V.
Was ist schlimmer als dieser Wahnsinn? Und von so tief gesunkenen Menschen willst du gelobt werden? Und du schämst dich nicht? Und wenn dich auch alle Menschen dieses Schlages bewunderten, solltest du da nicht erröthen beim Lobe so verdorbener Menschen, deren Urtheil ein so verkehrtes ist, nicht vor Scham dein Angesicht verhüllen? Ebenso ist auch die Gotteslästerung bei den Gesetzgebern kein schreckliches Verbrechen: denn es ist noch kein Gotteslästerer vor Gericht gezogen und bestraft worden. Wenn aber Jemand ein Kleidungsstück stiehlt, oder einem Andern den Geldbeutel leert, so wird er zerfleischt und oft mit dem Tode bestraft; wer aber Gott lästert, wird von keinem heidnischen Gesetzgeber eines Verbrechens bezichtigt. Entehrt ein Ehemann die Magd, so gilt das in den Augen jener Gesetzgeber und des Volkes als Nichts.
Willst du auch noch andere Beweise ihres Unsinnes hören? Die erwähnten Laster bestrafen sie nicht, andere aber bestätigen sie sogar durch ihre Gesetze. Und was sind das für Laster? Sie halten Schauspiele, in denen sie Huren und Schandbuben auftreten lassen, welche die Natur schänden; in der Höhe bereiten sie Sitze für das ganze Volk der Stadt; auf diese Weise ergötzen sie dasselbe indem sie jene großen Könige ehren, deren Siege und Triumphe sie fortwährend feiern. Aber was ist kälter als diese Ehre, was unangenehmer als dieses Vergnügen? Unter diesen also suchst du die Lobpreiser deiner Thaten? Sage mir, willst du mit Tänzern, Weichlingen, Mimen und Huren gelobt werden? Ist das nicht der äusserste Wahnsinn? Ich möchte doch fragen: Ist es etwas Unrechtes, die Gesetze der Natur zu verkehren und unerlaubten Beischlaf zu treiben? Freilich,1 wird man antworten, Dieß ist abscheulich; man scheint auch dieses Vergehen zu strafen. Warum S. 202 führst du denn jene Schindbuben auf? Ja warum führst du sie nicht bloß auf, sondern ehrst sie sogar durch viele und große Geschenke? Anderswo strafst du Diejenigen, die Dieses wagen; hier aber verwendest du große Summen auf sie und ernährst sie auf öffentliche Kosten als Leute, die sich um den Staat wohl verdient gemacht haben. „Ja, sie sind ehrlos;“ sagt man. Warum lassest du sie ihre Künste treiben? Warum lassest du denn durch die Ehrlosen die Könige ehren? Warum richtest du die Städte zu Grunde? Warum verwendest du auf sie so gewaltige Summen? Sind sie ehrlos, so muß man sie als solche verbannen. Weßwegen machst du sie denn ehrlos? Weil du sie lobst, oder weil du sie verdammest? Natürlich weil du sie verdammest. Und nun machst du sie ehrlos, indem du sie verdammest, und laufst hin, sie zu sehen, zollst ihnen Bewunderung, Lob und Beifall, als wären sie ehrenwerthe Leute. Und was soll ich sagen von den verderblichen Künsten auf der Rennbahn und bei Thiergefechten? Darin liegt nun vollendeter Wahnsinn; denn sie bilden das Volk zur Unbarmherzigkeit, Grausamkeit und Unmenschlichkeit; sie gewöhnen es zuzusehen, wie Menschen zerfleischt werden, wie Blut fließt, wie thierische Grausamkeit Alles zerstört. Und alle diese Übel haben ursprünglich die weisen Gesetzgeber eingeführt, und die Städte geben ihnen Beifall und bewundern sie.
Lassen wir jedoch, wenn du willst, jene Dinge bei Seite, die offenbar und anerkannt unsittlich sind, aber von den heidnischen Gesetzgebern nicht dafür angesehen wurden; gehen wir zu den anständigen Einrichtungen über, und du wirst sehen, daß auch diese durch die Volkssitte verderbt worden sind. Die Ehe z. B. gilt sowohl uns als den Heiden als etwas Ehrbares, und sie ist es auch wirklich. Und doch finden bei der Hochzeitsfeier so viele lächerliche Gebräuche statt, wie ihr gleich hören werdet. Denn Viele sind von der Gewohnheit so eingenommen und berückt, daß sie das Ungeziemende dabei nicht einsehen, sondern erst von Andern darüber belehrt werden müssen. Da gibt es Tänze, S. 203 Cymbeln- und Flötenspiel, schändliche Reden und Gesänge, Trunkenheit und Schmausei und allerlei Teufelsunrath. Ich weiß wohl, daß man mich verlacht, wenn ich das tadle, und daß ich Vielen wie wahnsinnig vorkomme, wenn ich an den alten Gebräuchen zu rütteln wage; denn die Gewohnheit ist, wie ich oben gesagt, ein mächtiges Blendwerk; — aber nichtsdestoweniger werde ich fortfahren, Dieses zu sagen. Denn vielleicht dürften doch Einige, wenn auch nicht Alle, meine Worte beherzigen und sich lieber mit mir auslachen lassen, als gegen mich ein so beweinenswerthes und strafwürdiges Gelächter erbeben. Denn wie sollte es nicht höchst verdammlich erscheinen, eine Jungfrau, die bisher nur in ihrem einsamen Gemacke gelebt hat und von früher Jugend an Schamhaftigkeit gewöhnt war, auf einmal zu zwingen, ihre Scham abzulegen, sie beim Beginne des Ehestandes in die Schamlosigkeit einzuführen und in einen Kreis von lüderlichen und schändlichen Männern, von Hurern und Weichlingen zu versetzen? Welche Schlechtigkeit muß nicht von jenem Tage an der Braut eingeimpft werden? Unverschämtheit, Frechheit, Unebrbarkeit und ungeziemende Ruhmsucht; denn dadurch wird bei ihr der Wunsch genährt, alle Tage so zu leben. Daher die Pracktliebe und die Verschwendung der Weiber, daher ihre Unverschämtheit und tausendfältiges Unheil. Rede mir da nicht von Gewohnheit! Denn ist es etwas Schlechtes, so soll es nicht einmal geschehen; ist es aber etwas Gutes, so soll es immer geschehen. Denn sage mir: ist Hurerei nicht etwas Schlechtes? Werden wir also gestatten, daß sie auch nur einmal getrieben werde? Keineswegs. Und warum? Weil es dennoch schlecht ist, wenn es auch nur einmal geschieht. Ist es nun schlecht, die Blaut auf diese Weise zu belustigen, so darf es nie geschehen; ist es aber erlaubt, so soll es immer geschehen.
Πάντως haben die Codd. A und B. Andere haben Πάντες. ↩
