21. Der Segen der Mehrung durch Fruchtbarkeit, den Menschen vor der Sünde erteilt, wurde durch die Übertretung nicht aufgehoben; es trat jedoch neu hinzu das Fieber der Lust.
Keinenfalls also dürfen wir annehmen, die Gatten im Paradiese hätten auf dem Wege solcher Lust, die sie mit Scham übergoß und zur Bedeckung der Zeugungsglieder veranlaßte, die Verheißung wahr gemacht, die Gott in seinem Segen aussprach1: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde“. Ist doch erst nach der Sünde diese Lust erstanden und erst nach der Sünde hat die Natur, die ja nicht schamlos ist, nunmehr verlustig gegangen der Herrschgewalt über den Leib in all seinen Teilen, sie empfunden, bemerkt, sich darüber beschämt gefühlt und sie zu verbergen gesucht. Jener Ehesegen dagegen, daß die Gatten durch ihre Verbindung wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen sollten., ist zwar auch nach der Sünde ihnen verblieben, aber er ist vor der Sünde gegeben worden, damit man erkenne, daß die Erzeugung von Kindern mit der Strafe für die Sünde nichts zu schaffen habe, sondern zur Herrlichkeit der Ehe gehöre. Aber die Menschen von heute, die natürlich von dem ehemaligen Paradiesesglück keine Ahnung haben, können sich die Erzeugung von Kindern nur auf dem ihnen aus Erfahrung bekannten Band 16, S. 787Wege, auf dem Wege der geschlechtlichen Lust vorstellen, deren man sich selbst im ehrbarsten Ehebeilager schämt. Und die Heilige Schrift, worin es doch heißt, daß man nach der Sünde sich der Nacktheit schämte und die Scham bedeckte, nehmen die einen2 überhaupt nicht an, sondern lachen darüber ungläubig, während die anderen3 sie zwar annehmen und in Ehren halten, jedoch den Ausspruch: „Wachset und mehret euch“ nicht von der Fruchtbarkeit dem Leibe nach verstanden wissen wollen, mit Berufung darauf, daß es auch über die Seele einen ähnlichen Ausspruch gibt, nämlich4: „Du wirst mich zunehmen lassen in meiner Seele der Tugend nach“. Demnach verstehen sie bei den in der Genesis folgenden Worten: „Und erfüllet die Erde und herrschet über sie“ unter Erde den Leib, den die Seele mit ihrer Gegenwart erfüllt und über den sie ganz besonders dann herrscht, wenn sie in der Tugend zunimmt; Leibesfrucht dagegen habe damals so wenig wie heutzutage ohne geschlechtliche Lust entstehen können, die erst nach der Sünde auftrat und erkannt ward und sich scheu in die Verborgenheit zurückzog, und es sollte auch im Paradies keine Leibesfrucht geben, sondern erst außerhalb, wie es auch eingetreten ist. Denn erst nachdem sie daraus vertrieben waren, taten sie sich zur Erzeugung von Kindern zusammen und erzeugten solche wirklich.