38. Euagrius.
Den hochberühmten Diakon Euagrius,1 dessen Wandel den Aposteln ähnlich war, darf ich beileibe nicht unerwähnt lassen, vielmehr will ich den Lesern zur Erbauung und zum Preise der Güte unseres Heilands genau berichten, wie er zum Entschlusse kam und treulich daran festhielt, bis er im Alter von vierundfünfzig Jahren in der Wüste starb dem Schriftworte gemäß: "Früh vollendet hat er viele Jahre erreicht".2
Er war der Sohn eines Chorbischofs aus der Stadt Pontus in Iberien. Der heilige Basilius, Bischof der Kirche von Cäsarea, hat ihn zum Lektor geweiht; zum Diakon erhob ihn nach dessen Tode wegen seiner Tüchtigkeit der überaus weise, makellose, hochgelehrte Bischof Gregorius von Nazianz, der ihn, als er zu Konstantinopel auf der großen Synode weilte, dem seligen Bischöfe Nektarius als redegewandten Kämpfer gegen alle Häresie zurückließ. Mit jugendlichem Feuer trat er in der großen Stadt für den wahren Glauben ein und stand in hohem Ansehen. Allein - er selber hat uns das erzählt - der Götze der Weiberliebe nahm ihn gefangen. Wohl schlug er sich alles aus dem Sinne, doch jetzt erwachte die Leidenschaft im Weibe selber. Sie gehörte den vornehmsten Kreisen an. Doch Euagrius fürchtete Gott, schämte sich vor seinem Gewissen, stellte sich die Größe der Schande vor Augen, gedachte zugleich der Schadenfreude, die bei den Irrlehrern herrschen würde, und flehte voll Inbrunst zu Gott, er möge doch seine Schritte hemmen. Obwohl ihm das Weib in Liebesraserei beständig nachstellte, konnte sich Euagrius nicht entschließen, ihr aus dem Wege zu gehen. So festgebunden hielt ihn ihre Lockung. Doch bald nach jenem Gebete, gerade noch rechtzeitig vor dem Fall in die Sünde, trat im Traum ein Engel zu ihm; sein Äußeres glich den Soldaten des Stadtpräfekten. Er nahm ihn fest, führte ihn weg, allem Anscheine nach vor Gericht, und warf ihn in das Gefängnis, wo man ihm S. 400 eiserne Ketten um Hals und Hände legte. Niemand von allen, die hineinkamen, verriet ihm den Grund, aber ihm sagte sein Gewissen, er leide das wegen jenes Weibes, und er glaubte, ihr Gatte werde kommen. Während ihn solch entsetzlicher Schrecken peinigte, wurden andere verhört und verhandelt, doch ihn überließ man seiner Angst. Da verwandelte sich der Engel, der ihm erschienen war, zeigte sich jetzt in trauter Freundesgestalt und fragte den Euagrius, der mit vierzig Verurteilten zusammengefesselt war: "Weshalb bist du hier im Gefängnis, Herr Diakon?" - "Ich weiß es nicht gewiß, vermute jedoch, daß mich der Hofbeamte N. aus grundloser Eifersucht angeklagt hat, und ich fürchte sehr, man hat den Richter bestochen, so daß er ein hartes Urteil über mich fällen wird." Der andere sagte: "Ich möchte dir raten als Freund: Es wäre besser für dich, du gingest fort aus dieser Stadt." Euagrius sprach: "Wenn Gott mich aus dieser entsetzlichen Lage befreit, sollst du mich in Zukunft nicht mehr in Konstantinopel sehen; und wenn ich trotzdem bleibe, so wisse, daß ich ganz mit Recht einer solchen Strafe verfalle." Der andere sprach: "Ich hole das Evangelium; schwörst du mir darauf, die Stadt zu verlassen und für dein Seelenheil zu sorgen, so will ich dir helfen aus dieser Not," Er brachte nun das Evangelium und Euagrius schwor darauf: "Nur einen Tag, damit ich die Kleider auf ein Schiff bringen kann - ich bleibe nicht länger!" Sobald der Eid geleistet war, entschwand das nächtliche Traumbild. Euagrius stand sogleich auf und dachte bei sich: "Und hab' ich im Traum geschworen - geschworen hab' ich doch." Und er nahm seine ganze Habe mit sich auf ein Schiff und reiste nach Jerusalem.
