Einleitung
S. 1 Irlands schier unverwüstliche, neuerdings 1mmer starker zur Geltung kommende Volkskraft hat, seit es in die europäische Geschichte eingetreten ist, in der katholischen Religion ihre Stütze gefunden. Traditionelle, tief im Volksbewußtsein verankerte Verehrung wird dem heiligen Patrick gewidmet, (Fest am 17. Marz), der das Christentum auf der "Grünen Insel" gegründet hat. Ein reicher Kranz von Legenden umgibt seine Gestalt. In ihnen kommt die innige Frommigkeit, aber auch die kühne Phantasie zur Geltung, durch die die Menschen auf der "lnsel der Heiligen" ausgezeichnet sind. Über den heiligen Patrick besitzen wir aber auch historisch verbürgte Kunde, denn die Lebensbeschreibungen, von denen freilich selbst die ältesten erst lange nach seinem Tode verfaßt wurden, enthalten außer der legendarischen Ausschmückung auch gute, für uns vielfach kontrollierbare Tradition. Ein besonderer Glücksfall aber ist es, daß uns zwei von ihm selber stammende Schriften erhalten geblieben sind: das "Bekenntnis", das er am Ende seines Lebens niedergeschrieben hat, und der in tatkräftiger Ausübung des Hirtenamtes verfaßte
"Brief an die Gefolgsleute des Coroticus".
Patricius stammte aus dem westlichen Britannien. Der Geburtsort, den er selbst Bannavem Taberniae S. 2 nennt, läßt sich hinsichtlich der Lage nicht näher bestimmen. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß er sich in der Nähe der Severn Mündung befand. Als Patricius geboren wurde (389 n. Chr.), stand Britannien schon etwa 200 Jahre lang unter römischer Herrschaft, die kel tische Bevölkerung war, besonders in den höheren Schichten, einigermaßen romanisiert, man sprach neben dem heimischen Keltisch (Brythonisch) ein vulgäres Latein. Es gab Lehrer, die den Kindern die korrekte Sprache der Literatur beizubringen hatten, aber ihr Erfolg scheint nicht sehr nach haltig gewesen zu sein. Es war hier anders als in dem schon länger römischen und mit Italien näher verbundenen Gallien, wo Kultur und Sprache mit solchem Eifer aufgenommen worden waren, daß manche Bildungszentren Galliens in der römischen Literatur tonangebend wurden.Der Vater des Patricius, Calpornus (die korrekte Form des Namens wäre Calpurnius), hatte als decurio, Ratsherr, eine seiner Wohlhabenheit entsprechende Funktion in der öffentlichen Verwaltung seines Heimatortes und gehörte als Diakon dem geist lichen Stande an. Es sei hier daran erinnert, daß die Forderung der Ehelosigkeit für Diakone, Priester und Bischöfe erst zu Ende des vierten Jahrhunderts auf die ganze lateinische Kirche ausgedehnt wurde. Die Bevölkerung Britanniens war dem Bekenntnis nach christlich — dadurch unterschied man sich ja von den Barbaren —, wir haben jedoch wenig Anhaltspunkte, um zu beurteilen, ob das Leben S. 3 weitgehend vom christlichen Geistc beherrscht war. Der Knabe Patricius jedenfalls stand, obwohl für christliche Erziehung gesorgt war, einem lebendigen Glauben recht fern. Auch aus den ihm zur Verfügung stehenden Bildungseinrichtungen zog er wenig Nutzen.
