3.
Bedenke also, welch ein Schauspiel es gewesen sein muss, einen Mann aus der Wüste kommen zu sehen, in der er dreißig Jahre gelebt, den Sohn eines Hohenpriesters1 , der niemals menschliche Bedürfnisse gezeigt, der in jeder Hinsicht Verehrung und Achtung verdiente, und für den sogar Isaias Zeugnis ablegte. Denn auch er kam gleichsam und kündigte den Täufer an mit den Worten: Der ist's, von dem ich prophezeite, er werde kommen als Rufender, und werde in der Wüste mit lauter Stimme alles künden. So wichtig waren den Propheten diese Dinge, dass sie nicht bloß ihren eigenen Herrn, sondern auch seinen zukünftigen Diener lange vorher ankündigten, und zwar nicht bloß ihn selbst, sondern sogar den Ort, an dem er wohnen sollte, und die Art und Weise, wie er predigen würde, um nach seiner Ankunft die Menschen zu belehren, endlich das ganze Heilswerk, das durch ihn seinen Anfang nehmen sollte. Beachte nun auch, wie sie beide, der Prophet und S. 168der Täufer, in den gleichen Gedanken, wenn auch nicht in den gleichen Worten zusammentreffen. Der Prophet verkündet, dass der Täufer bei seiner Ankunft sagen werde;
V.3:„Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Pfade“2 .
Als aber der Täufer selber kam, sagte er: „Bringet würdige Früchte der Buße“3 . Das ist gleichbedeutend mit den Worten: „Bereitet den Weg des Herrn.“ Siehst du, wie sowohl die Worte des Propheten als auch die Predigt des Täufers nur dieses eine offenbaren, dass Johannes der Vorläufer wurde und der Wegbereiter, dass er nicht die Gabe selber austeilen sollte, die da ist die Vergebung der Sünden, sondern nur die Seelen derer vorbereiten, die da willig wären, den Herrn des Weltalls aufzunehmen. Lukas fügt noch etwas weiteres hinzu; er begnügt sich nicht bloß mit dem Anfang, sondern gibt gleich die ganze Prophetie mit den Worten: „Jedes Tal wird ausgefüllt, jeder Berg und jeder Hügel abgetragen; das Krumme wird gerade sein, und die unebenen Wege werden glatt, und alles Fleisch wird schauen Gottes Heil“4 Siehst du, wie der Prophet zum voraus alles verkündet, das Zusammenströmen des Volkes, den Umschwung der Dinge zum Besseren, die Freiheit der Predigt und die Ursache alles dessen, was vorgefallen, wenngleich er freilich all dies stark bildlich ausgedrückt hat. Seine Worte waren eben eine Prophetie. Wenn er also sagt: „Jedes Tal wird ausgefüllt, jeder Berg und jeder Hügel abgetragen, und die unebenen Wege werden eben“, so ist dies nur ein Hinweis darauf, wie die Demütigen erhöht werden, die Anmaßenden Demütigung erfahren, wie die Last des Gesetzes der Freiheit des Glaubens weichen musste. Fürderhin, will er sagen, gibt es keine Mühen und Anstrengungen mehr, sondern nur noch Gnade und Vergebung der Sünden, die uns die S. 169Erlangung des Heiles überaus leicht machen. Dann gibt er den Grund dafür an in den Worten: „Alles Fleisch wird schauen Gottes Heil“; nicht mehr bloß die Juden und Proselyten, nein, die ganze Erde und das Meer, das gesamte Menschengeschlecht. Durch den Ausdruck „das Verkehrte“ will er nämlich alle diejenigen bezeichnen, die ein verkehrtes Leben führten, die Zöllner, Huren, Räuber, Zauberer, alle jene, die früher auf Abwege geraten waren und dann erst den rechten Weg betraten. Das also meint er mit den Worten: „Die Zöllner und Huren kommen noch vor euch in das Reich Gottes, weil sie geglaubt haben“5 . Ganz denselben Gedanken kleidet der Prophet auch noch in andere Worte, wo er sagt: „Dann werden die Wölfe und die Lämmer miteinander weiden“6 . Dort hat er durch Hügel und Täler das sittenlose Leben bezeichnet, das sich zum Bunde mit der einen Lebensweisheit einen werde; hier deutet er durch die Natur der Tiere die verschiedenen Sitten der Menschen an, und will damit sagen, dass sie alle wieder zu einer Harmonie der Gottseligkeit vereinigt werden. Auch gibt er dort den Grund dafür an; und der lautet: „Es wird die Zeit kommen, da sich einer erheben wird, um über die Völker zu herrschen; auf ihn werden die Nationen ihre Hoffnung setzen“7 . Dasselbe sagt er auch hier: „Alles Fleisch wird schauen das Heil des Herrn.“ An all diesen Stellen zeigt er uns an, dass die Kraft und die Kenntnis des Evangeliums bis an die Grenzen der Erde sich ausbreiten und das Menschengeschlecht vom tierischen Leben und roher Gesittung zu großer Güte und Milde erziehen werde.
V.4: „Johannes selbst aber trug ein Kleid von Kamelhaaren und einen Ledergürtel um seine Lenden.“
Siehst du, wie die Propheten nur einen Teil der Offenbarung vorherverkündeten, das andere den Evangelisten überließen? Darum erwähnt auch Matthäus nicht bloß die Prophetien, sondern fügt auch noch von S. 170seinem Eigenen hinzu, und hielt es nicht für überflüssig, von der Bekleidung des Heiligen zu reden.