1. Die guten und die bösen Engel haben die gleiche Natur.
Band 16, S. 643 Ich sollte nun von der Erschaffung des Menschen handeln und den Ursprung der beiden Staaten innerhalb des Geschlechtes der vernunftbegabten sterblichen Wesen darlegen, wie er im vorigen Buch innerhalb der Engel weit bereits vor Augen gestellt wurde; aber zunächst habe ich noch über die Engel einiges zu besprechen, um zu erweisen, so gut es geht, daß man mit vollem Recht von einer Gemeinschaft zwischen Engeln und Menschen spricht und demnach nicht von vier Staaten die Rede sein kann1, sondern nur von zwei Staaten, d. i. Genossenschaften, einer der guten Engel und Menschen und einer der bösen Engel und Menschen.
Der Gegensatz in den Bestrebungen der guten und der bösen Engel beruht — daran ist nicht zu zweifeln — nicht auf einer Verschiedenheit der Natur und der Uranfänge, da ja die einen wie die andern von Gott Band 16, S. 644erschaffen sind, dem guten Urheber und Schöpfer aller Wesen. Dieser Gegensatz ging vielmehr hervor aus verschiedener Richtung des Willens und des Begehrens: die einen verharren unverbrüchlich in dem allen gemeinsamen Gut, das für sie Gott selbst ist, und in seiner Ewigkeit, Wahrheit und Liebe, die anderen dagegen haben sich, in ihrer Eigengewalt schwelgend, gleich als wären sie sich selbst ihr Gut, von dem höheren, allen gemeinsamen, beseligenden Gut ab- und dem eigenen Ich zugewandt und sind, indem sie dünkelhafte Selbstüberhebung für die erhabenste Ewigkeit, schlauen Trug für die sicherste Wahrheit und Sonderbestrebungen für ungeteilte Liebe hinnahmen, hochmütig, trügerisch und neidisch geworden. Die Glückseligkeit der einen also gründet in der Hingabe an Gott; und so ergibt sich für die anderen als Ursache der Unseligkeit das Gegenteil, die Abkehr von Gott. Mit Recht also nennt man die einen glückselig, weil sie Gott anhängen, die andern unselig, weil sie ihm nicht anhängen. Demnach ist Gott das einzige beseligende Gut für das mit Verstand und Vernunft begabte Geschöpf. Also jegliches Geschöpf, das der Glückseligkeit fähig ist (nicht alle sind es; die Tier-, Pflanzen-, Gesteinswelt und anderes dergleichen ist ausgeschlossen von dieser Gabe und Befähigung), gewinnt sie nicht aus sich selbst, weil es ja aus nichts erschaffen ist, sondern aus dem, von dem es erschaffen ist. Es ist glückselig durch den Besitz dessen, dessen Verlust es unselig macht. Unfähig aber der Unseligkeit ist der, der seine Seligkeit nicht aus einem andern Gut, sondern aus dem Gut, das er selbst ist, gewinnt; denn seiner selbst kann er nicht verlustig gehen.
Darum sagen wir, daß es kein unwandelbares Gut gibt außer der einen wahren, glückseligen Gottheit, daß dagegen Gottes Geschöpfe zwar gut sind, weil sie von ihm erschaffen sind, jedoch wandelbar, weil sie nicht aus ihm, sondern aus nichts erschaffen sind. Das höchste Gut ist also Gott, aber hohe Gutwesen sind auch jene wandelbaren Gutwesen, die imstande sind, zu ihrer Glückseligkeit dem unwandelbaren Gut anzuhängen, das so sehr für sie das Gut ist, daß sie ohne es nur unselig sein können. Wenn die übrigen Wesen in der Band 16, S. 645Gesamtheit der Schöpfung nicht unselig sein können, so macht sie das nicht vorzüglicher als jene. Man könnte gerade so gut sagen, an unserm Leibe hätten vor den Augen die übrigen Glieder etwas voraus, weil sie nicht blind sein können. So gut das fühlende Wesen, auch wenn es Schmerz erduldet, über dem Steine steht, der dem Schmerz unzugänglich ist, so steht das vernunftbegabte Wesen auch in Unseligkeit über dem vernunftlosen und dem gefühllosen und deshalb der Unseligkeit unfähigen Wesen. Unter diesen Umständen ist es für eine Natur von solcher Vorzüglichkeit, daß sie trotz ihrer Wandelbarkeit durch Hingabe an das unwandelbare Gut, an den höchsten Gott, Glückseligkeit erlangt und ihr Sehnen nur durch Glückseligkeit stillen kann und zu dessen Stillung auf Gott allein angewiesen ist, für eine solche Natur, sage ich, bedeutet es ein Verderben, wenn sie Gott nicht anhängt2. Jedes Verderben aber tut der Natur Eintrag und ist demnach wider die Natur. Von dem gottergebenen Wesen unterscheidet sich also das gottentfremdete nicht der Natur nach, sondern durch Verderbtheit, ja die Natur erweist sich selbst in der Verderbtheit als großartig und ruhmwürdig. Denn wenn ich an jemand ein Verderben beanstande, und mit Recht beanstande, so ist das ohne Zweifel ein Ruhmeszeugnis für dessen Natur. Darin liegt ja die Berechtigung zum Tadel, daß das Verderben eine tadellose Natur verunziert. Wie sich also in der Bezeichnung der Blindheit als eines Gebrechens der Augen zeigt, daß das Sehen zur Natur der Augen gehöre, und mit der Bezeichnung der Taubheit als eines Gebrechens der Ohren deutlich gesagt ist, daß das Hören zur Natur der Ohren gehöre, so auch beim Engelsgeschöpf: indem man es als ein Gebrechen an ihm bezeichnet, wofern es Gott nicht anhängt, läßt man keinen Zweifel darüber, daß es seiner Natur zukomme, Gott anzuhängen. Welcher Ruhm es nun aber für sie sei, Gott anzuhängen, um ihm zu leben, aus ihm weise, in ihm selig zu sein, und ein so erhabenes Gut unter Ausschluß von Tod, Irrtum und Mühsal zu genießen, das läßt sich weder ausdenken noch mit Band 16, S. 646Worten schildern. Und so offenbart sich auch an dem Verderben oder Gebrechen der bösen Engel, dem zufolge sie Gott nicht anhängen, in aller Deutlichkeit, da jegliches Gebrechen der Natur schadet, daß Gott ihre Natur, die nur zu ihrem Schaden sich ihm entfremden kann, durchaus gut erschaffen habe.