21. Eulogius und der Krüppel.
Kronius, der Priester von Nitrien, erzählte mir: Von Seelenangst getrieben entfloh ich als junger Mensch aus dem Kloster meines Archimandriten und wanderte bis zum Berge des hl. Antonius. Dieser wohnte nämlich zwischen Babylon1 und Herakleopolis tief in der weiten Wüste, die beiläufig zwanzig Meilen weit vom Flusse weg ihren Anfang nimmt und sich nach dem Roten Meere hin erstreckt. Ich kam in sein Kloster, das am Strome liegt und den Namen Pispir hat; da wohnen seine Schüler Makarius und Amatas, die seine Leiche begruben, als er entschlief. Ich wartete fünfzehn Tage lang, um den hl. Antonius zu treffen; denn es hieß, er komme zuweilen alle zehn Tage, zuweilen erst nach zwanzig, zuweilen nach fünfzehn, wie Gott ihn eben antrieb zum Besten jener, die das Kloster aufsuchten. Es fanden sich verschiedene Brüder ein, jeder mit einem anderen Anliegen, darunter ein Mönch, Eulogius von Alexandrien, und ein Krüppel. Diese beiden waren aus folgendem Anlaß gekommen:
Eulogius oblag den freien Künsten.2 Da wuchs in seiner Seele die Sehnsucht nach der Ewigkeit, so daß S. 364 er aus dem Weltgetriebe fortging und Hab und Gut verschenkte. Nur etwas Geld behielt er, weil er kein Handwerk konnte. Nun sann er hin und her, welche Lebensweise für ihn die beste sei; ihm sagte weder das gemeinsame Leben zu, noch kam er zum Entschlusse, ganz allein zu bleiben. Da fand er einen Krüppel, der weder Hände noch Füße hatte, und verlassen auf dem Marktplatze lag; nur die Sprache besaß er, sodaß er die Vorübergehenden anbetteln konnte. Eulogius blieb stehen, besah den Armen lange Zeit und schloß im Gebete folgenden Vertrag mit Gott: "Herr, um Deines Namens willen nehm' ich diesen Krüppel an und pflege sein, bis er stirbt, damit auch ich durch ihn das Heil erlange. Gib mir Geduld, ihm zu dienen!" Dann trat er zu dem Krüppel hin und sagte: "Beliebt es dir, Herr, so will ich zu mir in mein Haus dich nehmen und pflegen." Der andere sprach: "Von Herzen gern." Eulogius darauf: "Soll ich einen Esel holen und dich heimführen?" Da jener zustimmte, ging er hin, holte den Esel, lud ihn darauf, brachte so den Krüppel in das bescheidene Heim und ließ ihm alle Sorgfalt angedeihen. So lebte dieser Krüppel fünfzehn Jahre. Dann ward er krank; Eulogius tat ihm alles, was man einem Kranken tun kann, badete und wusch ihn eigenhändig und gab ihm gute Kost. Aber nach jenen fünfzehn Jahren fuhr ein Teufel in den Krüppel und machte diesen Menschen so widerwärtig, daß er den Eulogius oft entsetzlich lästerte und schimpfte: "Packe dich, du schlechter Kerl! Anderen hast du das Geld gestohlen und möchtest jetzt durch mich das Heil erlangen. Bring' mich wieder auf den Marktplatz! Fleisch will ich haben." Eulogius gab ihm Fleisch. Gleich darauf schrie er schon wieder: "Das langweilige Leben halt' ich nimmer aus; Leute will ich sehen; auf den Marktplatz will ich. Was hältst du mich gefangen? Wirf mich hin, wo du mich gefunden hast!" So wütend machte ihn der Teufel, daß er sich wohl selber den Tod gegeben hätte, wenn er nicht ohne Hände gewesen wäre. Da ging Eulogius zu frommen Männern, die gleich in der Nähe dem asketischen Leben oblagen, und sagte: "Was soll ich tun? Dieser Krüppel treibt mich zur Verzweiflung. Soll ich S. 365 ihn auf die Straße setzen? Ich wag' es nicht; denn ich habe Gott ein Gelübde gemacht. Er verleidet mir das ganze Leben. Ich weiß mir keinen Rat." Jene sprachen: "Es lebt ja der Große noch" - so nannten sie nämlich Antonius - "zu diesem geh', nimm den Krüppel in einem Boote mit dir, bring' ihn nach dem Kloster und warte, bis er aus der Wüste kommt; dann leg' ihm den Fall zur Beurteilung vor und handle seinem Bescheide gemäß, denn durch ihn redet Gott zu dir." Eulogius folgte diesem Vorschlag, lud den Krüppel in ein kleines Hirtenboot, verließ nachts die Stadt und trug ihn zu jenem Kloster, wo die Schüler des heiligen Antonius waren. Am späten Abend des folgenden Tages schon kam der Große, wie Kronius erzählte. Sein Mantel war aus Tierfellen zusammengenäht. Er ging in das Kloster und fragte nach seiner Gewohnheit den Makarius: "Bruder Makarius, sind etwa Brüder gekommen?" Er sagte: "Ja." "Sind es Ägyptier oder solche von Jerusalem?" Antonius hatte nämlich den Auftrag erteilt: "Siehst du, daß die Gäste nicht sonderlich fromm sind, dann sag' Ägypter! Sind sie dagegen sehr fromm und gesammelt, dann sage: Solche sind es von Jerusalem" Heute gab Makarius die Antwort: "Sie sind gemischt." Sagte nämlich Makarius: "Ägyptier sind es", dann erwiderte Antonius stets: "Bereit' ein Linsenmus und setze das ihnen vor!" Dann sprach