1. Die Lage der Engel und Menschen.
Band 28, S. 1383 Wie ich im vorigen Buch angekündigt habe, ist dieses letzte Buch des ganzen Werkes der ewigen Glückseligkeit des Gottesstaates gewidmet, den man als ewig bezeichnet nicht wegen einer viele Weltalter hindurch währenden Dauer, sondern in dem Sinne, wie es im Evangelium heißt1: „Sein Reich wird kein Ende nehmen.“ Auch wird seine ewige Dauer nicht darin bestehen, daß im steten Wechsel von Tod und Geburt lediglich der Schein ewiger Dauer hervorgerufen wird, wie bei einem stets belaubten Baume das grüne Blättergewand scheinbar dasselbe bleibt, indem beim Welken und Fallen der Blätter sofort neue nachkommen, die ihm das Ansehen dichter Belaubtheit erhalten; vielmehr werden alle Bürger in ihm unsterblich sein, da nun auch den Menschen die Gabe zuteil wird, die den heiligen Engeln nie abhanden gekommen ist. Das wird sein Gründer bewirken, dessen Allmacht ohne Grenzen ist. Denn er Band 28, S. 1384hat es verheißen, und er kann nicht lügen, und er hat an ihnen bereits reichlich genug seine Güte erwiesen, um auch hierfür Glauben zu erwecken, Wohltaten, die er verheißen, und solche, die er nicht verheißen hat.
Denn er ist es, der im Anfang die Welt erschaffen hat mit ihrer Fülle von lauter guten, sinnlichen und übersinnlichen Wesen; er ist es, der in ihr als das Vorzüglichste die Geister ins Dasein gerufen, die er mit der Gabe der Erkenntnis ausgestattet und zur Fähigkeit ihn zu betrachten und ihn zu fassen erhoben und zu einer einheitlichen Genossenschaft verbunden hat, zum heiligen und oberen Staate, wie wir sie nennen, worin Gott selbst für sie der Grund der Erhaltung und der Seligkeit ist als das Leben und die Nahrung für alle; er ist es, der dieser erkenntnisfähigen Natur wahlfreien Willen verliehen hat in der Weise, daß sie Gott, ihre Seligkeit, sollte verlassen können, wenn sie wollte, jedoch nicht, ohne daß die Unseligkeit auf dem Fuße folgte; er ist es, der trotz der Vorhersicht, daß eine Anzahl Engel durch eine Überhebung, in der sie sich selbst zu einem seligen Leben würden genügen wollen, von einem so großen Gute sich abkehren würden, ihnen doch die Macht dazu nicht benahm, urteilend, es sei machtvoller und besser, auch vom Übel Anlaß zum Vollbringen des Guten zu nehmen, als von vornherein kein Übel zuzulassen [und solches gäbe es dann nicht, wenn nicht die wandelbare, jedoch gute und vom höchsten Gott und unwandelbaren Gut, das alles Gute erschaffen hat, ins Leben gerufene Natur durch Sündigen sich selbst das Übel bereitet hätte, wobei auch die Sünde noch zur Zeugin ihrer anerschaffenen Gutheit wird2; denn wäre nicht auch sie, die Natur, ein großes, wenn auch dem Schöpfer nicht gleichstehendes Gut, so könnte der Abfall von Gott als ihrem Lichte überhaupt kein Übel für sie sein; wie die Blindheit ein Gebrechen des Auges ist und eben als solches nachdrucksam darauf hinweist, daß das Auge zum Sehen des Lichtes geschaffen ist, und wie demnach gerade durch sein Gebrechen das lichtempfängliche Organ als vorzüglicher erwiesen wird denn die übrigen Glieder Band 28, S. 1385— es wäre ja sonst für das Auge kein Gebrechen, der Sehkraft zu entbehren —, so zeigt auch die Natur, die im Genusse Gottes stand, ihre anerschaffene Vortrefflichkeit sogar durch ihr Verderben, das sie nur deshalb unselig macht, weil sie Gott nicht genießt]. Gott ist es, der an dem freiwilligen Fall der Engel die völlig gerechte Strafe ewiger Unseligkeit geknüpft und den übrigen, die in diesem höchsten Gute verharrten, als Lohn ihres Verharrens gewährt hat, daß sie ihres ewig dauernden Verharrens in ihm sicher seien; er ist es, der ebenso auch den Menschen aufrecht erschaffen hat mit dem nämlichen wahlfreien Willen, ein irdisches Leibeswesen zwar, jedoch wert des Himmels, wenn es seinem Schöpfer verbunden bliebe, während umgekehrt, wenn es von ihm abfiele, ebenfalls Unseligkeit die Folge sein sollte, eine solche, wie sie einer derartigen Natur entspräche [und auch vom Menschen wußte er voraus, daß er unter Übertretung des Gottesgebotes durch Abfall von Gott sündigen würde, ohne ihm doch deshalb die Macht zu wahlfreier Entscheidung des Willens zu benehmen, zugleich voraussehend, was er Gutes aus Anlaß seiner Bosheit schaffe]; er ist es, der aus dem mit Fug und Recht verdammten Geschlechte der Sterblichen durch seine Gnade ein Volk schart, groß genug, um die Lücke zu ergänzen und auszufüllen, die durch den Engelsfall entstanden ist, und die geliebte obere Stadt nicht Einbuße erleiden zu lassen an Bürgerzahl, vielleicht sogar mit einer noch größeren sie zu beglücken.