XV. Kapitel: Der Erlöser hat gelehrt, Wunder gewirkt und denen, die ihm treu blieben, Gutes getan.
Inhaltsangabe:
1.Der Sohn Gottes ruft zur Tugend, um zur Seligkeit zu führen; darum hat er gelehrt, die Unglücklichen getröstet, erleichtert, aufgerichtet, die Vermögenden zur Besonnenheit und zum Mitleid mit den Unglücklichen angehalten. Nur die Tugend gibt Aussicht auf Heil und Stärke in den Kämpfen des Lebens. 2.Entsprechend seinen Lehren hat Christus seine Jünger auch praktisch herangebildet, alle Schrecknisse zu verachten. 3.Einem, der gegen den Angreifer das Schwert gebrauchen wollte, hat er es verwiesen und dabei zum Gesetze gemacht, daß man nicht Unrecht tun darf, selbst wenn man Unrecht leiden muß. 4.Der Jünger hätte auf die Hilfe des anwesenden Gottes vertrauen und nicht auf einen zweifelhaften Sieg durch eigene Kraft hoffen sollen, zumal er Gottes Kraft schon so oft erfahren hatte. 5.Die Wunder Christi geben auch uns unerschütterliches Vertrauen, daß wir nicht überwunden werden können, mag das Unglück noch so groß sein. 6.Am schönsten haben wir das gesehen beim siegreichen Leiden Christi.
S. 237Und fürwahr, der Sohn Gottes ruft alle zur Tugend1 und zeigt sich allen Verständigen als Lehrer der Gebote seines Vaters, wir müßten es denn unvermerkt in schlimmer Unwissenheit verkennen, daß er um unseres Heiles willen, das heißt der Seligkeit der Menschen halber auf der Erde herumgewandelt ist, die Besten seiner Zeit zu sich berufen und sie in der heilbringenden Lehre unterrichtet hat, indem er sie gegenüber dem Neide des widerstrebenden Wesens, der die Unerfahrenen zu betören und zu täuschen liebt, das Heilmittel eines besonnenen Lebens, Glauben und Gerechtigkeit, lehrte. Darum hat er die Kranken heimgesucht, die Schwachen von den sie bedrängenden Leiden befreit, denen, die in die äußerste Armut und Not geraten waren, Trost gebracht, kluge und einsichtsvolle Mäßigung belobt und geboten, edelmütig und geduldig jeglichen Übermut und jegliche Verachtung zu ertragen; denn er lehrte, der Vater trage solchermaßen Fürsorge, daß immer Sieger bleibe, wer hochherzig die Widerwärtigkeiten erdulde. Das sei, versicherte er, die erstaunlichste und größte Kraft, Festigkeit des Geistes im Verein mit der Philosophie, d. h. der Erkenntnis des Wahren und des Guten, die auch die Reichen, sofern sie nur gerecht seien, daran gewöhne, von ihrem Vermögen den Ärmeren in liebevoller Weise mitzuteilen; dagegen verbot er auf jegliche Weise Überhebung und sagte, er lasse, wie er zu Niedrigen gekommen sei, so auch alle in ihrer Niedrigkeit, die aufhören würden, milde Gaben zu spenden2 ; beim Geschlechte der Menschen kenne der Anfang des Lebens nur Not und Blöße und das Ende gehe ebenso in Not und Blöße aus; einzig aller Sorge wert, lehrte er, sei die Tugend; diese befahl er zu ehren, da das Heil der Seele gleichsam auf dem Steuer der trefflichen Tugend beruhe, und in besonderem Maße müsse man Frömmigkeit, Besonnenheit und Güte üben; denn S. 238das sei die Art, die jedem Sturm des menschlichen Lebens sich entgegenstelle.
Nachdem er also mit ebensolchen und ähnlichen Geboten das Herz seiner Jünger belehrt hatte, führte er sie, damit sie nicht nur auf seine gesprochenen Aufträge, sondern auch auf seine Taten hin der so nützlichen Lebensweise nacheiferten, selber vorangehend, durch eine große und unbewohnte Gegend und durch eine wasserlose und ausgebrannte Sandwüste3 . Er führte sie auch durch die Wogen des tobenden Meeres, das von den Winden aufgewühlt war, und bannte die Wogen, daß sie sicher die Tritte Gottes und der wandelnden Gerechten trugen. Nachdem er dann in solch großen Prüfungen den Glauben der auf ihn hörenden Scharen erprobt hatte, bewirkte er nicht nur, daß sie Gefahren und Schrecknisse verachteten, sondern auch Schüler wurden, die hochherzig ihre Hoffnung auf ihn setzten. Ja, er hat auch einst einen seiner Gefährten, der sich allzusehr von seinem Zorn hatte hinreißen lassen, gescholten und zurückgehalten4 ; es versuchte jener einen, der mit dem Schwerte auf ihn losging, mit dem Schwerte abzuwehren, als ob ihm nicht die Hilfe des Heilandes zur Seite gestanden wäre; diesem nun befahl er, ruhig zu bleiben und das Schwert einzustecken, und er machte ihm Vorwürfe, daß er nicht vertrauensvoll bei ihm seine Zuflucht gesucht habe; und ausdrücklich gab er das Gesetz, daß jeder, der mit ungerechter Gewalttätigkeit beginne oder gegen den, der damit begonnen, Unrecht zu üben sich unterfange und das Schwert gebrauche, eines gewaltsamen Todes sterben solle.
