5.
An der Hand des Syrers wollen wir uns denn auch den wesentlichen Inhalt der Apologie vor Augen führen, Ihre volle Adresse dürfte, auch nach Analogie zahlloser Urkunden, gelautet haben: Αὐτοκράτορι καίσαρι τίτῳ Αἰλίῳ Ἀδριανῷ ἀντωνείνῳ σεβαστῷ εὐσεβεῖ μαρκιανὸς ἀριστείδης φιλόσοφος Ἀθηναῖος 1. Das Ganze krönte vielleicht die Überschrift: ὑπὲρ θεοσεβείας d. i. „Über (für) die Gottesverehrung“ 2.
Durch Betrachtung des Weltalls und seiner Harmonie (I 1) gelangt der Philosoph zur Annahme eines übermächtigen Weltbewegers, Gottes, der freilich dem Menschengeist unerreichbar ist (2). Hat auch alles Spekulieren und Disputieren über das göttliche Wesen nur geringen praktischen Wert (3), so versucht er es dennoch, die Gottheit durch negative Attribute einigermaßen zu bestimmen (4-6). Der so gewonnene einzig richtige Gottesbegriff dient nun im Folgenden als Prüfstein der alten Religionen (II 1), derjenigen der Barbaren und Griechen, der Juden und Christen (2). Zunächst wird der Ursprung dieser vier „Gattungen“, S. 14 besonders eingehend natürlich der des Christentums, dargelegt (3-9).
Was dann die einzelnen Völker betrifft, so vergöttern die Barbaren (III 1) die Elemente und Geschöpfe und beten deren tote Abbilder an (2). Selbst ihre Weisen sind nicht einsichtsvoller (3). Was im besondern die Elemente (IV 1) anlangt, so ist die Erde (2) so wenig ein göttliches Wesen, wie das Wasser (V 1-2), das Feuer (3) oder der Lufthauch (4-5); sie alle sind nur Gottes Werk, wie auch Sonne 3 (VI 1-2), Mond und Sterne (3). Aber auch der hinfällige, wandelbare Mensch ist kein Gott (VIII 1-3). Die Barbaren besitzen also mit nichten die wahre Gottesidee (4).
Weit schimpflicherem Irrwahn sind indes die Griechen verfallen, die ihren Göttern und Heroen nur Allzumenschliches, ja Unmenschliches andichten (VIII 1-5) und dadurch das tiefste sittliche und materielle Elend 4 verschuldet haben (6; vgl. XI 7). In den drei folgenden Kapiteln ziehen dann die einzelnen Götter und Göttinnen 5 der Hellenen mit ihren argen Sünden und Schwächen an uns vorüber; so Kronos (IX 1-5), Zeus (6-9), Hephaistos (X 1-2), Hermes (3-4), Asklepios (5-6), Ares (7), Dionysos (8), Herakles (9), Apollon (XI 1), Artemis (2), Aphrodite (3), Adonis (4), Rhea (5), Kore (6).
Anstatt auf diese Verhöhnung des vulgären Götterglaubens unmittelbar die Bekämpfung des griechischen Götterkults folgen zu lassen, leistet sich Aristides einen polemischen Exkurs über die Ägypter , nach altgriechischer Anschauung die weisesten 6, nach unserm S. 15 Apologeten die dümmsten unter allen Menschen (XII 2-5). Sein Urteil begründet er zunächst wieder durch ein mythologisches Stück, die allbekannte Sage von Isis und Osiris 7, deren Mysterien damals überall gefeiert wurden (XII 2-5). Ihren beispiellosen Unverstand bekunden aber die Ägypter hauptsächlich durch ihre Tier- (und Pflanzen-) Verehrung (6-8) 8, woran selbst die hellenischen Bewunderer des Nilvolkes niemals Geschmack fanden.
Bei all dieser Verirrung beten aber die Ägypter doch wenigstens beseelte Wesen an (vgl. XII 6), während die einzig weisen, hochgebildeten Griechen , hierin nicht besser als die Barbaren, leblosen Götterbildern ihre Verehrung zollen (XIII 1-2). Sogar die griechischen „Dichter und Philosophen“ 9 teilen diesen Wahnglauben (3) und billigen die Götzenopfer und -tempel (4). Dieselben stellen ferner (als Monisten) den unhaltbaren Satz von der Einheitlichkeit aller Götter auf (5-6). Ein schreiender Widerspruch besteht endlich zwischen den Gesetzen der Griechen und den Handlungen ihrer Götter (8). Kurz, die griechische Religion ist gerichtet, mag man mit dem gemeinen Volke an den dichterischen Mythen festhalten oder diese mit den Philosophen allegorisieren (9).
