7. Kapitel. Fragen in Bezug auf die Gotteserscheinungen.
12. Wegen dieser körperlichen Gestalten also, welche eine Zeitlang Dasein besaßen, um den Heiligen Geist zu versinnbilden und seine Gegenwart in einer den menschlichen Sinnen entsprechenden Weise kundzutun, heißt es vom Heiligen Geiste, daß er gesandt wurde. Doch wurde von ihm nicht gesagt, daß er geringer ist als der Vater, wie das vom Sohne wegen der Knechtsgestalt gesagt wurde, weil ihm die Knechtsgestalt anhaftete in der Einheit der Person, jene körperlichen Gestalten jedoch sichtbar wurden, um zu erweisen, was für den Augenblick gerade erwiesen werden mußte, und nachher wieder zu sein aufhörten. (Man kann da freilich fragen:) Warum heißt es denn nicht auch vom Vater, daß er durch jene körperlichen Gestalten gesandt wurde, durch das Feuer des Dornbusches, durch die Wolken- oder Feuersäule, durch die Blitze auf dem Berge oder durch andere derartige Erscheinungen — wir erfahren ja durch das Zeugnis der Schrift, daß er persönlich mit den Vätern gesprochen hat —, wenn durch solche geschöpfliche Gebilde und Formen, die in sinnlich wahrnehmbarer Gestalt vor das menschliche Auge hintraten, seine Gegenwart erwiesen wurde? Sollte aber durch diese Erscheinungen die Gegenwart des Sohnes bekundet werden, warum wird er so lange hernach gesandt genannt, als er aus dem Weibe geboren wurde, wie der Apostel sagt: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren aus dem Weibe“,1 wo er doch schon lange vorher gesandt wurde, damals eben, als er durch jene wandelbaren geschöpflichen Gestalten den S. 71 Vätern erschien? Oder wenn man ihn nur deshalb gesandt heißen darf, weil das Wort Fleisch geworden ist, warum sagt man dann vom Heiligen Geiste, daß er gesandt wurde, wo doch bei ihm keine derartige Einkörperung stattfand? Wenn aber durch jene sichtbaren, im Gesetze und in den Propheten berichteten Erscheinungen weder der Vater noch der Sohn, sondern nur der Heilige Geist kundgetan werden sollte, warum heißt es auch von ihm erst jetzt, daß er gesandt wird, wo er doch durch jene Erscheinungsweisen schon früher gesandt wurde?
13. Bei dieser verwickelten Sachlage will ich mit Hilfe Gottes zuerst die Frage stellen, ob der Vater oder der Sohn oder der Heilige Geist oder ob bald der Vater, bald der Sohn, bald der Heilige Geist oder ob der eine und alleinige Gott, das heißt die Dreieinigkeit selbst ohne Unterschied der Personen durch jene geschöpflichen Formen den Vätern erschienen ist. Wenn sich sodann eine von diesen Möglichkeiten als wirklich herausstellt und nachweisen läßt, dann will ich untersuchen, ob für diesen Zweck nur ein geschöpfliches Gebilde gestaltet wurde, in welchem sich Gott, wie er es für zweckmäßig erachtete, menschlichen Blicken kundtat, oder ob die Engel, die schon Dasein hatten, mit dem Auftrag gesandt wurden, im Namen Gottes zu reden — sie hätten in diesem Falle eine körperliche Gestalt aus der materiellen Schöpfung für die Zwecke ihrer Dienstleistung annehmen können, so wie es jeweils notwendig war; sie hätten auch ihren eigenen Körper, dem sie nicht unterworfen sind, der vielmehr ihnen unterworfen ist und von ihnen beherrscht wird, in die von ihnen gewünschten, für ihre Aufgabe passenden und geeigneten körperlichen Erscheinungen umgestalten und verwandeln können auf Grund der ihnen vom Schöpfer verliehenen Macht. Zum Schlusse werden wir sehen, was zu untersuchen wir uns vorgenommen haben, ob Sohn und Geist auch früher gesandt wurden; wenn S. 72 ja, was zwischen diesen früheren und den im Evangelium berichteten Sendungen für ein Unterschied besteht, ob der Sohn nur dadurch gesandt wurde, daß er aus der Jungfrau Maria geboren wurde, und der Heilige Geist nur dadurch, daß er in sichtbarer Gestalt, sei es der Taube, sei es feuriger Zungen erschien.
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Gal. 4, 4. ↩