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Bibliothek der Kirchenväter
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Œuvres Augustin d'Hippone (354-430) Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
20. Buch

8. Die Bindung und Freilassung des Teufels.

„Danach muß er auf kurze Zeit freigelassen werden“, heißt es weiter1. Wenn nun für den Teufel Bindung und Einschließung soviel bedeutet wie: „die Kirche nicht verführen können“, bedeutet dann seine Freilassung, daß er sie verführen könne? Gewiß nicht; denn niemals wird er die von Grundlegung der Welt an vorherbestimmte und auserwählte Kirche verführen, von der es heißt2: „Es kennt der Herr die Seinen.“ Vorhanden jedoch wird sie sein zu der Zeit, da der Teufel freizulassen ist, wie sie vorhanden war seit ihrer Gründung und zu jeder Zeit vorhanden sein wird, ich meine in ihren Angehörigen, die durch die Geburt an die Stelle der Absterbenden rücken. Denn weiter unten spricht der Seher von einem Krieg wider sie; der freigelassene Teufel wird gegen sie die verführten Völker auf dem ganzen Erdkreis an sich ziehen, eine Feindesschar so zahlreich wie der Sand des Meeres. „Und sie zogen herauf“, heißt es3, „über die weite Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt; da fuhr ein Feuer von Gott aus dem Himmel herab und verzehrte die Feinde; und der Teufel, der sie verführte, ward in den Feuer- und Schwefelpfuhl geworfen, und dahin auch das Tier und der falsche Prophet; da werden sie gepeinigt werden Tag und Nacht in alle Ewigkeit.“ Doch das gehört schon zum letzten Gericht, und ich habe es hier nur angeführt, um der Meinung vorzubeugen, als wäre auch nur in der kurzen Zeit, da der Teufel freigelassen sein wird, die Kirche auf Erden nicht Band 28, S. 1236vorhanden; er wird sie vielmehr antreffen hienieden während seiner Freilassung und wird sie auch nicht beseitigen bei der mit allen Mitteln durchgeführten Verfolgung. Wenn also die Rede ist von Bindung des Teufels während der ganzen Zeit, die dieses Buch der Geheimen Offenbarung umfaßt, nämlich von der ersten Ankunft Christi bis zum Weltende, da seine zweite Ankunft erfolgt, so kann diese seine Bindung doch wieder nicht darin bestehen, daß er in der Zwischenzeit, die als die tausend Jahre bezeichnet wird, die Kirche nicht verführt, da er sie ja auch nach seiner Freilassung nicht verführen wird. Denn sicherlich kann die Freilassung nur bedeuten, daß er verführen kann oder darf, wenn die Bindung bedeutet, daß er nicht verführen kann oder darf. Aber daran ist doch nicht zu denken, daß die Kirche verführt würde; vielmehr besteht die Bindung des Teufels darin, daß ihm nicht verstattet wird, die ganze Wucht der Versuchung, deren er fähig ist, zu entfalten durch Gewalt oder List zur Verführung der Menschen, indem er sie auf seine Seite gewaltsam zwingt oder trügerisch lockt. Wäre ihm das verstattet während einer so langen Zeit und bei der großen Schwäche weiter Kreise, so würde er von denen, die Gott vor solchem Verderben bewahren will, gar viele Gläubige zu Falle bringen und Ungläubige vom Glauben abhalten; eben das nicht zu tun, ist er angebunden.

