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Vom Zorne Gottes (BKV)
18. Naturgemäßheit des Zornes.
„Wozu bedarf es des Zornes“, fragen die Stoiker, „da man ohne diese Erregung die Fehler verbessern kann?“ Nun gibt es aber niemand, der bei einer sträflichen Handlung ruhig zusehen kann. Das kann vielleicht der, welcher über die Gesetze zu wachen hat, weil die Untat nicht unter seinen Augen sich vollzieht, sondern ihm von anderen als noch zweifelhaft hinterbracht wird. Und ein Verbrechen kann nie so ausgemacht sein, daß es keine Möglichkeit der Rechtfertigung gäbe; darum braucht sich der Richter nicht aufzuregen wider den, der möglicherweise als unschuldig erfunden wird; und wenn dann die Untat aufgedeckt und ans Licht gebracht ist, so spricht nicht mehr der Richter das Urteil, sondern die Gesetze. Und so mag man es beim Richter zugeben, daß er ohne Zorn seines Amtes walte, weil er eine Norm hat, an die er sich halten kann; aber wir S. 113 freilich können uns der Entrüstung nicht erwehren, wenn wir sehen oder wahrnehmen, wie die Unsrigen zu Hause sträflich sich vergehen; denn schon der Anblick der Sünde ist empörend. Wer bei diesem Anblick ganz gleichgültig bleibt, der billigt entweder die Vergehungen — und das ist schimpflich und ungerecht —, oder er flieht die Beschwerlichkeit der Züchtigung, die das gelassene Gemüt und der ruhige Sinn verschmäht und ablehnt, wenn nicht der Zorn stachelt und reizt. Wer aber zwar aufgebracht wird, aber in unzeitgemäßer Milde öfters als gut ist oder auch immer Nachsicht übt, der verdirbt geradezu das Leben der Seinigen; denn er nährt ihre Vermessenheit zu größeren Untaten und schafft sich selbst immerwährenden Anlaß zu Verdrießlichkeiten. Fehlerhaft ist also die Zurückhaltung des Zornes, wo es sich um Verordnungen handelt.
Man lobt den Archytas1 aus Tarent. Als dieser auf seinem Landgute aus Schuld seines Verwalters alles herabgekommen fand, sprach er zu diesem: „Erbärmlicher, den ich alsbald zu Tode gepeitscht hätte, wenn ich nicht erzürnt wäre.“ Das erachten die Stoiker als einzigartiges Beispiel der Selbstbeherrschung, aber durch das Gewicht des Ansehens verleitet, sehen sie nicht, wie ungereimt Archytas gesprochen und gehandelt hat. Denn wenn nach Plato kein Verständiger straft, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde, so sieht man leicht ein, was für ein übles Beispiel der weise Mann aufgestellt hat. Wenn nämlich die Sklaven merken, daß ihr Herr dann wütet, wenn er nicht zürnt, und dann schont, wenn er zürnt, so werden sie sicherlich nicht gering sich verfehlen, um nicht gepeitscht zu werden, sondern möglichst schwer, um den Ärger des verkehrten Mannes zu erregen und ungestraft davonzukommen. Ich fürwahr würde den Archytas loben, wenn er im Zustand der Aufregung dem Zorne Raum gelassen hätte, damit in der Zwischenzeit die innere Aufwallung sich legte und die Züchtigung Maß und Grenze hielte. Nicht hätte er also wegen der Größe des S. 114 Zornes die Strafe erlassen, sondern aufschieben sollen, um nicht dem Schuldigen einen ungebührlich großen Schmerz zuzufügen, oder die eigene Aufregung bei der Züchtigung zu mehren. So aber frage ich: was liegt denn für eine Billigkeit oder Weisheit darin, wenn einer wegen eines geringen Vergehens gestraft wird und wegen des größten ungestraft bleibt? Hätte Archytas die natürliche Entwicklung und die Ursachen der Dinge erkannt, so würde er sich nie für eine so unangebrachte Selbstbeherrschung erklärt haben, daß der schlechte Sklave sich über den Zorn seines Herrn beglückwünschen konnte. Denn wie Gott den menschlichen Leib mit vielen und verschiedenartigen Sinnen ausgestattet hat, wie sie für den Gebrauch des Lebens notwendig sind, so hat er auch dem Geist verschiedenartige Triebe eingepflanzt, auf denen die Ordnung des Lebens beruht; so die Lust zur Erzeugung der Nachkommenschaft, so den Zorn, um die Vergehungen im Zaum zu halten. Jene aber, die die Grenzen zwischen dem Guten und Bösen nicht kennen, mißbrauchen den Geschlechtstrieb zur Verführung und Wollust, den Trieb des Zornes zur Schädigung des Nebenmenschen, indem ihnen der Zorn zur Kühlung des Hasses dient. Daher zürnen sie auch ohne Fehler und Schuld selbst solchen, die in gleicher oder auch in höherer Stellung sind. Als Folge ergeben sich dann unmenschliche Taten, zu denen man sich täglich fortreißen läßt, und Trauerspiele, wie sie oftmals aufgeführt werden. Es wäre also Archytas zu loben, wenn er im Zorn gegen einen Mitbürger oder Gleichgestellten, der ihm Unrecht getan, sich bezwungen und durch Geduld die ungestüme Wut beschwichtigt hätte. Ruhmvoll ist eine Selbstbeherrschung, die ein drohendes großes Unheil hintanhält; aber fehlerhaft ist es, wenn man die Ausschreitungen der Sklaven und Söhne nicht einschränkt; denn durch Ungestraftheit geraten sie auf schlimmere Dinge. Hier muß man den Zorn nicht zurückhalten, sondern sogar aufstacheln, wenn er sich nicht regen will. Was aber vom Menschen gilt, das gilt auch von Gott, der den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat. Ich rede nicht von der Gestalt Gottes; denn die Stoiker leugnen, daß Gott irgendwelche S. 115 Gestalt habe; und es würde ein neuer ungeheurer Stoff erwachsen, wenn ich sie widerlegen wollte. Ich spreche nur vom Geiste Gottes. Wenn Gedanke, Vernunft, Einsicht, wenn Fürsorge und Herrschaft zum Wesen Gottes gehört, und wenn der Mensch allein von allen irdischen Geschöpfen diese Vorzüge besitzt, so ist demnach der Mensch nach Gottes Ähnlichkeit geschaffen. Aber darum verfällt er dem Bösen, weil er wegen der Beimischung der irdischen Gebrechlichkeit die von Gott empfangene Gabe nicht rein und unversehrt bewahren kann, wenn er nicht vom nämlichen Gott in den Vorschriften der Gerechtigkeit unterwiesen wird.
