XXV. KAPITEL. Von dem, was in unserer Macht steht, d. i. vom freien Willen.
1 Bei der Untersuchung über den freien Willen, d. i. über das, was in unserer Macht steht, ist die erste Frage, ob es etwas gibt, was in unserer Macht steht. Denn viele sind es, die dem entgegentreten. Die zweite [Frage ist die], was das ist, was in unserer Macht steht und über was wir Macht haben. Die dritte hat zu untersuchen, aus welchem Grunde Gott, der uns erschaffen, uns frei erschaffen hat. Wir wollen also mit dem ersten Punkt beginnen und zuerst aus dem, was von jenen zugestanden wird, zeigen, daß es etwas gibt, das in unserer Macht steht, und zwar folgendermaßen:
Die Ursache von allem, was geschieht, ist, so sagen sie, entweder Gott oder die Notwendigkeit oder das Schicksal oder die Natur oder das Glück oder der S. 101 Zufall. Nun, ein Werk Gottes ist die Wesenheit und Vorsehung; [Werk] der Notwendigkeit die Bewegung dessen, was sich immer gleich bleibt; des Schicksals, daß das, was durch dasselbe geschieht, sich mit Notwendigkeit vollzieht — denn auch dieses ist Sache der Notwendigkeit; [Werk] der Natur Werden, Wachstum, Vergehen, Pflanzen und Tiere; des Glücks das Seltene und Unerwartete. Man definiert nämlich das Glück als ein Zusammentreffen und Zusammenkommen zweier Ursachen, denen ein Vorsatz zugrundeliegt, die aber eine andere Wirkung haben als ihrer Natur entspricht. Z. B.: Es hebt jemand einen Graben aus und findet einen Schatz. Denn weder hat der, der den Schatz hingelegt, ihn in der Absicht hingelegt, daß ein anderer diesen finde, noch hat der, der ihn gefunden, in der Absicht gegraben, einen Schatz zu finden, sondern der eine, um ihn zu heben, wann es ihm beliebte, der andere, um einen Graben zu machen. Es traf sich jedoch etwas anderes, als beide beabsichtigten. [Ein Werk] des Zufalls endlich ist das, was außer Natur und Kunst den unbeseelten oder unvernünftigen Wesen zustößt. So ihre Ansicht. Worunter sollen wir also das einreihen, was durch die Menschen geschieht, wenn nämlich der Mensch nicht Ursache und Prinzip (Grund) seines Tuns ist? Denn die bisweilen schändlichen und ungerechten Handlungen darf man weder Gott zuschreiben noch der Notwendigkeit — sie gehören ja nicht zu dem immer sich gleich Bleibenden —, noch dem Schicksal — denn nicht zum Möglichen, sondern zum Notwendigen gehören, wie sie sagen, die Bestimmungen des Schicksals —, noch der Natur — denn Werke der Natur sind Tiere und Pflanzen —, noch dem Glück — denn nicht selten und unerwartet sind die Handlungen der Menschen —, noch dem Zufall — denn sie sagen, Zufall begegne dem Unbeseelten oder Unvernünftigen. Es bleibt also nur übrig: Der handelnde und wirkende Mensch ist Prinzip (Ursache) seiner Werke und hat einen freien Willen.
Ferner, wenn der Mensch von keiner Handlung die Ursache ist, so hat er nicht nötig, sich zu beraten. Denn wozu braucht er die Beratung, wenn er über keine Handlung Herr ist? Jede Beratung [erfolgt] doch um S. 102 einer Handlung willen. Das Schönste und Wertvollste am Menschen aber als überflüssig hinzustellen, dürfte zu dem Törichtesten gehören. Wenn er sich also berät, so berät er sich um einer Handlung willen. Denn jede Beratung [erfolgt] um einer Handlung willen und wegen einer Handlung.
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Dieses ganze Kapitel 25 hat Johannes fast Wort für Wort aus Nem., l. c. c. 39, S. 311―314 abgeschrieben. ↩