Freigelassen aber wird er, wenn nur mehr kurze Zeit übrig ist4 und wenn die, mit denen er den Kampf zu führen hat, in einer Verfassung sind, daß sie seinem gewaltigen Angriff und seinen Nachstellungen mit Erfolg widerstehen können. Würde er dagegen niemals freigelassen, so träte seine bösartige Macht weniger klar in die Erscheinung, es würde sich die Geduld der heiligen Stadt in ihrer nie wankenden Ausdauer weniger klar erweisen, und es würde sich endlich auch nicht so deutlich erkennen lassen, wie sehr seine übergroße Bosheit nach dem Willen des Allmächtigen dem Guten dienen muß; Gott hat den Band 28, S. 1237Teufel von der Versuchung der Heiligen, wenn schon er verbannt ist aus ihrem inneren Menschen, wo der Glaube an Gott seinen Sitz hat, nicht völlig ferngehalten, damit sie durch seine äußeren Angriffe voranschreiten; er hat ihn in denen, die auf seiner Seite stehen, gebunden, damit er nicht durch Entfaltung seiner ganzen Boshe.it die zahllosen Schwachen, die die Kirche mehren und füllen sollten, sei es, daß sie den Glauben erst annehmen sollten oder schon Gläubige sind, vom gottseligen Glauben abschrecke oder abtrünnig mache; er wird ihn aber am Ende freilassen, damit der Gottesstaat unter unermeßlichem Preise seines Befreiers, Helfers und Erlösers beherzige, welch starken Gegner er überwunden habe. Was sind übrigens wir im Vergleich mit den Heiligen und Gläubigen jener Endzeit? Zu ihrer Erprobung wird der mächtige Feind freigelassen, mit dem wir jetzt, da er gebunden ist, nur unter schweren Gefahren ringen. Immerhin gab und gibt es sicher auch in der Zwischenzeit manche Streiter Christi von solcher Klugheit und Tapferkeit, daß sie alle Nachstellungen und Angriffe des Teufels teils mit höchster Weisheit meiden, teils mit wunderbarer Geduld ertragen würden, weilten sie zur Zeit seiner Freilassung in dieser Sterblichkeit.