Die in späteren Jahrhunderten durch ihre Lage — und durch ihre Flotte — gegen auswärtige Angriffe gut geschützte Insel Britannien mußte in ihrer früheren Geschichte wiederholt von der See her kommende größere und kleinere Angriffe aushalten. lm 4. Jahrhundert n. Chr. war sie das Ziel von Raubüberfällen irischer Abenteurer. Bei einem solchen wurde zugleich mit zahlreichen anderen Gefangenen der sechzehnjährige Patricius in die Sklaverei verschleppt. Als Viehhirte mußte er nun auf einem Gut im Innern Irlands (nach der Überlieferung Slemish östlich vom Lough Neagh im Nordosten der Insel) sein Leben verbringen. In der Einsamkeit dieses Daseins erlebte der früher in Glaubensdingen Gleichgültige seine Bekehrung. Er fühlte sich von Gott zur Flucht ermuntert, kam an die See und trat in einem gerade absegelnden Schiff die Fahrt an. Sein Bericht im "Bekenntnis" läßt im Tatsächlichen manches dunkel. Wir können als wahrscheinlich annehmen, daß eine kostbare Ladung — vielleicht von Rassehunden, wie man sie in Italien schätzte — auf das Festland, d. h. nach Gallien, gebracht und dann auf dem Landwege durch ein eben (406) von den durchziehenden Wandalen verwüstetes Gebiet weiter befördert S. 4 werden sollte, — etwa an die Riviera, wo man den Verkauf tätigen konnte. Genaueres wissen wir über das innere Erleben des Patricius, auf das es ihm in der Erzählung allein ankommt. Er hoffte, seine heidnischen Reisegefährten für das Christentum zu gewinnen, errang auch, als sie die ihnen zuteil gewordene Hilfe seinem Gebet zuschrieben, ihre Bewunderung, scheint aber nur als eine Art Zauberkundiger gewertet worden zu sein, dessen man sich versichern wollte; denn er fühlte sich später als ihr Gefangener und sah die Trennung von ihnen als eine Befreiung an. Die Spannung im Verhältnis zu den Reisegefährten geht aus dem Text eindeutig hervor. Mit der Gefangenschaft konnte dem Wortlaut nach auch gemeint sein, daß Patricius samt seinen Gefährten Räubern in die Hände fiel. Wir wissen nicht näher, wie er, vielleicht nach einem kurzen Aufenthalt in dem jungen, aber schon hochberühmten Kloster auf Lérins, in seine Heimat kam, wohl aber, daß er das behagliche Leben, ,das ihm dort geboten wurde, nicht aufnahm, sondern einem göttlichen Auftrag folgend — wiederum weiß er sich von Gott unmittelbar berufen — die Bekehrung Irlands zu unternehmen sich anschickte. Um seine Ausbildung zu vollenden, begab er sich zunachst nach Auxerre, das eine Art Vorort f ür die britischen Christen gewesen zu sein scheint. Dort verbrachte er mehr als zehn Jahre, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, mit der Verwirklichung seiner Pläne zu beginnen. Die Mißhelligkeiten und Zurückweisungen, S. 5 von denen er im "Bekenntnis" wiederholt spricht, dürften in diese Zeit fallen. Der dortige Bischof Germanus scheint, als er in besonderem Auftrag in Britannien weilte, Patricius für die irische Mission in Aussicht genommen zu haben. Doch wurde einige Jahre spater nicht dieser, sondern der Diakon Palladius nach Erteilung der Bischofsweihe nach Irland geschickt. Erst als dieser kurz darauf, noch vor dem Beginn einer eigentlichen Wirksamkeit, gestorben war, wurde Patricius als sein Nachfolger bestellt (432). Erst jetzt, im Alter von über 40 Jahren, konnte dieser endlich an die Erfüllung seiner Lebensaufgabe herantreten. Er gab sich nicht viel mit den kleinen christlichen Gemeinden ab, die im Südosten der Insel bestanden, sondern landete im Nordosten und unternahm mit einzigartigem Erfolg die Verkündigung des Christentums in Ulster, dem nördlichen Teil von Leinster und in Connaught, dann aber auch im Süden des Landes. Er wußte überall das Leben der christlichen Gemeinden zu organisieren, mehrere seiner Schüler setzte er als Bischöfe ein. Er selbst nahm (444) seinen bischöflichen Sitz in Armagh (Ulster), der erste Primas von Irland. Die großartige Entwicklung des irischen Mönchtums jedoch, die auch für das kulturelle Leben auf dem Festland höchste Bedeutung gewann, ist nur zum Teil ein Werk des Patricius, sie nimmt erst lange nach seinem Tod ihren Anfang. Daß er sie vorbereitet hat, können wir aus der Wertschatzung entnehmen, die er im „Bekenntnis" für das Ideal des S. 6 jungfraulichen Lebens zum Ausdruck bringt. Als seinen Nachfolgcr in Armagh setzte Patricius noch selber seinen Lieblingsschüler Benignus ein. Seine letzten Lebensjahre — er starb 461 — verbrachte er in mönchischer Zurückgezogenheit. Es macht den Eindruck, daß der Rücktritt nicht ohne Zusammenhang mit den aus der Heimat kommenden Anfeindungen erfolgt ist, gegen die sich Patricius im "Bekenntnis" zur Wehr setzt, und daß dieses abgeschlossen wurde, als er nach der Übergabe des bischöflichen Amtes ein Leben in evangelischer Armut aufnahm.
