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S. d375 Seien wir also dieser teuflischen Bosheit wohl eingedenk und bleiben wir uns bewusst, dass diese1 , sowie alle, die da behaupten, das blinde Schicksal regiere die Welt, den weltlichen Gesetzen widersprechen, sowie auch den heiligen Gesetzen Gottes, dem Zeugnis der Natur, der allgemeinen Überzeugung des menschlichen Geschlechtes, den Barbaren, den Skythen, den Thraziern, sowie überhaupt gar allen. Seien wir darum vernünftig, Geliebte, geben wir allen jenen Leuten den Abschied und wandeln wir auf dem engen Wege mit Vertrauen und mit Furcht; mit Furcht wegen der Abgründe, die auf beiden Seiten drohen, mit Vertrauen, weil Jesus unser Führer ist. Wandeln wir nüchtern und in wachem Zustande. Wer auch nur einen Augenblick einschläft, stürzt alsbald in den Abgrund. Wir sind eben nicht stärker als David, der in einem Augenblick der Unachtsamkeit bis in den tiefsten Abgrund der Sünde stürzte. Allein er erhob sich alsbald wieder. Darum sollst du nicht bloß auf seine Sünde schauen, sondern auch darauf, dass er die Sünde wieder gesühnt hat. Deshalb ward ja jene Begebenheit aufgezeichnet, nicht damit du den Gefallenen sehest, sondern den Aufstehenden bewunderst; damit du lernest, wie man sich wieder aufrichten soll, nachdem man gefallen ist. Auch die Ärzte wählen unter allen Krankheiten die schwersten aus, schreiben sie auf und geben an, wie man sie heilen muss, damit sie durch die Übung an den schweren Krankheiten auch der leichteren mühelos Herr werden. Ebenso hat auch Gott gerade die schwersten Sünden angeführt, damit jene, die nur leichte Sünden begingen, durch sie mit Leichtigkeit den Weg zur Besserung für diese fänden. Denn wenn jene schweren Sünden Heilung fanden, dann um so eher die leichten.
Sehen wir also wie es kam, dass der selige David einmal schwach wurde, aber dann alsbald sich wieder vom Falle erhob. Wie verhielt es sich also mit seinem Falle? David beging einen Ehebruch und einen Mord. Ich schäme mich nicht diese Dinge deutlich mit Namen zu nennen. Wenn der Heilige Geist es nicht für eine Schande hielt, diese ganze Geschichte andere schreiben zu lassen, so dürfen um so weniger wir sie vertuschen S. d376 wollen. Deshalb will ich sie nicht nur erzählen, sondern auch anderes hinzufügen. Gerade diejenigen, die diese Geschichte verheimlichen wollen, verbergen damit auch Davids Tugend. Wer seinen Kampf mit Goliath verschweigt, raubt ihm keinen geringen Siegeskranz; ebenso machen es auch diejenigen, die diese Geschichte übergehen. Scheinen aber meine Worte nicht einen Widerspruch zu enthalten? Nun, habet ein wenig Geduld, und ihr werdet sehen, dass wir ganz recht hatten, so zu reden. Nur aus dem Grunde lasse ich die Sünde recht schwer erscheinen, stelle die Gegensätze recht scharf ins Licht, um so die Heilmittel um so wirksamer zu machen. Was ist es also, was ich noch hinzufügen will? Die Tugend des Mannes, die lässt seine Schuld nur noch größer erscheinen. Nicht alles wird bei allen gleich beurteilt. „Die Mächtigen“, heißt es, „werden hart gerichtet werden“2 , und: „Wer den Willen seines Herrn kennt, ihn aber nicht tut, wird schwer gestraft werden“3 . Die größere Erkenntnis ist also Ursache größerer Strafe.
Deshalb wird auch einen Priester, der die gleiche Sünde begeht, wie seine Untergebenen, nicht die gleiche, sondern eine viel schwerere Strafe treffen. Wenn ihr nun aber seht, wie ich den Fall Davids noch immer schwerer hinstelle, so zittert ihr vielleicht und seid in Furcht und wundert euch, dass ich so gleichsam aus der Höhe auf ihn herabstürze. Ich bin der Sache dieses Gerechten so gewiss, dass ich sogar noch weiter gehe; denn je größer ich die Sünde erscheinen lasse, um so mehr werde ich imstande sein, das Lob Davids zu zeigen. Aber was kann man noch mehr sagen, als das? O, noch viel mehr! Auch bei Kain handelte es sich nicht bloß um einen Mord, sondern um etwas, was viel schlechter war als viele Mordtaten. Er hat ja keinen Fremden erschlagen, sondern den eigenen Bruder, und dazu einen Bruder, der ihm keinerlei Leid zugefügt, sondern dem er unrecht getan hatte; und dies nicht etwa, nachdem schon viele Mordtaten vorgekommen waren, sondern er war der erste, der auf eine so S. d377 ruchlose Tat verfiel. So war auch hier die Tat des David nicht bloß ein Mord. Der Täter war ja nicht irgendein unbekannter Mann, sondern ein Prophet. Und zwar tötete er nicht einen, der ihm unrecht getan, sondern dem er Böses zugefügt hatte; denn ihm ward schon früher Unrecht geschehen, als ihm die Frau geraubt wurde. Gleichwohl hat David zu dem einen Unrecht auch das andere hinzugefügt. Sehet ihr, wie ich des Gerechten nicht schone und seine Fehltritte ohne irgendwelche Zurückhaltung erzähle? Dennoch bin ich für seine Ehrenrettung so wenig in Angst, dass ich trotz dieser schweren Sünde wünschte, es möchten auch die Manichäer, die ja am meisten darüber spotten, und alle, die von der Häresie des Marcion angesteckt sind, zugegen sein, um sie ganz und gar zum Schweigen zu bringen. Sie sagen, er habe Mord und Ehebruch begangen. Ich aber sage nicht bloß das, ich sage, er hat einen zweifachen Mord begangen, einen an dem Opfer seines Unrechtes, den anderen an der Würde der eigenen sündigen Person.