XI. 21.
Uns also sind Worte notwendig, damit wir » durch sie uns selbst ermahnen und auf den Gegenstand des Gebetes achten, nicht aber als ob wir glaubten, wir müßten den Herrn durch sie belehren oder erweichen. Wenn wir also sprechen: „Geheiligt werde Dein Name“1, so ermahnen wir uns zur Sehnsucht, daß Gottes allezeit heiliger Name auch von den Menschen heilig gehalten werden, das heißt nicht verunehrt werden möchte. Dies S. 512 aber gereicht nicht Gott, sondern uns zum Nutzen. Wenn wir sprechen: „Zukomme uns Dein Reich!“, so wird dieses Reich zwar kommen, ob wir es wünschen oder nicht, aber wir regen durch dieses Wort unsere Sehnsucht nach diesem Reiche an, damit es für uns komme und wir in ihm zu herrschen verdienen. Wenn wir sprechen: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf Erden“, so erbitten wir uns von Gott eigentlich den Gehorsam, damit sein Wille so von uns geschehe, wie er im Himmel von seinen Engeln geschieht. Wenn wir sprechen: „Gib uns heute unser tägliches Brot“, so wird unter .heute verstanden ,in dieser Zeit’, in der wir um das ausreichende Auskommen bitten, das wir mit dem Ausdruck ,Brot bezeichnen, da das Brot sein vorzüglichster Bestandteil ist. Oder wir können darunter auch das Sakrament der Gläubigen verstehen, das in dieser Zeit uns notwendig ist, aber nicht um zeitliche, sondern um ewige Glückseligkeit zu erlangen. Wenn wir sprechen: „Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigem“, so ermahnen wir uns, sowohl worum wir bitten sollen, als auch was wir zu tun haben, damit wir das Erbetene zu erlangen verdienen. Wenn wir sprechen: „Führe uns nicht in Versuchung“, so ermahnen wir uns, darum zu bitten, daß wir nicht, des göttlichen Beistandes beraubt, uns von irgendeiner Versuchung zur Einwilligung verleiten lassen oder verzagten Sinnes ihr nachgeben. Wenn wir sprechen: „Erlöse uns von dem Übel“, so legen wir uns den Gedanken nahe, daß wir noch nicht in jenem glücklichen Zustande uns befinden, wo wir kein Übel mehr erdulden werden. Und dieser Schluß des Gebetes des Herrn ist so inhaltsreich, daß der Christ, in welcher Not er sich auch befinden mag, bei diesem Gedanken seine Seufzer empor sendet, seine Tränen vergießt, mit diesem Gedanken beginnt, bei ihm verweilt und sein Gebet mit ihm beschließt. So sollten durch diese Worte die betreffenden Wahrheiten selbst unserem Gedächtnisse eingeprägt werden.
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Matth. 6, 9—11 und Luk. 11, 2 und 3. ↩