Dagegen besitzen die Juden (XIV 1) nicht nur die wahre Gottesidee (2), sondern handeln auch menschenfreundlich (3); nur ihre Religionsübungen sind verwerflich (4) 10. S. 16
Die Christen endlich sind allein im Vollbesitze der Wahrheit (XV 1). Nicht nur daß sie die richtige Gottesvorstellung haben (2), sie halten auch Gottes und Christi Gebote gewissenhaft (3-5; vgl. 9). Besonders rühmenswert ist ihre Sittenstrenge und allseitige Bruderliebe bis in Tod und Grab (6-9). Sie sind Gott für alles dankbar (10-11); ihretwegen allein spendet Gott der Welt noch Wohltaten (XVI 1; vgl. 6). Sie erwarten nur jenseitigen Lohn (2). Diese kurzen Darlegungen wird der Kaiser in den christlichen Schriften vollauf bestätigt finden (3-5; vgl. XVII 1). Ja die Christen sind ein ganz neues, göttliches Geschlecht (XVI 4; vgl. XVI 15), während alle anderen Menschen heillos verblendet sind (6). Trotzdem wälzen die schamlosen Griechen ihre eigenen Laster auf die Christen ab (XVI 12); diese aber, weit entfernt sich zu rächen, wünschen und erflehen die Bekehrung und das Heil ihrer Feinde (3-4). Darum sollen die Verleumder endlich einmal der Wahrheit die Ehre geben (6) und die lichtvolle, göttliche Christenlehre annehmen, um dem nahenden Weltgericht zu entgehen (7-8).
Das ist so ungefähr der Gedankengang der Aristides-Apologie, der allerdings in den drei letzten Kapiteln weniger Ordnung aufweist. Trotzdem gehören gerade diese (mit II 6-8) zu den wertvollsten Partien der ganzen Schutzschrift. Um so bedauerlicher ist, daß der Verfasser von „Barlaam und Joasaph“ uns von dieser lebenswahren und lebenswarmen Schilderung urchristlichen Wandels nur dürftige Trümmer bewahrt hat. Spricht doch Aristides gerade hier aus seines Herzens Fülle, unbekümmert um strenge Disposition, während er in seiner umständlichen, oft schablonenhaften Polemik gegen die Heidengötter den (modernen) Leser geradezu ermüdet und ihm höchstens ab und zu ein Lächeln abzwingt. In diesen Schlußkapiteln führt dem Apologeten eben auch religiöse Erfahrung die Feder, während er anderswo zumeist nur Erlerntes wiedergibt. Letzteres gilt, wenigstens hinsichtlich der philosophisch-theologischen Wendungen, auch von K. I, trotz der persönlichen S. 17 Note, die es durchzieht. Auf Originalität kann, und will auch offenbar, Aristides keinen Anspruch erheben: Liefert ihm schon die Popularphilosophie das passendste Gewand für seine theologischen Ideen, so bieten ihm die Epikureer und Skeptiker die schärfsten Waffen zur Bekämpfung des volkstümlichen Götterglaubens und -kultes.
Anders A. Hilgenfeld: Zeitschr. f. wissensch. Theol. XXXVI 1 (1893), S. 104 f. und auf Nestles Autorität hin Geffcken, a. a. O., S. 29f. ↩
Vgl. Harris, l. c., p. 52. ↩
Die im Morgen- und Abendlande verbreitete Verehrung des persischen Sonnengotts Mithra wird von Aristides nicht einmal angedeutet; vgl. dagegen Justin, Apol. I 66. Dial. 70. ↩
Vgl. schon Cicero, De nat. deor, II 16, 42. ↩
Es fehlt eigentlich nur Poseiden und, auffallenderweise, Athena; diese wird erwähnt von Justin, Apol. I 64, 5. ↩
Nach Herodot (II 37) auch die frömmsten. Im Unterschied von Aristides zieht der Alexandriner Klemens (Protr. 2) seine tieranbetenden Landsleute den Verehrern, der „ehebrecherischen und geilen“ Olympier entschieden vor. Übrigens seien auch schon da und dort in Griechenland Tiere verehrt worden. ↩
Im großen und ganzen nach Plutarch, De Iside et Osiride 12-19. 59. Darüber vgl. jetzt vorzüglich Fr. Zimmermann, Die ägypt. Religion nach der Darstellung der Kirchenschriftsteller und die ägyptischen Denkmäler (Paderborn 1912), S. 19 ff. ↩
S. darüber Zimmermann, a, a, 0., S.87ff., bezw.77ff. ↩
Eine stereotype Verbindung; vgl. Athenag. Bittschr. 5. 7. 24. Theophil. 1, 14. 2, 38, Tertull., Apol. 47. Hier handelt es sich natürlich in erster Linie um die Philosophen. namentlich die pantheistischen Stoiker, die (wenigstens teilweise) nicht nur den Bilderkult rechtfertigen wollten, sondern auch Homers und Hesiods Göttersagen allegorisch umdeuteten. ↩
Umgekehrt machen die zeitgenössischen Juden den Christen, neben der Anbetung eines „gekreuzigten Menschen“, gerade die Nichtbeobachtung des Zeremonialgesetzes zum schwersten Vorwurf; vgl. Justin, Dial. 8. 10. 18. ↩