Das ist in Wahrheit die himmlische Weisheit, lieber Unrecht leiden zu wollen als Unrecht zuzufügen5 , S. 239lieber, wenn die Not herantritt, bereitwillig Schlimmes erdulden als zu tun; da es nämlich das größte Übel ist, unrecht zu handeln so ist nicht, wer Unrecht erleidet sondern wer Unrecht tut der größten Strafe verfallen6 Dem Jünger Gottes stand es aber frei, weder Unrecht zu tun noch auch Unrecht zu erleiden, wenn er nur auf den Beistand des gegenwärtigen Gottes vertraut hätte, der allezeit hilfsbereit ist auf daß keinem seiner Jünger ein Schaden zustoßt. Wie aber hätte jener sich aufs beste beraten oder wie konnte er doch glauben die Hilfe Gottes gleichsam ausschlagen zu dürfen und sich selber helfen zu müssen? Es war ein Kampf zwischen zweien und ungewiß der Sieg; kein Mensch aber, der verständig ist, zieht das Ungewisse dem Sicheren vor7 . Wie aber konnte er an der Gegenwart und Hilfe Gottes zweifeln, da er so viele Gefahren durchgemacht hatte und immer auf den bloßen Wink Gottes hin leicht aus den Schrecknissen errettet worden war, da er auf das Geheiß des Erlösers durch das Meer gewandelt war8 , das sich gelegt und den Scharen, die durch das Wasser zogen, einen festen Weg geboten hatte? Denn das ist doch wohl eine augenscheinliche Grundlage für den Glauben und ein Fundament für das Vertrauen, wenn wir wahrnehmen, daß solch wunderbare und unglaubliche Dinge auf den Befehl des vorsehenden Gottes geschehen und sich verwirklichen. Daher kommt es auch, daß man sich selbst in der Stunde der Prüfung durch Unglück den Glauben nicht gereuen läßt und unverwandt seine Hoffnung auf Gott setzt; wenn nämlich diese Gesinnung in die Seele eingezogen ist, dann bleibt Gott immerdar im Geiste; dieser aber ist unbesieglich und darum kann S. 240auch die Seele, da sie in ihrem Denken das unbesiegliche Wesen hat, von dem sie bedrängenden Unglück nicht überwunden werden. Erfahren haben wir dies aus dem Siege des Gottes, der, für alle Vorsorge treffend, von der Ungerechtigkeit der Gottlosen schmählich behandelt wurde und doch, ohne irgend einen Schaden bei seinem Leiden zu nehmen, über die Bosheit den größten Sieg davongetragen und gleichsam einen ewigen Siegeskranz gewonnen hat, weil er der Absicht seiner eigenen Vorsehung und Liebe hinsichtlich der Gerechten zu Ende geführt und die Grausamkeit der Ungerechten und Gottlosen zuschanden gemacht hat.
-
Weil nur die Tugend zur ewigen Seligkeit führen kann, ist Christus unser Führer zur Tugend geworden; ein Pochen auf eigene Kraft würde, wie das Beispiel des Petrus zeigt, zu einem gänzlichen Mißerfolg führen. ↩
-
Der Text ist verderbt überliefert. ↩
-
Bei den in diesem Kapitel erwähnten Wundern Christi sind viele Züge nicht der Hl. Schrift entnommen oder sogar in Widerspruch mit ihr. ↩
-
Vgl. Matth. 26, 51 ff. ↩
-
Damit ist zum Ausgang der Einführung in die christliche Lehre [Kap. 11] zurückgekehrt: Christus hat sich in seiner Menschenfreundlichkeit lieber töten lassen als von seiner Macht zum Untergang der Gottlosen Gebrauch machen wollen. — Die Gläubigen müssen auf seinen Beistand vertrauen, nicht auf die eigene Kraft, und werden dann immer siegen, wie Christus am Kreuze den schönsten Sieg errungen. ↩
-
Vgl. Plato, Krito 48 D; Gorg. 469 B f. ↩
-
Man darf nicht vergessen, daß Petrus das Schwert erhob gegen den Vertreter der legitimen Gewalt. Hätte er auf Christus fest vertraut, wäre er wohl äußerlich unterlegen, aber innerlich gerade so wie Christus selbst siegreich geblieben; so aber war sein Sieg sehr zweifelhaft und den Siegeskranz hochherziger Geduld hat er nicht errungen. ↩
-
Vgl. Matth. 14, 28 ff. ↩