Der römische Staat war, zumal seit um das Jahr 410 die Legionen, die man anderswo benötigte, zurückgezogen worden waren, zu einem wirksamen Schutz der britischen Insel nicht stark genug. Seine Funktionen gingen wiederholt an heimische Machthaber über, die ohne Auftrag, aber im allgemeinen in den Formen der römischen Verwaltung ein mehr oder minder geordnetes Regiment führten. Ein solcher war Coroticus — Ceredig ist die keltische Form des Namens, sie ist in dem heutigen "Cardigan" enthalten —, der, wahrscheinlich von Wales aus, Beutezüge nach Irland unternahm, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die erbeuteten Sklaven verkaufte er nach dem Norden an die noch heidnischen Schotten (der Name wird ohne Unterschied für die stammverwandten Bewohner des heutigen Irland und Schottland gebraucht) und an die nach vorübergehender Christianisierung wieder zum Heidentum zurückgekehrten S. 7 nicht keltischen, sondern einer nicht indogermanischen Rasse angehörigen Pikten. Durch diese Vorgänge ist der „Brief" veranlaßt, den Patricius an seine im Dienst des Coroticus stehenden christlichen Landsleute mit dem Auftrag weiterer Verbreitung richtet, um durch praktisch durchgeführten, vielleicht auch von Seite der kirchlichen Autorität formell zu verhängenden Kirchenbann Coroticus zum Bewußtsein der Ungeheuerlichkeit seiner Haltung zu bringen. Der „Brief" zeigt uns noch deutlicher als das „Bekenntnis", wie sehr das Missionswerk des Patricius unter der Spannung zu leiden hatte, die zwischen den britischen und den irischen Kelten bestand, zugleich aber auch, mit welcher Festigkeit Patricius für seine Gemeinden einzustehen bereit war.
Wenn Patricius unter den „Zeugen des Wortes" erscheint — es ist die erste deutsche Übersetzung seiner Schriften —, so rechtfertigt sich das nicht nur durch seine historische Bedeutung, sondern viel mehr noch durch die Tatsache, daß wir in seinem „Bekenntnis" ein christliches Selbstzeugnis allerersten Ranges besitzen, in dem eine große Persönlichkeit uns offenbart, wodurch sie sich im Innersten bestimmt fühlt. Patricius wußte sich von Gott ausdrücklich berufen. Er wußte aber auch, was ihn für seine Aufgabe ungeeignet erscheinen ließ. Schmerzlich empfand er seinen Bildungsmangel (rusticitas). Wir sehen, welche Wertschätzung, ja Überschätzung die „Bildung" — es war die S. 8 formalrhetorische des ausgehenden Altertums — genoß. Denn, daß er theologische Schulung besaß, die Schrift kannte und vom Wort Gottes in seinen Tiefen erfaßt worden war, konnte wohl weder ihm noch seiner Umgebung zweifelhaft sein. Bewundernswert ist die Beharrlichkeit, mit der er gegenüber freundlichen Lockungen und feindseligen Beschuldigungen mit einem vor Gott demütigen, aber vor den Menschen sicheren Selbstbewußtsein an seiner immer wieder neu erlebten Berufung festhält.
