9. Augustinus fällt in eine sehr gefährliche Krankheit.
Und siehe, dort traf mich die Geißel körperlicher Krankheit, und beinahe hätte mich schon die Hölle aufgenommen, belastet neben der Erbsünde, durch die „wir alle in Adam sterben“1, mit all den vielen, schweren Sünden, die ich gegen dich, gegen mich und gegen meine Mitmenschen begangen hatte. Denn noch nichts davon hattest du mir in Christus vergeben, noch nicht hatte jener meine Feindschaft mit dir aufgehoben, die ich durch meine Sünden auf mich geladen hatte. Wie hätte er sie auch aufheben können, da ich glaubte, nur ein Scheinleib, nicht er selbst sei am Kreuze gestorben? Wie falsch mir also der Tod seines Leibes erschien so wahr war der meiner Seele, und wie wahr der Tod seines Fleisches war, so falsch das Leben meiner Seele, die daran nicht glaubte. Das Fieber nahm zu, und schon S. 96 ging ich meinem Untergang entgegen. Denn wohin anders wäre ich gegangen, wenn ich damals von hier geschieden wäre, als in das ewige Feuer und in die Qualen, die ich durch meine Sünden gemäß der Wahrheit deines Gesetzes verdient? Davon wußte meine Mutter nichts, betete aber dennoch auch in der Ferne für mich; du aber, Allbarmherziger, erhörtest sie, wo sie war, und wo ich war, da erbarmtest du dich meiner, daß ich körperliche Gesundheit wieder erlangte, obwohl mein Herz noch immer an Gottlosigkeit krankte. Denn noch immer wollte ich auch in solch großer Gefahr nichts von Taufe wissen, und besser war ich als Kind, da ich sie von der mütterlichen Frömmigkeit erflehte, wie ich mich schon erinnert und dir bekannt habe. Allein zu meiner Schmach war ich herangewachsen, und in meinem Wahne verlachte ich deine heilsamen Warnungen: dennoch ließest du mich nicht zwiefachen Tod sterben. Hätte dieser Schlag das Herz meiner Mutter getroffen, sie wäre nie davon genesen. Denn mit Worten kann ich es nicht ausdrücken, wie ihr Herz für mich schlug und wie ihre Bekümmernis um meine geistige Wiedergeburt weit größer war als bei meiner leiblichen Geburt.
Ich sehe also nicht ein, wie sie hätte geheilt werden können, wenn solch ein doppelter Tod ihres Sohnes ihr liebevolles Herz durchbohrt hätte. Und wo wären dann so inständige Gebete geblieben, so häufige, so ununterbrochene? Nur bei dir. Oder hättest du, Gott der Erbarmungen, wirklich „das zerknirschte und gedemütigte Herz“2 einer keuschen und eingezogen lebenden Witwe verachten können? Sie gab fleißig Almosen, war deinen Heiligen gefällig und dienstbar, versäumte keinen Tag das Opfer an deinem Altare, kam regelmäßig zweimal am Tage, früh und morgens, in die Kirche, nicht eitlen Klatsches und müßiger Altweibergeschichten wegen, sondern damit sie dich in deinem Worte hörte und du sie in ihrem Gebete. Hättest du die Tränen einer solchen Frau, die dich nicht um Silber und Gold, nicht um irgendein veränderliches und flüchtiges Gut, sondern um das Seelenheil ihres Sohnes anflehte, hättest du sie, S. 97 dessen Gnade sie so geschaffen hat, verachten und ihr deinen Beistand verweigern können? Nein, o Herr, gewiß nicht, sondern du warst ihr nahe, erhörtest sie und handeltest nach der Ordnung, die du deinem Wirken vorherbestimmt hattest. Unmöglich konntest du sie in jenen Traumbildern und Antworten, die ich schon erwähnte und noch nicht erwähnte, die sie in treuer Brust behielt und dir in stetem Gebete wie deine Handschrift vorhielt, täuschen. Denn da „deine Barmherzigkeit in Ewigkeit währet“3, verschmähst du es nicht, durch deine Versprechungen denen ein Schuldner zu werden, denen du alle Schulden nachlässest.