5.
Darum preise und bewundere ich die Mönche, die sich in die Wüste zurückgezogen haben, nebst anderen Gründen auch dieses Wortes wegen. Denn nach dem Mittagsmahle, vielmehr nach dem Abendessen1 , nach der Mahlzeit also gedenken sie bei den Dankeshymnen auch dieses Wortes. Wenn es euch angenehm ist, die Hymnen selbst zu vernehmen, will ich euch diesen hl. Gesang ganz mitteilen, damit auch ihr ihn häufig betet. Sein Wortlaut ist also folgender: „Gepriesen sei der Herr, der mich von Jugend auf nährt, der Speise gibt allem Fleische; erfülle unser Herz mit Freude und Wonne, damit wir allzeit das Genügende haben und reichlich gute Werke zeitigen in unserem Herrn Jesus Christus, mit welchem dir und dem Heiligen Geiste Ruhm und Ehre und Macht sei in Ewigkeit. Amen. Ehre sei Dir, o Herr, Ehre sei Dir, o Heiliger, Ehre sei Dir, o König, weil Du uns mit Nahrung erquickt hast. Erfülle uns mit dem Heiligen Geiste, dass wir vor Deinem Angesichte wohlgefällig erfunden und nicht zuschanden werden, wenn Du einem jeglichen vergelten wirst nach seinen Werken.“ Dieser ganze Hymnus ist bewunderungswürdig, namentlich der Schluss. Da nämlich der Tisch und die Speise gewöhnlich Zerstreuung und Schwerfälligkeit mit sich bringen, so legen sie durch diese Worte der Seele gleichsam einen Zaum an, indem sie ihr zur Stunde der Erholung die Zeit des Gerichtes ins Gedächtnis rufen. Sie wussten ja, was dem S. d794 Volke Israel nach einer reichlichen Mahlzeit widerfahren war. „So aß“, heißt es, „der Liebling, und wurde feist und schlug aus“2 ; deshalb befahl auch Moses: „Wenn du gegessen und getrunken hast, und satt geworden bist, gedenke des Herrn, deines Gottes“3 . Denn nach dieser Mahlzeit unterfingen sie sich, ihre bekannten Schändlichkeiten zu verüben. Sieh dich deshalb vor, dass es dir nicht ähnlich ergehe. Denn wenn du auch nicht Steine oder goldene Schafe und Kälber opferst, so musst du dich doch in acht nehmen, dass du nicht deine eigene Seele dem Zorne, und dein eigenes Heil der Unzucht und anderen Leidenschaften zum Opfer bringst. Hierin liegt der Grund, weshalb jene Mönche diese Gefahren fürchten und nach der Mahlzeit, richtiger gesagt nach dem Fasten4 des schrecklichen Gerichtes und des jüngsten Tage gedenken. Wenn nun diese Männer, welche fasten, auf bloßer Erde schlafen, Nächte durchwachen, Bußgürtel tragen und vieles andere tun, um sich abzutöten, noch diese Erinnerungen notwendig haben, wie wollen wir es zustande bringen, mäßig zu leben, wir, die wir Mahlzeiten mit tausend Gelegenheiten zum Schiffbruch halten und überhaupt nicht beten, weder zu Beginn noch am Schlusse?