Diese Bindung des Teufels erfolgte indes nicht nur in den Zeiten der beginnenden Ausbreitung der Kirche von Judäa aus über immer neue Völker; sie hat vielmehr auch jetzt statt und wird statthaben bis zum Ende der Weltzeit, da er freigelassen wird; denn auch jetzt bekehren sich Menschen vom Unglauben, worin er sie besaß, zum Glauben, und das wird ohne Zweifel bis zu jenem Endpunkte der Fall sein; für jeden einzelnen wird eben dann dieser Starke gebunden, wenn er, bisher dessen Hausgerät, ihm entrissen wird5; und umgekehrt beschränkt sich der Abgrund, darin er eingeschlossen ist, nicht auf die, die bei Beginn seiner Einschließung schon gestorben waren; vielmehr sind ihnen andere durch Zeugung nachgefolgt und folgen ihnen nach bis zum Ende der Weltzeit, Menschen, die die Christen hassen und in deren finsteren und tiefen Herzen er täglich wie in einem Band 28, S. 1238Abgrund eingeschlossen wird. Dagegen ist streitig, ob auch in jenen letzten dreieinhalb Jahren, da er, losgelassen, mit aller Kraft wüten wird, auch nur einer, der bis dahin den Glauben nicht hatte, diesem beitreten wird. Es heißt nämlich6: „Wer wird in das Haus des Starken eindringen können, ihm sein Hausgerät zu entreißen, ohne vorher den Starken gebunden zu haben?“ Also kann man ihm das Hausgerät dann nicht entreißen, wenn er frei oder losgelassen ist. Diese Stelle scheint demnach zu der Annahme zu nötigen, daß sich in dieser freilich kurzen Zeit niemand mehr dem Christenvolk anschließen, daß vielmehr der Teufel lediglich mit denen kämpfen werde, die er bereits als Christen antrifft; von diesen mögen immerhin manche ihm unterliegen und seiner Gefolgschaft beitreten, sie gehören dann eben nicht zu der vorherbestimmten Zahl der Kinder Gottes. Denn nicht ohne Grund heißt es bei demselben Apostel Johannes, der diese Geheime Offenbarung geschrieben hat, in einem seiner Briefe von einigen7: „Sie haben uns verlassen, allein sie waren nicht von den Unsrigen; denn wären sie von den Unsrigen gewesen, so wären sie natürlich bei uns geblieben.“ Aber wie steht es denn mit den kleinen Kindern? Es ist ja doch völlig unwahrscheinlich, daß von jenem Zeitpunkt nicht Christenkinder überrascht würden, die schon geboren, aber noch nicht getauft sind, und ebenso auch, daß während jener Tage selbst den Christen keine Kinder geboren würden oder daß ihre Eltern nicht auf alle Weise für ihre Taufe sorgten. Wie können dann diese „Geräte“ dem nun losgelassenen Teufel entrissen werden, da doch niemand in sein Haus eindringen kann, ihm das Hausgeräte zu entreißen, ohne ihn vorher gebunden zu haben? Man wird also vielmehr anzunehmen haben, daß es zu jener Zeit wie an Abtrünnigen so auch an Ankömmlingen der Kirche nicht fehlen wird; sicherlich werden sowohl die Eltern in der Angelegenheit der Taufe ihrer Kinder, wie auch die neu hinzutretenden Gläubigen stark genug sein, jenen Starken auch in seiner Freiheit zu überwinden, Band 28, S. 1239d. h. seine freilich nun ganz ausbündigen Nachstellungskünste und Gewalttätigkeiten durch Wachsamkeit zu erkennen und in Geduld zu ertragen und so ihm auch in seiner Freiheit zu entrinnen. Deshalb bleibt doch wahr der Ausspruch des Evangeliums: „Wer wird in das Haus des Starken eindringen können, ihm das Hausgerät zu entreißen, ohne vorher den Starken gebunden zu haben?“ Denn er bewahrheitet sich in bezug auf die Reihenfolge: zuerst wurde der Starke gebunden und wächst die Kirche nach Hinwegnahme seines Gerätes weit und breit bei allen Völkern durch Starke und Schwache so sehr, daß sie imstande ist, gerade durch unerschütterlichen Glauben an die von Gott verheißenen und erfüllten Dinge dem Starken auch in seiner Freiheit das Hausgeräte zu entreißen. Gewiß wird ja die Liebe bei vielen erkalten, wenn die Bosheit überhand nimmt8, und werden die, die nicht im Buche des Lebens geschrieben stehen, in großer Zahl den außerordentlichen und sehr schweren Verfolgungen und Ränken des nun losgelassenen Teufels erliegen; aber ebenso gewiß werden nicht nur die guten Gläubigen jener Endzeit, sondern auch manche, die noch außen stehen, mit Hilfe der Gnade Gottes durch Betrachtung der Heiligen Schrift, worin unter anderem auch das ihnen nun aus der Erfahrung bekannt werdende Ende vorhergesagt ist, eine höhere Festigkeit gewinnen, zu glauben, was sie bisher nicht geglaubt, und eine höhere Kraft, den Teufel auch in seiner Freiheit zu überwinden. Demnach wird man sagen müssen, die Bindung des Teufels sei deshalb vorausgegangen, damit der Teufel hinterher so wie in seiner Bindung, so auch in seiner Freiheit beraubt werde; denn in diesem Sinne gilt das Wort: „Wer wird in das Haus des Starken eindringen können, ihm das Hausgeräte zu entreißen, ohne vorher den Starken gebunden zu haben?“


  1. Off. 20, 3. ↩

  2. 2 Tim. 2, 19. ↩

  3. Off. 20, 8-10. ↩

  4. drei Jahre und sechs Monate, so liest man [Vgl. die Schriftstellen unten XX 13 am Anfang.], wird er nebst den Seinen mit aller Kraft wüten ↩

  5. Vgl. Mark. 3, 27. ↩

  6. Matth. 12, 29. ↩

  7. 1 Joh. 2, 19. ↩

  8. Matth. 24, 12. ↩

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