Daß das Eingeständnis der Bildungslücken nicht wie bei manchen Zeitgenossen falsche Bescheidenheit, sondem bittere Erkenntnis war, sehen wir nicht nur an der Sprache, die, ein vulgäres, offensichtlich auch mangelhaft beherrschtes Latein, der Übersetzung manchmal große Schwierigkeiten bereitet, sondern auch daran, daß ihm eine übersichtliche Ordnung und Gliederung seiner Gedanken sehr schwer fällt. Er gibt wohl im allgemeinen in zeitlicher Reihenfolge eine Darstellung der Höhe und Wendepunkte in seinem Lehen und wehrt sich gegen verschiedene Angriffe, die gegen ihn erhoben worden waren — in den der Selbstverteidigung gewidmeten Abschnitten scheinen ältere Entwürfe des „Bekenntnisses" verarbeitet worden zu sein —, ist aber von dem ihm besonders am Herzen liegenden Zweck seines „Bekenntnisses", dem Preis Gottes und der Danksagung für die zuteil gewordene Gnadenführung, so erfüllt, daß er kaum imstande ist, ein klares Bild der Vorgänge zu geben. Aber gerade in dieser Erfülltheit liegt eine S. 9 Kraft, die das "Bekenntnis" weit hinaushebt über formell glattere Werke ähnlicher Art.
Es ist bezeichnend, daß der literarisch nicht geschulte Patricius mit sicherem Instinkt den größten Vorbildern folgte: der Bibel in der Sprache und im Gedanklichen besonders Paulus und Augustinus. Die Heilige Schrift hatte er wohl während seiner ganzen Missionstätigkeit dauernd bei sich. So konnte er leicht aus dem Gedächtnis oder nötigenfalls auf Grond genauer Einsichtnahme zitieren1 • Und dies tat er auch ausgiebig. Bot sie ihm doch auch für sein schulmäßig wenig gefestigtes Latein eine gern benützte Stütze. Zahlreich sind die leicht erkennbaren Zitate und Anklänge, von denen der Text seiner Werke durchsetzt ist. Und seine um Berufung und Gnadenführung kreisenden Gedanken fanden in den Psalmen und prophetischen Büchern des Alten Testamentes, in den Evangelien, besonders aber in den Paulusbriefen willkommene Nahrung. Diese mußten ja für den Christen das gegebene Vorbild bei der Darstellung und Rechtfertigung einer Berufung sein. Die Selbstdarstellung einer Persönlichkeit in literarischer Form war auch früheren Zeiten nicht unbekannt, am Ausgang des Altertums aber erreichte sie eine besondere Blüte. Damals entstand das wohl größte Werk dieser Gattung, die „Bekenntnisse" des heiligen Augustinus. Patricius dürfte sie in Auxerre kennen S. 10 gelernt, aber in Irland kaum zur Verfügung gehabt haben, so daß er einzelne Gedanken in der vereinfachten Form, wie sie sich seinem Gedächtnis eingeprägt hatten, herübernahm. lm ganzen aber —und das ist entscheidend — verstand er sein Bekenntnis ebenso wie Augustinus als Dank an Gott für die zuteil gewordene Berufung und Gnadenführung, die aber nicht als etwas persönlich Interessantes dargestellt werden, sondern als ein mächtiges Glaubensmotiv weiter wirken sollte.
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Die Schriftstellen sind im Druck durch Kursivschrift hervorgehoben. Ein genaues Verzeichnis der Fundstellen findet sich am Schluß des Bändchens. ↩