Erster Artikel. Die Ironie, vermittelst deren jemand Geringeres über sich sagt als wirklich in ihm sich findet, ist Sünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Keine Sünde kommt davon her, daß Gott stärkt und beisteht. Dies ist aber hier der Fall. Denn Prov. 30. heißt es: „Das Gesicht, welches erzählt hat der Mann, mit dem Gott ist und der, gestärkt von Gott, gesagt hat: Ich bin der thörichtste aller Menschen.“ Und Amos 7. heißt es: „Es antwortete Amos: Ich bin kein Prophet.“ II. Gregor schreibt an Augustin, den Bischof von Canterbury (op. 31.): Sache gutgearteter Menschen ist es, ihre Schuld da anzuerkennen, wo keine ist.“ Alle Sünde aber widerstreitet einem gutgearteten Geiste. Also die Ironie, wo man zu geringfügig von sich spricht, ist keine Sünde. III. Den Hochmut fliehen ist keine Sünde. „Einzelne aber sagen zu wenig über sich selbst, damit sie das Prahlen von vornherein vermeiden (4 Etehic. 7.) Also ist die Ironie keine Sünde. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (de verb. apostoli 29.): „Wenn du der Demut zufolge lügst, wirst du Sünder durch die Lüge, wenn du es früher nicht warst.“
b) Ich antworte, daß jemand zu geringschätzig von sich spricht, könne in zweifacher Weise geschehen: 1. so, daß man bei der Wahrheit bleibt, indem man größere Vorzüge, die man thatsächlich hat, verschweigt, und Geringeres mitteilt, was man ebenfalls als in sich selbst thatsächlich vorhanden anerkennt; und das ist nicht die Sünde der Ironie, es müßten denn besondere Umstände die Sachlage ändern; — 2. so, daß man der Wahrheit abweicht und von sich selbst z. B. etwas Verächtliches aussagt, was man nicht als wirklich im Innern vorhanden anerkennt, oder wenn man von sich einen großen Vorzug ableugnet, den man trotzdem als im Innern vorhanden anerkennen muß; und danach ist die Ironie Sünde.
c) I. In doppelter Weise spricht man von Weisheit und Thorheit. Denn es giebt eine Weisheit gemäß dem Göttlichen, welche von der weltlichen oder menschlichen Thorheit begleitet ist, wie 1. Kor. 3. es heißt: „Wer unter euch da glaubt, weise zu sein in dieser Welt, der werde Thor, damit er weise sei.“ Und dann giebt es eine weltliche Weisheit, welche „Thorheit ist bei Gott.“ Jener also, der von Gott gestärkt wird, bekennt sich als den größten Thor nach der Meinung der Menschen, weil er nämlich all jenes Menschliche verachtet, was menschliche Weisheit erstrebt. Deshalb folgt da gleich: „Und die Weisheit der Menschen ist nicht in mir… und ich lernte kennen die Wissenschaft der Heiligen.“ Oder kann „menschliche Weisheit“ jene nennen, die kraft der Arbeit der Vernunft gewonnen wird; und „Weisheit der Heiligen“ jene, welche Gott unmittelbar einflößt. Amos nun leugnete, daß er infolge seiner Herkunft Prophet sei; denn er war nicht vom Geschlechte der Propheten; wonach er hinzufügt: „und nicht Sohn eines Propheten.“ II. Dem gutgearteten Geiste ist es eigen, nach der Vollkommenheit der Gerechtigkeit zu streben. Und deshalb rechnet er es sich als Schuld an; nicht nur wenn er von der Gerechtigkeit im allgemeinen abweicht, wahrhaft Schuld ist, sondern auch wenn er der vollkommenen Gerechtigkeit ermangelt, was nicht immer eine Schuld einschließt. Nicht aber nennt er Schuld, was er nicht als Schuld ansieht; dies wäre die Sünde der Ironie. III. Der Mensch muß nicht sündigen, damit er eine Sünde vermeide, er soll also nicht lügen, um den Hochmut zu vermeiden: „Nicht so muß man sich vor der Anmaßung in acht nehmen, daß die Wahrheit beiseite gelassen werde,“ sagt der heilige Augustin (tract. 43. in Joann.); und Gregor (26. moral. 3.): „Unvorsichtig sind die demütigen, die sich Lügen verwickeln.“