften sind verlorengegangen. ↩
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„Mein Leben“ 361—364 (Ausg. von Niese). Diese Selbstbiographie des Josephus ist in der Regel als Anhang zu seinen „Altertümern“ veröffentlicht. ↩
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Für den Apologeten Eusebius hatten diese Erklärungen des Josephus Beweiskraft. Der psychologisch geschulte Historiker wertet sie aber ganz anders. ↩
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Die Schriften des Flavius Josephus sind herausgegeben von B. Niese in sieben Bänden (1885—1895). Die „Altertümer“ wurden übersetzt von K. Martin (3. Aufl. Köln 1892, besorgt von F. Kaulen), der „Jüdische Krieg“ von Ph. Kohout (Linz; 1901), beide Schriften von H. Clementz (Berlin 1923). Reichhaltige ältere Literatur über Josephus und seine Schriften bei Schürer, „Geschichte des jüd. Volkes“ I 3 u. 4 S. 98—106. Vgl. B. Brüne, „Flavius Josephus und seine Schriften in ihrem Verhältnis zum Judentum, zur griechisch-römischen Welt und zum Christentume“ (Gütersloh 1913). ↩