3.
Die Rücksichtslosigkeit des Mannes erhellt auch noch aus dem Umstand, dass er in Gegenwart des Volkes die Jünger bei Christus bloßstellt: „Ich habe ihn zu Deinen Jüngern gebracht und sie vermochten nicht, ihn zu heilen.“ Der Herr aber nimmt seine Jünger vor dem Volke in Schutz gegen diesen Vorwurf und schreibt ihm die Hauptschuld zu.
V.17: „O ungläubiges und verkehrtes Geschlecht“, sagt er, „wie lange noch werde ich bei euch sein?“
Doch will er damit auch die Juden, nicht den Mann allein treffen, um ihn nicht zu beschämen. Sonst hätten viele der Anwesenden Anstoß nehmen und über die Jünger ungebührlich denken können. Mit den Worten: „Wie lange werde ich noch bei euch sein“, bringt er wieder zum Ausdruck, dass ihm der Tod erwünscht sei, dass er sich darnach sehne und nach seinem Hingange verlange, dass nicht der Tod am Kreuze für ihn schwer sei, sondern sein Verweilen unter ihnen. S. d825 Bei bloßen Vorwürfen lässt er es aber nicht bewenden; er sagt vielmehr: „Bringet ihn mir hierher.“ Und er fragt ihn selbst, wie lange er schon leide; weil er sowohl seine Jünger in Schutz nehmen, als auch ihn selbst mit froher Hoffnung und mit dem Vertrauen erfüllen will, dass er bald von seinem Leiden werde befreit werden. Der Herr ließ es aber geschehen, dass der Besessene hin- und hergezerrt wurde, nicht um ein Schauspiel zu bieten1 , sondern um seines Vaters willen, der sehen sollte, dass der Teufel beim bloßen Anreden erschrickt, um wenigstens hierdurch zum Glauben an das bevorstehende Wunder gebracht zu werden. Der Mann hatte gesagt: „Von Jugend auf“, und: „Wenn du kannst, hilf uns“; Christus antwortet ihm: „Alles ist dem möglich, der glaubt“2 , und lenkt damit den Tadel wieder auf ihn zurück. Auch der Aussätzige hatte gesagt: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen“3 , und hatte dabei die Macht Christi bekannt; darum lobte ihn der Herr und bekräftigte seine Worte, indem er sprach:„Ich will, sei rein.“ Dieser Mensch aber hatte durch seine Worte: „Wenn du es vermagst, hilf mir“, der Macht des Herrn Unehre angetan; darum stellt er auch die Rede richtig, weil sie etwas Ungehöriges enthielt. Was sagt er also? „Wenn du glauben kannst, so ist dem alles möglich, der glaubt.“ Das soll heißen: So groß ist meine Machtfülle, dass ich sogar andere in den Stand setzen kann, solche Wunder zu wirken. Wenn du also glaubst, wie es recht ist, wirst auch du heilen können, nicht bloß diesen, sondern noch viele andere. Nach diesen Worten befreite er den Besessenen vom Teufel.
Hierbei kannst du auch beachten, dass seine Fürsorge und Wohltätigkeit diesen Menschen nicht erst jetzt, sondern schon seit jener Zeit begleitete, da er dem Teufel gestattete, in ihm zu wohnen; denn wäre er nicht damals schon unter dem besonderen Schutze Gottes gestanden, so hätte er schon längst umkommen müssen. Denn, wie wir hören, hatte ihn der Teufel ins Feuer S. d826 und ins Wasser gestürzt. Wenn er es so weit trieb, hätte er ihn auch ganz umgebracht, hätte nicht Gott seiner großen Wut einen festen Zaum angelegt, ähnlich wie bei jenen, welche nackt in den Wüsten herumlaufen und sich mit Steinen zu zerschmettern suchen. Wenn er aber mondsüchtig genannt wird, so lass dich das nicht beirren; das ist nur das Gerede seines Vaters. Wie kommt es nun aber, dass der Evangelist sagt, Christus habe viele Mondsüchtige geheilt? Damit gibt er nur der Anschauung der Menge Ausdruck. Denn um diesen Himmelskörper in Verruf zu bringen, befällt der Teufel die Besessenen und lässt wieder von ihnen, entsprechend dem Laufe des Mondes; doch ferne sei es zu glauben, der Mond sei die Ursache dieser Erscheinung; der Teufel ist der Urheber dieses Leidens und will, dass man dem Mond die Schuld dafür zuschreibe. So konnte auch diese irrtümliche Meinung bei den Ungebildeten platzgreifen, und infolgedessen gab man derartigen Teufeln den Namen Mondsüchtige. Doch stimmt dies nicht mit der Wahrheit überein.