er jedesmal ein Gebet mit ihnen und entließ sie. Wenn aber Makarius sagte: "Die sind aus Jerusalem", so blieb er die ganze Nacht hindurch bei ihnen sitzen und führte Gespräche, die dem Seelenheile förderlich waren. An jenem Abend nun setzte sich Antonius und ließ alle kommen. Obgleich niemand seinen Namen angegeben hatte, rief er durch das Dunkel: "Eulogius! Eulogius! Eulogius!" Dreimal rief er, doch der Mann aus Alexandrien schwieg; denn er war überzeugt, es gelte das einem anderen Eulogius. Nun erhob Antonius wiederum die Stimme: "Dich mein' ich, Eulogius, der von Alexandrien gekommen ist." Eulogius entgegnete: "Was befiehlst du? ich bitte dich." "Was führt dich her?" Eulogius darauf; "Der dir meinen Namen offenbarte, hat dir auch mein Anliegen offenbart." Antonius sprach: "Wohl S. 366 weiß ich, weshalb du gekommen bist, doch sag' es vor allen Brüdern, damit auch sie es erfahren!" Eulogius sagte: "Den Krüppel da fand ich auf dem Markte und machte Gott das Gelöbnis, ihn zu pflegen in seinem Elend, damit wir beide das Heil erlangen, ich durch ihn und er durch mich. Jetzt aber nach soviel Jahren quält er mich auf unerträgliche Weise, so daß ich auf den Gedanken kam, ihn zu verstoßen. Ich begab mich deshalb zu deiner Heiligkeit, damit du mir ratest, was ich tun soll." In strengem Tone sprach Antonius: "Du willst ihn also verstoßen? Der ihn erschaffen hat, verstößt ihn aber nicht. Willst du das wirklich tun? Dann wird Gott einen Besseren erwecken als dich; der wird dann seiner sich annehmen." Da schwieg Eulogius voll Angst. Nun wandte sich der Heilige zu dem Krüppel und wies ihn mit harten Worten zurecht, indem er rief: "Armseliger Krüppel! Du bist für Himmel und Erde zu schlecht. Wie lange noch willst du dich Gott widersetzen? Weißt du nicht, daß Christus selbst dich bedient? Wie kannst du es wagen Christum also zu schmähen? Hat nicht Eulogius um Christi willen es übernommen, dir Dienste zu leisten, als ob er ein Sklave wäre?" So wies er auch diesen zurecht, redete dann zu den übrigen, wie sie es nötig hatten, und wandte sich am Ende nochmal an Eulogius und den Krüppel mit der Mahnung: "Begebt euch geraden Weges heim und trennt euch nicht voneinander, sondern bleibt in eurem Hause wie bisher! Gott wird euch holen lassen in kurzer Zeit. Jene Versuchung kam über euch, weil ihr beide schon nahe dem Ende seid und bald gekrönt werden sollt. Befolget alles genau, damit euch der Engel beisammen treffe!" Da reisten sie eilends nach Hause. Vierzig Tage darauf starb Eulogius und ehe drei weitere Tage vergingen, war auch der Krüppel tot.
Kronius verweilte noch einige Zeit in der Gegend um die Thebais und ging dann hinab zu den Klöstern Alexandriens. Er kam eben an, als die Brüder den Vierzigsten3 des Eulogius und den Dritten des S. 367 Krüppels begingen. Voll Staunen erfuhr es Kronius und erzählte vor allen Brüdern, was sich begeben hatte, beschwor es auf ein Evangelienbuch und fügte bei: "Das alles hab' ich Wort für Wort verdolmetscht, denn Antonius konnte nicht griechisch; ich verstehe beide Sprachen und übersetzte den einen alles in das Griechische und jenen ins Ägyptische."
Weiterhin sagte Kronius: Der selige Antonius hat uns in jener Nacht erzählt: Ich betete ein volles Jahr. damit mir der Ort der Gerechten und der Sünder gezeigt werde. Und ich sah einen schwarzen Riesen von so gewaltiger Größe, daß er bis an die Wolken reichte; die Arme hielt er am Himmel ausgespannt; unter ihm lag ein See, groß wie das Meer; und ich sah die Seelen emporfliegen wie Vögel. Alle, die nun über sein Haupt und seine Hände hinaufgelangten, waren gerettet; alle, die der Riese mit den Händen traf, fielen in den See. Und eine Stimme rief mir zu: "Die Seelen, die du höher fliegen siehst, sind die Seelen der Gerechten, die sich retten in das Paradies; die anderen aber werden in die Hölle geworfen, weil sie den Gelüsten des Fleisches folgten und rachsüchtig waren."
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B. Beim heutigen Kairo. ↩
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Bei den Griechen (xxx), bei den Römern artes liberales; was der freie Mann (nicht Sklave) wissen mußte: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (ursprünglich auch Medizin und Architektur). Das Mittelalter behielt die Siebenzahl bei; die ersten drei nannte man Trivium (Unterstufe), die anderen vier Quadrivium (Oberstufe). ↩
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Einige Handschriften haben den Dreißigsten. Im Orient scheint mehr der vierzigste Tag nach dem Sterbetag begangen worden zu sein, im Abendland der dreißigst. ↩