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Celsus ist nun der Meinung, man könne entweder „durch die Zusammenstellung mit anderen Dingen“, entsprechend der bei den Geometern sogenannten Synthese, oder „durch Unterscheidung von anderen Dingen“1 oder auch „durch Vergleich“, entsprechend der Analogie bei jenen, Gott erkennen, indem man so wenigstens zu den Vorhallen des Guten zu gelangen imstande wäre. Aber wenn das Wort Gottes sagt: „Niemand erkennt den Vater außer der Sohn, und wem es der Sohn offenbart“2 , so erklärt er damit, dass Gott erkannt werde mit Hilfe einer bestimmten göttlichen Gnade, die von oben her und verbunden mit einer gewissen Verzückung in die Seele eindringt. Denn die Erkenntnis Gottes übersteigt, wie dies natürlich ist, die Kraft der menschlichen Natur; und deshalb gibt es auch bei den Menschen so viele unrichtige Vorstellungen von Gott. Nur durch „die Güte und Menschenfreundlichkeit“3 Gottes und durch die wunderbare4 einer göttlichen Gnade dringt die Erkenntnis Gottes zu denen, die durch Gottes Allwissenheit im voraus dafür gewonnen sind, dass sie würdig dessen leben würden, der sich ihnen zu S. 698 erkennen gegeben hat, und dass sie auf keine Weise die ihm gebührende Verehrung verletzen würden, auch dann nicht, wenn sie von Leuten, die die5 Gottesfurcht nicht kennen und alles mögliche eher für Frömmigkeit ausgeben als das, was die Frömmigkeit wirklich ist, zum Tode weggeführt oder als ganz verächtliche Menschen angesehen werden sollten. Gott aber, glaub' ich, sah die Prahlerei oder die Überhebung derjenigen, die auf ihre eigene Gotteserkenntnis und Ergründing der göttlichen Dinge, die sie der Philosophie verdanken, stolz sind, aber ganz ähnlich wie die ungebildetsten Leute zu den Götterbildern und ihren Tempeln und den Mysterien, die in aller Munde sind, fortstürzen. Deshalb „wählte er, was vor der Welt töricht ist, aus“, nämlich die einfachsten unter den Christen, die aber ein sittsameres und reineres Leben als viele Philosophen führen, „um die Weisen zu beschämen“6 , die sich nicht scheuen, mit leblosen Dingen wie mit Göttern oder Abbildern von Göttern zu verkehren. Denn welcher vernünftige Mensch wird nicht den verlachen, der als Philosoph so viele erhabene Gedanken über Gott oder Götter vorgetragen hat und dann zu den Götterbildern hinblickt und entweder an sie sein Gebet richtet, oder es vermittelst des Anschauens dieser Bilder zu dem geistig verstandenen Gott emporträgt, zu dem er, wie er sich vorstellt, von dem sichtbaren Bilde aus, das ein Sinnbild sei, emporsteigen müsse. Ein Christ aber, und auch der ungelehrte Christ, ist überzeugt, dass jeder Ort der Welt ein Teil des Weltganzen, und dass die ganze Welt Gottes Tempel ist.
Er „betet an jedem Ort“7 , und erhebt sich8 über die ganze Welt, indem er die Augen des Leibes schließt, die der Seele dagegen auftut. Er bleibt auch nicht bei dem Gewölbe des Himmels stehen, sondern erhebt sich mit seinem Denken unter der Führung des Geistes Gottes zu dem überhimmlischen Ort, und indem er so gleichsam außerhalb der Welt steht, S. 699 bringt er seine Gebete Gott dar. Aber nicht um gewöhnliche Dinge bittet er, denn er hat von Jesus gelernt, nichts Kleines, d.h. sinnlich Wahrnehmbares zu erstreben, sondern allein das Große und wahrhaft Göttliche, soviel uns von Gott gewährt wird und förderlich ist, um zu der Seligkeit zu kommen, die uns bei ihm durch seinen Sohn, das Wort Gottes, bereitet ist.