Dort fand er Aufnahme bei der seligen Römerin Melania. Da suchte Satan wiederum sein Herz zu verhärten, wie er das Herz des Pharao verhärtet hat. Weil er noch jung und von sinnlicher Natur war, kam er wieder auf andere Gedanken, verriet aber niemand das Geringste, trug neuerdings andere Kleider3 und fing ein gefallsüchtiges Leben an. Gott aber, der uns alle vor dem Verderben bewahren will, ließ ihn vom Fieber befallen werden und sandte sodann eine lange dauernde Krankheit über ihn, so daß er sechs Monate daniederlag und sein Körper abgezehrt wurde; doch war das nur zu seinem Besten. Als die Ärzte weder Rat noch Hilfe fanden, sagte die selige Melania: "Sohn, deine langwierige Krankheit gefällt mir nicht. Sage mir, was in deinem Innern vorgeht! Denn dein Leiden ist göttliche Fügung." Da gestand Euagrius sein ganzes Anliegen. Sie sagte darauf: "Gelobst du mir vor Gottes Angesicht, deinem Entschlusse zum Mönchleben treu zu bleiben, so will ich, obwohl nur eine Sünderin, für dich beten, daß dein Leben verlängert werde." Das versprach er. Daraufhin genas er in wenig Tagen, stand auf, nahm ein Gewand, das ihm Melania gab, d.h. wiederum Mönchskleider. und ging hinweg aus der Welt in das ägyptische Natrongebirge.
Da blieb er zwei Jahre, worauf er im dritten sich in die Wüste begab. Er lebte vierzehn Jahre lang in den sogenannten Zellen, aß täglich ein Pfund Brot und begnügte sich drei Monate mit einem Sester Öl, obgleich er an Überfluß und weiche Bequemlichkeit gewöhnt war. Jeden Tag sprach er hundert Gebete und verdiente jedes Jahr genau soviel mit Schreiben, daß er seine Nahrung bestreiten konnte. Denn seine Handschrift war schön und gewandt. Nachdem er fünfzehn Jahre das Herz von allem Irdischen gänzlich gereinigt hatte, ward ihm verliehen die Gabe der Weisheit, Erkenntnis und Unterscheidung der Geister. Nun schrieb er drei Bücher: 'Vom Priester', 'Vom Mönch' und 'Antworten' genannt,4 worin er darlegt, wie man die Teufel bekämpfen soll. Er wurde vom Teufel der Unzucht entsetzlich geplagt; so hat er uns selbst erzählt. Im Winter stand er ganze Nächte lang im Brunnen, so daß sein Leib erstarrte. Zu anderen Zeiten ward er vom Lästergeiste gequält; da blieb er vierzig Tage lang unter freiem Himmel, weshalb er mit eiterigem Ausschlag bedeckt wurde wie ein unvernünftiges Tier.
S. 402 Am hellen Tage besuchten ihn einst drei Teufel im geistlichen Gewand und stritten mit ihm über Glaubenssachen; der eine gab sich als Arianer aus, der zweite als Eunomianer, der dritte als Apollinaristen. Er widerlegte sie kraft seiner Weisheit kurz und schlagend.
Ein andermal, da der Kirchenschlüssel verloren ging, bezeichnete er das Schlüsselloch mit dem Kreuze, rief den Namen Christi an, schlug mit der Hand an die Türe und sie ging auf. Unzählige Teufel peinigten ihn auf entsetzliche Weise.
Einem aus seinen Jüngern hat er genau vorausgesagt, was achtzehn Jahre später eintrat.
Euagrius sagte: "Seit ich die Wüste betrat, genoß ich weder Lattich noch andere grüne Kräuter, weder Obst noch Weintrauben noch Fleisch und niemals nahm ich ein Bad." Während der beiden letzten Lebensjahre zwang ihn ein Magenleiden, gekochte Speisen zu genießen, nachdem er sich deren über fünfzehn Jahre lang enthalten hatte; doch aß er kein Brot, sondern nur Kräuter oder Gerste oder Bohnen. Nachdem er an Epiphanie in der Kirche an den Geheimnissen teilgenommen hatte, starb er.
Kurz vor seinem Tode hat er uns mitgeteilt: "Nun ist es das dritte Jahr, daß mich keine fleischliche Begierde mehr quält" - nach einem so langen Leben voll Mühsal, Leiden und unablässigem Gebet.
Als ihm der Tod seines Vaters gemeldet wurde, sprach er zu dem Boten: "Hör' auf zu lästern, denn mein Vater ist unsterblich."