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Pythagoreischer Philosoph, Staatsmann und Feldherr, blühend um 400-365 v. Chr. ↩
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A Treatise on the Anger of God
Chap. XVIII.--Of the Punishment of Faults, that It Cannot Take Place Without Anger.
What need is there, they say, of anger, since faults can be corrected without this affection? But there is no one who can calmly see any one committing an offence. This may perhaps be possible in him who presides over the laws, because the deed is not committed before his eyes, but it is brought before him as a doubtful matter from another quarter. Nor can any wickedness be so manifest, that there is no place for a defence; and therefore it is possible that a judge may not be moved against him who may possibly be found to be innocent; and when the detected crime shall have come to light, he now no longer uses his own opinion, but that of the laws. It may be granted that he does that which he does without anger; for he has that which he may follow. We, undoubtedly, when an offence is committed by our household at home, whether we see or perceive it, must be indignant; for the very sight of a sin is unbecoming. For he who is altogether unmoved either approves of faults, which is more disgraceful and unjust, or avoids the trouble of reproving them, which a tranquil spirit and a quiet mind despises and refuses, unless anger shall have aroused and incited it. But when any one is moved, and yet through unseasonable leniency grants pardon more frequently than is necessary, or at all times, he evidently both destroys the life of those whose audacity he is fostering for greater crimes, and furnishes himself with a perpetual source of annoyances. Therefore the restraining of one's anger in the case of sins is faulty.
Archytas of Tarentum is praised, who, when he had found everything ruined 1 on his estate, rebuking the fault of his bailiff, said, "Wretch, I would have beaten you to death if I had not been angry." They consider this to be a singular example of forbearance; but influenced by authority, they do not see how foolishly he spoke and acted. For if (as Plato says) no prudent man punishes because there is an offence, but to prevent the occurrence of an offence, it is evident how evil an example this wise man put forth. For if slaves shall perceive that their master uses violence when he is not angry, and abstains from violence 2 when he is angry, it is evident that they will not commit slight offences, lest they should be beaten; but will commit the greatest offences, that they may arouse the anger of the perverse man, and escape with impunity. But I should praise him if, when he was enraged, he had given space to his anger, that the excitement of his mind might calm down through the interval of time, and his chastisement might be confined within moderate limits. Therefore, on account of the magnitude of the anger, punishment ought not to have been inflicted, but to have been delayed, lest it should inflict 3 upon the offender pain greater than is just, or occasion an outburst of fury in the punisher. But how, how is it equitable or wise, that any one should be punished on account of a slight offence, and should be unpunished on account of a very great one? But if he had learned the nature and causes of things, he never would have professed so unsuitable a forbearance, that a wicked slave should rejoice that his master has been angry with him. For as God has furnished the human body with many and various senses which are necessary for the use of life, so also He has assigned to the soul various affections by which the course of life might be regulated; and as He has given desire for the sake of producing offspring, so has He given anger for the sake of restraining faults.
But they who are ignorant of the ends of good and evil things, as they employ sensual desire for the purposes of corruption and pleasure, in the same manner make use of anger and passion for the inflicting of injury, while they are angry with those whom they regard with hatred. Therefore they are angry even with those who commit no offence, even with their equals, or even with their superiors. Hence they daily rush to monstrous 4 deeds; hence tragedies often arise. Therefore Archytas would be deserving of praise, if, when he had been enraged against any citizen or equal who injured him, he had curbed himself, and by forbearance mitigated the impetuosity of his fury. This self-restraint is glorious, by which any great evil which impends is restrained; but it is a fault not to check the faults of slaves and children; for through their escaping without punishment they will proceed to greater evil. In this case anger is not to be restrained; but even if it is in a state of inactivity, 5 it must be aroused. But that which we say respecting man, we also say respecting God, who made man like to Himself. I omit making mention of the figure of God, because the Stoics say that God has no form, and another great subject will arise if we should wish to refute them. I only speak respecting the soul. If it belongs 6 to God to reflect, to be wise, to understand, to foresee. to excel, and of all animals man alone has these qualities, it follows that he was made after the likeness of God; but on this account he goes on to vice, because, being mingled with frailty derived from earth, he is unable to preserve pure and uncontaminated that which he has received from God, unless he is imbued with the precepts of justice by the same God.