XI. (Nr. 177.) An Papst Innozentius
Geschrieben im Jahre 416.
Den heiligsten Herrn und nach Verdienst hochzuverehrenden Mitbruder, den Papst Innozentius1, grüßen Aurelius, Alypius, Augustinus, Evodius und Possidius im Herrn.
Inhalt.
Der britische Mönch Pelagius2 und sein vertrauter Freund Cölestius leugneten die Notwendigkeit der inneren S. 603 und übernatürlichen Gnade zur Vollbringung des Guten und zur Erlangung der ewigen Seligkeit, sowie auch das Vorhandensein der Erbsünde. Die Schriften des Pelagius wurden viel gelesen, und so kam es, daß Augustinus und Hieronymus schon früher gegen diese Irrlehre auf getreten waren. Zur Geschichte des vorliegenden Briefes sei noch folgendes bemerkt: Cölestius war nach Karthago gekommen, um dort die Priesterweihe zu erlangen. Allein der Primas Aurelius war durch eifrige Katholiken auf seine Irrlehren aufmerksam gemacht worden, und so willfahrte er nicht nur seiner Bitte nicht, sondern stellte ihn auch 411 vor eine Synode, damit er sich verantworte. Der Diakon Paulinus von Mailand trat als Ankläger gegen ihn auf und warf ihm sechs irrige Lehrpunkte vor. Cölestius berief sich auf einen gewissen Priester Rufinus aus Rom3, von dem er diese Lehre empfangen haben wollte. Da er nicht widerrief, so wurde er verurteilt. Der hl. Augustinus schickte dann den Priester Orosius zu Hieronymus, der in seinem Briefe an Ktesiphon die Irrlehre des Pelagius bekämpft hatte. Orosius beschuldigte den Pelagius auf einer Synode zu Jerusalem (415), wo aber der diesem günstig gesinnte Bischof Johannes kein Urteil gegen ihn fällte. Im gleichen Jahre versammelte, veranlaßt durch die vertriebenen gallischen Bischöfe Heros und Lazarus, der Metropolit Eulogius von Cäsarea eine Synode zu Diospolis, auf der aber Pelagius freigesprochen wurde, da es ihm gelang, seine Irrlehre unter täuschenden Ausdrücken zu verstecken. Als nun Orosius mit Briefen des Heros und Lazarus nach Afrika zurückkehrte, hielten 68 Bischöfe des prokonsularischen Afrikas eine Synode zu Karthago (416), auf der sie die 411 gegen Cölestius gefaßten Beschlüsse erneuerten und ein ausführliches Sendschreiben an Papst Innozentius I. erließen (Brief 175 unter den Briefen Augustins; er selbst war indessen bei dieser Synode nicht anwesend). Im gleichen Jahre hielten auch die Bischöfe von Numidien S. 604 in gleicher Angelegenheit eine Synode zu Mileve, auf der 59 Bischöfe, unter denen sich der hl. Augustinus befand, den Papst von der vorhandenen Gefahr in Kenntnis setzten und in Ausdrücken, die deutlich von der Anerkennung des Primates zeugen, um Abhilfe baten (Brief 176). Außerdem wandten sich um dieselbe Zeit die fünf in der Aufschrift des vorliegenden Briefes genannten Bischöfe in einem besonderen Schreiben an den Papst. Es wird darin besonders gezeigt, daß Pelagius, wenn er von einer Hilfe der göttlichen Gnade zu Jerusalem und Diospolis gesprochen habe, darunter nur die Schöpfungsgnade, das heißt die anerschaffenen Fähigkeiten der menschlichen Natur verstehe, daß aber diese oder überhaupt eine äußere Gnade, wie z.B. das Gesetz, unmöglich zum Heile hinreichen könne, ln geschichtlicher Beziehung wird bemerkt, daß Pelagius zu Rom Gönner besitze und auch in Afrika viel Gezänk und Streit wegen dieser neuen Lehre sei. Zwei Mönche, Timasius und Jakobus, die früher Anhänger des Pelagius gewesen und auf seinen Rat in den Ordensstand getreten waren, hatten ein Buch von Pelagius überreicht, aus dem sich seine Irrlehre klar ergab. Die Bischöfe übersandten dieses Buch mit der Bitte, den Pelagius nach Rom zu berufen und über seine Autorschaft und eventuell über dessen häretischen Inhalt eine Untersuchung anzustellen und zu tun, was das Heil der ganzen Kirche erfordere.