Dritter Artikel. Christus hat geziemenderweise ein armes Leben geführt,
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Christus mußte jene Lebensweise führen, welche am besten ausgewählt wird. Eine solche Lebensweise aber ist jene, welche zwischen Armut und Reichtum in der Mitte steht, nach Prov. 30.: „Bettelarmut und Reichtümer gieb mir nicht; verleihe mir nur das zum Leben Notwendige.“ II. Der äußere Besitz dient zum täglichen Unterhalte in Nahrung und Kleidung. Christus aber wollte sich der gewöhnlichen Lebensweise der Menschen anbequemen. Also mußte Er auch im äußerlichen Besitze die rechte Mitte einhalten. III. Der Herr ermahnte zumal zur Demut, nach Matth. 11.: „Lernet von mir, wie ich sanftmütig bin und demütig von Herzen.“ Die Demut wird aber zumeist bei den reichen empfohlen, weshalb 1. Tim. ult. es heißt: „Den reichen dieser Welt schreibe vor, sie sollen nicht hochmütig sein.“ Also mußte Christus, um das nötige Beispiel zu geben, kein armes Leben führen. Auf der anderen Seite heißt es Matth. 8.: „Der Menschensohn hat nicht, wohin Er das Haupt lege;“ als ob Er sagen wollte (Hieronymus zu Matth. 8.): „Warum folgt ihr mir, die ihr den Reichtum der Welt liebt, da ihr seht, wie ich in so großer Armut bin, daß ich selbst keine eigene Wohnung habe und kein Dach als das meinige bezeichnen kann?“
b) Ich antworte; Christo geziemte es, ein armes Leben zu führen. Denn 1. sollen jene, die Gottes Wort predigen, frei sein von aller Sorge, die zeitlicher Besitz giebt; Christus aber sollte die göttliche Wahrheit predigen, nach Mark. 1.: „Gehen wir in die Dörfer und in die Städte, daß ich da predige; denn dazu bin ich gekommen.“ Deshalb sagt Er auch zu den Aposteln, als Er sie zum Predigen aussandte: „Wollet nicht besitzen weder Gold noch Silber;“ und die Apostel sprachen (Act. 6.): „Wir dürfen nicht verlassen das Wort Gottes, um an den Tischen bei den Mahlzeiten zu dienen.“ 2. Wie der Herr den körperlichen Tod erwählt hat, damit Er uns belebe, so hat „Er die Armut erwählt, damit Er uns reich mache,“ nach 2. Kor. 8.; 3. damit nicht, wenn Er Reichtum hätte, seine Predigt der Begierde danach zugeschrieben werde. Darum schreibt Hieronymus (zu Matth. c. 10.): „Wären seine Schüler reich gewesen, so würde es geschienen haben, nicht um des Heiles der Menschen willen, sondern Gewinnes halber predige Er.“ 4. Um so klarer erschien der Glanz der Gottheit in Ihm, je ärmer und verächtlicher sein Äußeres war. Deshalb heißt es im Konzil von Ephesus (part. 3. c. 9.): „Alles, was arm und verächtlich, mittelmäßig und dunkel ist, erwählte der Herr, damit erscheine, wie seine Gottheit den Erdkreis geändert habe. Deshalb erwählte Er Sich eine arme Mutter, ein ärmliches Vaterland, Er war bedürftig nach Geld; das kündet dir an die Krippe.“
c) I. Die Bettelarmut ist Gelegenheit zu Diebstahl, zu Lug und Trug; der Reichtum giebt Anlaß zu Hochmut. Wer also nach der Tugend leben will, der fleht, daß ihm diese Gelegenheiten zum Bösen erspart bleiben mögen. Christus aber hatte die Gelegenheit zur Sünde nicht zu fürchten. Jedoch ist auch nur jene Armut Gelegenheit zu Diebstahl, die man gezwungen erträgt. Christi Armut aber war freiwillig. II. Des Unterhaltes halber hat auch Christus von den Frauen und reichen das Notwendige angenommen. Denn Luk. 8. heißt es: „Einige Frauen folgten Ihm, die von ihrem Besitze das Nötige zum Leben darboten.“ „Es war dies,“ nach Hieronymus (zu der Stelle c. 27.) „Brauch bei den Juden und überhaupt im Altertum, daß die Frauen von ihrem Besitze ihren Lehrern das zum Leben Erforderte darreichten. Weil aber dies bei manchen zum Ärgernisse gereichen konnte, so erwähnt Paulus, daß er sich dem entzogen habe.“ So hatte also der Herr volle Freiheit im Predigen ohne Sorge für den nötigen Lebensunterhalt, trotzdem Er keinen äußeren Besitz sein eigen nannte. III. Wer gezwungen arm ist, in dem hat die entsprechende Demut nicht viel Wert. Wer aber freiwillig arm ist (wie dies Christus war), bei dem ist die Armut ein hohes Zeichen der inneren Demut.