94.
1. Aber ich will diese Begründung nicht verwenden, sondern behaupte nur, daß Lob oder Tadel oder etwas, das Lob und Tadel gleicht, die allernotwendigsten Heilmittel für die Menschen sind. Schwer zu Heilende werden wie das Eisen mit Feuer und Hammer und Amboß, das heißt mit Drohung, Zurechtweisung und Strafe, bearbeitet; die anderen aber, die dem Glauben selbst ergeben sind, werden als solche, die von sich selbst aus und infolge freien Entschlusses etwas gelernt haben, durch das Lob gehoben und gefördert. „Denn wenn die Tugend gelobt wird, gedeiht sie wie ein S. 288 Baum.“ 1 Und Pythagoras von Samos hat, wie mir scheint, dies eingesehen und gibt deshalb die Ermahnung: „Tadel ertrage nach schändlicher Tat, nach guter sei fröhlich!“ 2
2. Das Tadeln wird aber auch Ermahnen genannt; und dies Wort, nämlich νουθέτησις, bedeutet seiner Ableitung nach νοῦ ἐνθεματισμός (Einsetzung von Verstand); die tadelnde Erziehungsweise ist also geeignet, Verstand zu verschaffen. Nun sind aber noch unzählige andere Mittel ersonnen worden, um zum Ergreifen des Guten und zum Vermeiden des Bösen zu veranlassen. „Denn für die Gottlosen gibt es keinen Frieden, sagt der Herr.“ 3
3. Deshalb ermahnt er durch Salomo die Unmündigen, sich zu hüten: „Mein Sohn, laß dich von den Sündern nicht verführen und gehe keine Wege mit ihnen und gehe nicht, wenn sie dich auffordern und sagen: Komm mit uns, sei unser Genosse bei dem Morde des Unschuldigen; wir wollen einen gerechten Mann ohne Grund in die Erde bergen; wir wollen ihn vertilgen, wie der Hades einen Lebenden verschlingt!“ 4
Vgl. Bergk PLG 4. Aufl. III p. 743; Pind. Nem. VIII 40. Blaß, Hermes 36 (1901) S. 285 vermutet, daß ein Vers des Bakchylides vorliege. ↩
Pythagoras, Carm. aur. 44. ↩
Is. 48, 22; 57, 21. ↩
Sprichw. 1, 10; 15a. 10–12. Zu dem zweiten μηδὲ πορευθῇς das man streichen oder in das in 1, 10 stehende μηδὲ βουλευθῇς verändern wollte, vgl. Stählin, Clem. und die Sept. S. 27. ↩
