63. Von der Junfrau, bei der Athanasius Aufnahme fand.
Ich lernte zu Alexandrien eine Jungfrau von etwa siebzig Jahren kennen. Die ganze S. 431 Priesterschaft bezeugte von ihr, in jungen Jahren, da sie ungefähr zwanzig zählte, sei sie von so auffallender Schönheit gewesen, daß ihr jedermann aus dem Wege ging, um nicht den guten Ruf zu verlieren und in schlimmen Verdacht zu geraten. Als zur Zeit des Kaisers Konstantius die Arianer den seligen Bischof Athanasius von Alexandrien lügenhaft anschuldigten, als ob er ein Verbrecher wäre, und mit Hilfe des Statthalters Eusebius zu fangen trachteten, floh er vor dem bestochenen Richter, wagte sich aber zu niemand, weder zu einem Blutsverwandten oder Freund oder Kleriker noch irgend jemand; sondern als die Sendlinge des Statthalters in die Wohnung des Bischofs eindrangen und ihn suchten, nahm er in Hast Gewand und Mantel und floh mitten in dunkler Nacht zu jener Jungfrau. Sie nahm ihn freundlich auf, geriet aber in Angst, sobald sie den Sachverhalt erfuhr. Athanasius sagte ihr deshalb: „Die Arianer haben mich fälschlich verklagt und stellen mir nach und ich entschloß mich zu fliehen, um nicht für unvernünftig zu gelten, noch jenen, die Rache zu nehmen suchen an mir, Anlaß zur Sünde zu geben. Zudem offenbarte mir Gott in dieser Nacht: Bei niemand wirst du gerettet werden außer bei jener.“ Vor Freude schlug sie nun alle Bedenken aus dem Sinne, trachtete nur mehr Gott anzugehören und verbarg den großen Heiligen sechs Jahre,1 solange Konstantius noch lebte. Sie wusch seine Füße, tat ihm die niedrigsten Dienste, sorgte für seine Nahrung, nahm Bücher zu leihen und brachte sie ihm. Kein Mensch in ganz Alexandrien wußte sechs Jahre lang, wo der selige Athanasius war. Sobald jedoch die Nachricht vom Tode des Konstantius eintraf und ihm zu Ohren drang, zog er kostbare Gewänder an und erschien zur Nachtzeit in der Kirche, so daß alle vor Schreck und Erstaunen glaubten, er sei von den Toten auferstanden. Er selbst erklärte vor vertrauten Freunden: „Deshalb bin ich zu keinem aus euch geflohen, damit ihr S. 432 gegebenen Falles schwören könntet, nichts von mir zu wissen; zugleich aber, um vor Nachstellungen sicher zu sein. Ich floh zu jener, weil niemand an sie denken konnte wegen ihrer Schönheit und Jugend. So hab' ich zwei Dinge zugleich bewirkt: ihr Seelenheil - denn ich gewann sie für ein frommes Leben - und meine eigene Ehrenrettung.“
-
Daß Anasthasius sechs Jahre lang im Hause der Jungfrau verborgen gewesen sei, läßt sich mit sonstigen Nachrichten unmöglich in Einklang bringen. Wahrscheinlich hielt ihn jene nur einige Zeit verborgen und verhalf ihm zur Flucht. Dies Tatsache, scheint es, ward in der Überlieferung mißverstanden. ↩