11.
S. 80Hätten sie gesagt, Gott will uns wegen unserer Sünden nicht befreien, und wären dann wirklich nicht gerettet worden, so hätte man ihnen keinen Glauben geschenkt. Deshalb reden sie hier nicht davon; dafür tun sie es dann im Feuerofen selbst, wo sie ununterbrochen ihrer Sünden gedenken. Vor dem König tun sie nichts dergleichen, sondern versichern nur, sie werden ihre Religion auch dann nicht verraten, wenn das Feuer sie verzehren sollte. Denn nicht um Lohn und Entgelt haben sie so gehandelt, sondern allein aus Liebe, obgleich sie ja Kriegsgefangene und Sklaven waren und keinerlei Annehmlichkeiten sich erfreuten. Vaterland, Freiheit und Eigentum hatten sie alles verloren. Da komme mir nicht mit den Ehren, die sie am Hofe genossen. Als heilige und gerechte Männer hätten sie tausendmal lieber zu Hause als Bettler gelebt und sich an der Herrlichkeit des Tempels erfreut. „Lieber möchte ich der letzte sein im Hause meines Gottes, als mit Sündern unter einem Dache wohnen“, und: „Besser ist ein Tag in Deinen Zelten, als tausend andere“1 . Tausendmal lieber wäre es ihnen also gewesen, zu Hause verachtet, als wie in Babylon König zu sein. Das beweisen auch ihre Reden im Feuerofen, dass ihnen nämlich der Aufenthalt in Babylon gar schwer fiel. Denn wenn ihnen auch viele Ehrenbezeugungen zuteil wurden, so schmerzte sie doch der Anblick des Unglückes ihrer Brüder gewaltig. So ist es gewöhnlich bei den Heiligen. Nicht Ruhm, nicht Ehre, gar nichts ziehen sie dem Wohle ihrer Brüder vor. Siehe also nur, wie sie mitten im Feuerofen für das ganze Volk flehen. Und wir? Wir denken nicht einmal in Zeiten der Ruhe und des Friedens an unsere Brüder. Und da sie Traumgesichte erforschten, hatten sie nicht ihr eigenes Wohl im Auge, sondern das der Gesamtheit; denn dass sie selbst des Todes nicht achteten, haben sie nachher auf vielfache Weise gezeigt. Überall bieten sie sich selbst als Opfer an, um Gott zur Milde zu stimmen, Dann, als sie sich allein nicht für genügend halten, nehmen sie ihre Zuflucht zu ihren Vätern; von sich selbst aber sagen sie, S. 81dass sie nichts anderes mitbringen, als einen zerknirschten Geist2 .
Diese3 wollen also auch wir nachahmen. Auch vor uns steht ja ein goldenes Götzenbild, der verführerische Mammon. Horchen wir aber nicht auf die Pauken, nicht auf die Flöten und die Zimbeln, noch auf anderen eitlen Schein des Reichtums. Nein, lieber wollen wir in den Feuerofen der Armut geworfen werden, als vor jenem unsere Knie beugen; dann wird auch uns in diesem Feuerofen kühlender Tauwind umwehen. Bangen wir also nicht, wenn wir vom Feuerofen der Armut hören. Auch damals gingen ja diejenigen, die in den Feuerbrand geschleudert wurden, viel herrlicher daraus hervor, während die anderen, die vor dem Bild niederfielen, zugrunde gingen. Allerdings geschah damals beides zugleich. Bei uns aber geschieht der eine Teil in dieser Welt, der andere in jener, zuweilen aber auch schon hienieden und in der anderen Welt. Diejenigen nämlich, die lieber die Armut erwählt haben, als vor dem Mammon niederzufallen, werden hienieden und drüben mehr Ehre finden; wer aber hier ungerechten Reichtum angesammelt, wird dort die allerschwerste Strafe finden. Aus diesem Feuerofen ging auch Lazarus hervor, der nicht weniger glorreich ist als jene drei Jünglinge. Der Reiche hingegen, der die Rolle der Bildanbeter vertrat, ward zur Hölle verdammt. Jenes war nämlich ein Gleichnis für dieses. Wie dort denen, die im Feuerofen waren, kein Leid geschah, während die Außenstehenden in der schrecklichsten Weise umkamen, so wird es auch da sein. Die Heiligen, die durch den Feuerofen gehen, bleiben unversehrt, ja ernten Ruhm; die aber das Bild anbeten, werden es erleben müssen, wie das Feuer, wilder als ein wildes Tier, sie anfällt und hineinzieht. Wer aber nicht an die Hölle glaubt, der schaue auf diesen Feuerbrand, und lasse sich durch das, was er sieht, von jenem, was erst bevorsteht, überzeugen, und sei nicht in Furcht vor dem Glühofen der Armut, sondern S. 82dem der Sünde. Denn dieser ist in der Tat Feuer und Schmerz. jener nur kühlender Tau und Linderung; bei jenem Ofen steht der Teufel daneben, bei diesem verwehen die Engel die Flammen.