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S. 41 Die Schwierigkeit einer genauen Chronologie der Daten in Ephraem's Leben liegt in der Menge abweichender Nachrichten, die man nicht nur über die unwichtigeren Momente in dem Leben dieses grossen Mannes, sondern sogar über seine Taufe und seinen Tod hat. Es ist unglaublich, mit welcher Ungenauigkeit in chronologischer Hinsicht, man könnte bisweilen sagen, mit welcher Unwissenheit und mit welchem Leichtsinn besondere die Ephraem's Zeit ferner liegenden Autoren biographische Notizen über denselben anführen. Der Verfasser der vorliegenden längeren syrischen Biographie ist am wenigsten frei von diesen Fehlern. Sagen wir zu seiner Entschuldigung, er habe nur die Begebenheiten aus dem Leben Ephraem's, wie sie ihm bekannt waren, ohne Rücksicht auf eine genetische Entwickelung,1 ohne Rücksicht auf ihr Verhältniss zum grossen Ganzen der allgemeinen Geschichte, sei es der politischen, sei es der Kirchengeschichte, darstellen wollen, so bleibt es dennoch unerklärlich, wenn er an Stellen, wo er nun einmal die Geschichte berührt, geradezu eine chronologische Verwirrung anrichtet; Ungenauigkeit, wenn nicht Unwissenheit, ist der einzig denkbare Grund davon. So nennt er den Zeitraum von dem Concil zu Nicaea bis zu dem Tode Constantin's d. Gr. eine kurze Zeit, indem er nach der Erwähnung des Concils fortfährt: „Nicht lange darauf starb der Kaiser Constantin.“ Er wendet hier eine S. 42 Formel der syrischen Erzählungsweise an, die man nur bei der Darstellung nahe aufeinander folgender Facten zur Verbindung gebraucht. Nennt er nun einen Zeitraum von 325—337, also einen Zeitraum von 12 Jahren, eine kurze Zeit, so begeht er, besonders bei einer Darstellung eines Menschenlebens, einen bedeutenden Fehler der Ungenauigkeit. Aber noch mehr müssen wir staunen, wenn der Autor am Schlusse der Biographie bei der Schilderung der Bestattung Ephraem's die Theilnahme einer Mönchssecte meldet, deren Entstehung mindestens 50 Jahre später fällt (s. die betreffende Anmerk. in der Uebers.), der Styliten (Estunore).2
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Dies beweist z. B. die plötzliche Einschaltung der Episode von der Erscheinung, die dem Ephraem geworden, wie er noch als Säugling im Schoosse seiner Mutter lag. ↩
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Wir verzeihen indess dem Biographen diesen groben chronologischen Fehler gern; er giebt uns dadurch wenigstens eine ungefähre Zeitbestimmung über die Abfassung seiner Lebensbeschreibung. Die Weise, wie er sich des Namens Styliten bedient, wie er mehr einen allgemeinen Charakterzug, als eine bestimmte Secte bezeichnen will, lässt uns überhaupt auf den Gebrauch dieses Namens in seiner Zeit schliessen, in der allgemeinen Bedeutung nämlich einer streng ascetischen Secte. Ein solcher gleichsam übertragener Gebrauch konnte aber nur stattfinden bei einer gewissen Blüthe und Verbreitung der Secte der Styliten, wie sie nach Ueberlieferungen wohl zu Anfang und in der Mitte des 6. Jahrhunderts hatte sein können. Wir dürfen daher, wenn auch nicht mit voller Sicherheit, die Abfassung der Lebensbeschreibung in diese Zeit setzen. Vielleicht ist wohl gar Cosmas, der um diese Zeit eine Biographie des Simeon Stylites, des Gründers der Stylitensecte, verfasste, dem also der Name und Begriff der Styliten besonders geläufig war, auch der Biograph Ephraem's. Dass Cosmas sich mit Ephraem's Werken beschäftigt hat und gerade in dieser Zeit, dass er sogar die Recension oder Sammlung z. B. der Hymnen Ephraem's gegen die Secten (madrosche d'lukbal julphone chamschin veschtho, eigentl. „56 Hymnen, welche gegen die falschen Lehren sind„), ferner der Hymnen über die Kirche , über die Jungfräulichkeit der Maria, über den Glauben, über das Paradies besorgt hat, wissen wir zuverlässig. Der Codex Nitriensis VII nämlich, welcher diese Hymnen enthält, hat folgende Aufschrift (fol. 291): „Folgende Bücher von Hymnen unser hei[li]gen Ephraem sind in diesem Bande enthalten: Ueber die Kirche, über die Jungfräulichkeit, über den Glauben, gegen die falschen Lehren, über das Paradies . Ueber die Kirche sind 52 Hymnen, über die Jungfräulichkeit 51, über den Glauben 87, gegen die falschen Lehren 56 und über das Paradies 15. Alle zusammen betragen 261. Ruhm und Ehre dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste (vergl. damit dieselben Worte in der Lebensbeschreibung), der durch die Macht seiner Gnade und Hülfe unterstützt und gestärkt hat den armen und demüthigen Sünder Cosmas Vollendet aber ist dieses Buch worden im Jahre der Griechen 834 am 21. December,“ d. h. im J. 523 (nach den Jahren der Griechen rechneten alle Syrer, so z. B. Dionysius, Patriarch der Jacobiten, in seiner Chronik, ebenso rechnet die Edessener Chronik). Ausserdem berechtigt aber der ganze Typus der Biographie zu der Annahme, dass der Verfasser derselben der orthodoxen Richtung, also der Richtung Ephraem's angehört habe; auch dieser Behauptung entspricht Cosmas; denn er war orthodox. — Giebt uns das Angeführte auch keinen sichern Beleg für die Behauptung, dass Cosmas die Biographie Ephraem's verfasst, so ist damit wenigstens der Weg angedeutet, auf dem eine genauere Forschung über diesen Punkt möglich ist. Ein genaues Resultat ist nur durch eine Vergleichnng des Stiles beider Lebensbeschreibungen zu erreichen, die natürlich aber erst dann mit Erfolg angestellt werden kann, wenn uns die Biographie des Simeon Stylites als ein Ganzes vorliegt; die wenigen syrischen Worte, die Assemani bibl. or. Tom. I. in dem lat. Auszuge (p. 239-253) hier und da citirt, sind zu wenig ausreichend für einen solchen Zweck. Indessen können wir nicht leugnen, dass selbst aus dem geringen vorhandenen syrischen Text eine gewisse Aehnlichkeit mit der Biographie Ephraem's spricht, nicht nur in einzelnen Wendungen, sondern auch in gewissen Prädicaten, die dem h. Ephraem und dem Simeon Stylites beigelegt werden (so Athlito d'morjo „Athlet des Herrn“ etc.). ↩