V.19: „Da traten die Jünger allein zu Jesus heran und fragten: Warum vermochten wir nicht, den Teufel auszutreiben?“
Mir scheint, die Apostel waren voll Angst und Besorgnis, die Gnadengabe, die ihnen verliehen worden war, verloren zu haben. Sie hatten ja die Gewalt gegen die unreinen Geister erhalten. Deshalb treten sie auch ohne Zeugen vor ihn, um ihn zu fragen, nicht aus Scham, denn da die Sache öffentlich war, da sie öffentlich bloßgestellt worden waren, wäre es doch gegenstandslos gewesen, wenn sie sich geschämt hätten, es einzugestehen, sondern, weil sie ihn über eine geheime wichtige Angelegenheit befragen wollten. Und Christus?
V.20: „Er sprach zu ihnen: Wegen eures Unglaubens. Denn wenn ihr Glauben habet wie ein Senfkorn, werdet ihr zu diesem Berge sagen: Gehe hinweg, und er wird weggehen, und nichts wird euch unmöglich sein.“
Du fragst vielleicht: Wo haben sie je einen Berg versetzt? Ich antworte: Sie haben noch viel größere S. d827 Wunder verrichtet durch Tausende von Totenerweckungen. Denn einen Berg zu versetzen steht nicht auf gleicher Stufe wie eine Leiche dem Tode entreißen. Übrigens wird auch berichtet, dass in späterer Zeit manche, die an Heiligkeit weit hinter den Aposteln standen, im Notfalle Berge versetzt haben. Daraus folgt offenbar, dass auch sie es im Notfalle getan hätten. Wenn aber damals kein solcher Notfall eintrat, so brauchst du deshalb nichts an ihnen auszusetzen. Zudem hatte ja auch der Herr nicht gesagt: Ihr werdet nach Belieben Berge versetzen, sondern: „Ihr werdet auch das vermögen.“ Wenn sie nun keine Berge versetzten, so liegt der Grund nicht darin, dass sie es nicht vermocht hätten4 , sondern weil sie nicht wollten, da kein triftiger Anlass dazu vorlag. Weil aber überhaupt nicht alle ihre Wundertaten aufgeschrieben worden sind, kann es wohl sein, dass sie auch Berge versetzt haben, ohne dass es aufgezeichnet worden ist.
Zu jener Zeit waren sie aber noch recht unvollkommen. Und inwiefern? Hatten sie damals auch diesen Glauben nicht? Nein. Sie waren eben nicht immer dieselben. Petrus wird das eine Mal selig gepriesen, dann wieder getadelt; die übrigen werden vom Herrn getadelt, weil sie in ihrem Unverstande das Gleichnis vom Sauerteig nicht begriffen. So zeigten sich die Jünger auch in unserem Falle schwach; vor dem Kreuzestode Christi waren sie eben noch gar zu unvollkommen. Hier nun handelt er vom Glauben an die Wunder und weist auf das Senfkorn hin, um die unbeschreibliche Kraft des Glaubens zu kennzeichnen. Das Senfkorn ist dem Äußeren nach zwar klein, aber an Leistungsfähigkeit übertrifft es alle Samenkörner. Das Senfkörnlein also führt er an, um zu zeigen, dass auch das geringste Maß echten Glaubens Großes vermag. Aber auch das genügt ihnen nicht; er spricht auch noch vom Bergeversetzen; ja er geht noch weiter und sagt: „Nichts wird euch unmöglich sein.“