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Œuvres Jean Chrysostome (344-407) In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV)
VIERZEHNTE HOMILIE: Kap. VII, V. 14—25 u. Kap. VIII, V. 1—11.

10.

Welcher vernünftige Mensch würde es nicht vorziehen, tausendmal lieber zu sterben, als einen einzigen Tag so zu leben? Wenn der Trunkenbold des andern Tages nach so einem lächerlichen Schauspiel aufsteht und nüchtern zu sein scheint, so erfreut er sich doch auch jetzt noch nicht klarer Besonnenheit; noch steht ihm der Nebel, der nach dem Gewitter der Trunkenheit aufsteigt, vor Augen. Aber nehmen wir auch an, er sei ganz nüchtern, was nützt ihn das? Diese Nüchternheit hat für ihn keinen anderen Nutzen, als daß er seine Ankläger deutlich vor sich sieht. Solange er sich in seinem schandbaren Zustande befindet, hat er S. b268 wenigstens den Vorteil, daß er derjenigen, die ihn verlachen, nicht gewahr wird. Ist es aber Tag geworden, so verliert er auch diesen Trost. Er sieht jetzt um sich murrende Diener, eine Frau, die sich seiner schämt. Freunde, die ihn schelten, und Feinde, die ihn auslachen. Was ist kläglicher als ein solches Leben: bei Tage ausgelacht werden von allen und am Abend in denselben schmählichen Zustand zurücksinken!

Doch was weiter? Sollen wir die Geizhälse vorführen? Das ist eine andere Art der Trunkenheit, und zwar eine noch schlimmere. Ist sie aber eine Trunkenheit, dann ist sie auch ein Tod, und zwar ein um so viel schlimmerer, als diese Trunkenheit ärger ist. Es ist nämlich nicht einmal etwas so Schreckliches, von Wein trunken zu sein als von der Sucht nach Geld. Denn im ersteren Falle beschränkt sich der Schaden auf das eigene Leid; er erschöpft sich in der Bewußtlosigkeit und im schließlichen Untergange des Trunkenboldes. Hier aber trifft der Schaden noch unzählige andere Seelen und entbrennen von allen Seiten Kriege. Wohlan denn, laßt uns einmal den einen mit dem andern vergleichen und sehen, worin der eine mit dem anderen übereinkommt und worin der eine den andern übertrifft, und wir wollen zum Vergleich nur diese zwei Arten von Betrunkenen heranziehen. Mit jenem Glückseligen, der dem Geiste lebt, sollen sie nicht weiter verglichen werden, sondern sie sollen nur im Verhältnis zueinander untersucht werden. Stellen wir wieder den Tisch, voll von unzähligen Morden, in die Mitte! Worin also kommen sie miteinander überein und gleichen einander? — In der Natur ihrer Krankheit. Die Art der Trunkenheit freilich ist eine verschiedene, da die eine vom Weine, die andere vom Gelde kommt. Das Leiden aber ist ähnlich. Beide werden nämlich in ähnlicher Weise von einer sinnlosen Gier erfaßt. Je mehr Becher der vom Wein trunkene leert, nach desto mehr davon lechzt er; und je mehr der Geldliebhaber zusammenscharrt, desto mehr entfacht er die Flamme der Begierde, und desto brennender macht er seinen Durst. Darin also gleichen sie sich. In einem andern Punkte wieder ist der Geizige noch über (den Betrunkenen). In welchem? Darin, S. b269 daß dieser etwas Naturgemäßes erleidet. Der Wein ist nämlich Wärme; er steigert die natürliche Trockenheit (des Körpers) und macht auf diese Weise die Betrunkenen durstig. Woher kommt es aber, daß der Geizige nach immer mehr lechzt? Woher kommt es, daß er sich gerade dann am ärmsten fühlt, wenn er am reichsten geworden ist? Diese Leidenschaft ist doch ganz unverständlich, ein wahres Rätsel! — Aber betrachten wir beide einmal, wenn es beliebt, auch nach dem Rausche! — Doch nein, der Geldgierige ist ja eigentlich niemals nach dem Rausche zu sehen; er ist ja stets mitten darin. — Also betrachten wir sie beide im Zustande der Trunkenheit selbst und laßt uns sehen, welcher von beiden mehr lächerlich ist; wir wollen ihr Gebaren genau beschreiben. Da können wir denn beobachten, wie der vom Wein Berauschte, wenn der Abend herankommt, bei offenen Augen niemanden sieht, wie er hin und her taumelt, wie er an die ihm Begegnenden anstößt, wie er sich erbricht, wie es ihn herumreißt, wie er sich schamlos entblößt, mag auch seine Frau oder seine Tochter oder seine Magd oder wer immer zugegen sein. Ihr lacht da laut auf? 1 — Nun wollen wir den Geizhals vorführen! Dessen Gebaren gibt nicht allein Anlaß zum Lachen, sondern auch zum Verwünschen, zum Zürnen, zum Schelten. Doch laßt uns nur das Lächerliche an ihm betrachten! Er kennt ebensowenig, wie der Betrunkene die Leute, weder Freunde noch Feinde; er ist ebenso wie dieser blind bei offenen Augen. Wie der Betrunkene in allem nur Wein, so sieht der Geizhals in allem nur Geld. Auch sein Erbrechen ist noch viel schlimmer. Denn nicht Speise speit er aus, sondern Schimpf- und Schmähreden, die Krieg und Tod zur Folge haben können und tausendfältige Blitzschläge auf sein Haupt herabrufen. Und wie beim Betrunkenen der Leib fahl und aufgedunsen ist, so beim Geizigen die S. b270 Seele. Ja sogar auch sein Leib ist nicht dem Einfluß dieser Krankheit entzogen, sondern er leidet noch mehr darunter; ärger als der Wein zehren an ihm Sorge, Zorn, Schlaflosigkeit und reiben ihn nach und nach ganz auf. Der, welcher einen Weinrausch gehabt, kann nach der Nacht wieder nüchtern sein; der Geizhals aber ist (sozusagen) beständig trunken bei Tag und bei Nacht, ob er wacht oder schläft; er erduldet eine härtere Strafe als jeder Gefangene, auch als die zu Bergwerksarbeiten oder sonst einer noch schwereren Strafe Verurteilten.


  1. Mit diesem Satz wendet sich der Prediger an die Zuhörer. Es war eine damalige Sitte, der wir bei Johannes Chrysostomus öfter begegnen, daß die Zuhörer bei manchen Stellen der Predigt Beifall klatschten, bei andern in lautes Gelächter ausbrachen oder sonstwie ihre Gefühle äußerten. ↩

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