Um also der Gefahr dieses Schiffbruches auszuweichen, wollen wir jenen Hymnus durchnehmen und erklären, damit wir seine Nützlichkeit erkennen, ihn fleißig bei Tisch beten, die Gaumenlust ersticken und jener engelgleichen Leute Sitten und Gebräuche zu den unsrigen machen. Eigentlich solltet ihr sie aufsuchen, um diesen Nutzen zu gewinnen. Da euch dieses jedoch nicht vergönnt ist, so hört wenigstens aus meinem Munde jene geistliche Weise, und jeder bete nach Tisch diese Worte. Der Beginn lautet: „Gepriesen sei Gott.“ Damit erfüllen sie sogleich das Geheiß des Apostels: „Alles, was immer wir tun, im Worte oder im Werke,5 im Namen des Herrn Jesus Christus, danksagend Gott und dem Vater durch ihn“6. S. d795 Ihre Danksagung erstreckt sich aber nicht bloß auf jenen Tag allein, sondern auf das ganze Leben; denn sie sagen: „der mich von Jugend auf nährt“. Darin liegt eine Tugendlehre; denn wenn Gott der Ernährer ist, so braucht man sich keine Sorgen zu machen. Verspräche dir der König, dir aus seinen eigenen Mitteln den täglichen Unterhalt zu gewähren, würdest du da wohl besorgt sein? Um so mehr musst du dich jeglicher Sorge entschlagen, wenn ihn dir Gott gewährt und dir alles gleichsam wie aus einem reichlichen Borne zuströmt. Zu dem Zwecke beten sie diese Worte, um sich und ihre Jünger aufzumuntern, jede Sorge um die Lebensbedürfnisse abzulegen. Damit man ferner nicht meine, sie brächten diesen Dank nur für ihre Person allein dar, fahren sie fort: „der du Nahrung gibst allem Fleische“; so danken sie im Namen der ganzen Welt und verrichten ihre Andacht im Namen aller, als wären sie Väter der ganzen Welt, und muntern sich auch dadurch zu echter Brüderlichkeit auf. Denn sie können doch jene nicht hassen, für deren Ernährung sie Gott danken. Siehst du also, wie auch die Liebe durch dieses Dankgebet geweckt und die Sorge um das Leben durch die früheren wie auch durch diese Worte verscheucht wird? Wenn nämlich Gott alles Fleisch ernährt, wieviel mehr wird er seine Tischgenossen ernähren? Wenn schon diejenigen, die in Lebenssorgen verstrickt sind, wieviel mehr diejenigen, die sich ihrer entledigt haben? Diesen Gedanken hat auch Christus ausgesprochen, als er sagte: „Um wieviel mehr seid ihr wert als viele Sperlinge?“7 . Dadurch wollte er uns anleiten, uns nicht auf Reichtum und Besitz zu verlassen. Denn nicht diese Dinge gewähren uns den Lebensunterhalt, sondern das Wort Gottes. Mit diesem Gebete bringen die Mönche auch die Manichäer und Valentinianer zum Schweigen und alle, welche von dergleichen Irrtümern angesteckt sind. Denn derjenige kann doch nicht böse sein, der alle seine Gaben anbietet, sogar denen, die ihn lästern.
Dann folgt die Bitte: „Erfülle mit Freude und S. d796 Wonne unser Herz.“ Was für eine Freude mag da wohl gemeint sein? Etwa die Lebenslust? Gott bewahre! Denn wenn sie darnach strebten, hätten sie nicht die Gipfel der Berge und die Einöden aufgesucht noch Bußkleider angelegt; sie meinen vielmehr jene Freude, die nichts mit dem Leben auf Erden gemein hat, die Freude der Engel, die Freude des Himmels. Diese Bitte bringen sie auch nicht so einfachhin, sondern mit großem Nachdruck vor; sie sagen nicht etwa nur: gib, sondern: „erfülle“, nicht etwa nur: uns, sondern „unser Herz“. Diese Freude ist ja ganz besonders eine Freude des Herzens denn: „Die Frucht des Geistes ist: Liebe, Freude, Friede“8 . Da die Sünde Trauer in die Seele bringt, so flehen sie, es möge ihnen durch die Freude die Gerechtigkeit eingepflanzt werden; auf andere Weise dürfte wohl keine Freude einkehren. „Damit wir allezeit das Genügende haben und reichlich gute Werke zeitigen.Siehe, wie sie das Wort des Evangeliums erfüllen: „Gib uns heute unser tägliches Brot“9 , und wie sie dieses Brot um der geistlichen Dinge willen erbitten, da sie beten: „damit wir reichlich gute Werke zeitigen“. Sie sagen nicht: damit wir nur das Pflichtgemäße tun, sondern mehr als was befohlen ist. Das besagen nämlich die Worte: „damit wir reichlich zeitigen“. In Betreff der zeitlichen Dinge bitten sie Gott um das Hinreichende; sie selber dagegen wollen Gott nicht bloß gehorchen in dem, was notwendig und genügend ist, sondern sie wollen auch mit großem Eifer und in allen Dingen gehorchen. Das ist das Kennzeichen wackerer Diener, das das Merkmal tugendhafter Männer, dass sie immer und in allen Stücken über das notwendige Maß hinausgehen.
Aber sogleich erinnern sie sich wieder, dass sie schwach sind und ohne den Beistand von oben nichts Tüchtiges zuwege bringen können. Daher schließen sie an die Worte: „damit wir reichlich gute Werke zeitigen“ die weiteren an: „In Jesus Christus, unserem Herrn, mit dem Dir Ruhm, Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. S. d797 Amen“; somit beten sie am Schlusse der Danksagung ähnlich wie am Eingange.