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Hierauf sagt der Jude bei Celsus: "Ich könnte über die Vorgänge bei Jesus viel Wahres sagen, das den Aufzeichnungen der Jünger Jesu nicht entspricht; ich lasse es aber absichtlich beiseite." Was ist denn nun also "das Wahre" und den evangelischen Aufzeichnungen Widersprechende, das der Jude bei Celsus "beiseite lassen will"? Sollte er sich da nicht einer rednerischen Wendung bedienen, um glauben zu machen, als wüßte er noch etwas zu sagen, was als Wahrheit gelten und als offenbare Anklage gegen Jesus und seine Lehre auf die Hörer Eindruck machen könnte, S. 123 während er in der Tat nichts anderes vorzubringen weiß, als was er dem Evangelium entnommen hat?
Celsus macht "den Jüngern" den Vorwurf, "sie hätten erdichtet, dass Jesus alles, was mit ihm geschah, vorhergewußt und vorhergesagt habe". Doch mag es auch Celsus nicht zugeben wollen, wir werden die Wahrheit dieser Berichte aus vielen anderen Weissagungen des Erlösers dartun, in denen er den Christen Dinge ankündigte, die erst in den späteren Menschenaltern über sie kamen. Wer dürfte wohl nicht eine Weissagung, wie diese, bewundern: "Vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, zum Zeugnis für sie und die Völker"1, und wenn er sonst einen Ausspruch darüber getan hat, dass seine Jünger verfolgt werden würden. Gibt es denn sonst eine Lehre in der Welt, deren Anhänger bestraft werden, so dass einer der Ankläger Jesu sagen könnte, dieser habe die Angriffe auf seine gottlosen und falschen Lehren vorausgesehen und nun geglaubt, es werde ihm Ehre bringen, wenn er diese Dinge scheinbar voraussage? Sollten wirklich einige wegen ihrer Lehren "vor Statthalter und Könige geführt werden", wen anders hätte dies treffen müssen als die Epikureer, die eine Vorsehung ganz und gar leugnen, aber auch die Peripatetiker, welche die Gebete und die der Gottheit dargebrachten Opfer für unnütz erklären?
Aber man wird vielleicht die Bemerkung machen, dass auch die Samariter wegen ihrer Gottesverehrung Verfolgung zu erleiden haben. Wir antworten: Die Sikarier werden wegen der Beschneidung zum Tode verurteilt, weil sie durch ihre Selbstverstümmelung2 die bestehenden Gesetze übertreten, welche die Beschneidung nur den Juden gestatten.3 Man wird von keinem Richter hören, der sich (beim Verhör) danach erkundigt, ob der Sikarier, der sich nach dieser für richtig gehaltenen Gottesverehrung zu leben bemüht, seinen Sinn S. 124 ändern und freigesprochen werden, oder dabei verharren und zur Hinrichtung weggeführt werden wolle. Denn zum Vollzug der Strafe genügt der einfache Nachweis, dass die Beschneidung an ihm vorgenommen worden ist. Nur die Christen werden gemäß jener Weissagung des Erlösers, in der er sagt: "Vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen"4, bis zum letzten Atemzuge von den Richtern aufgefordert, das Christentum abzuschwören, die herkömmlichen Opfer darzubringen und den üblichen Eid zu leisten, um sodann nach Hause gehen und ein ungefährdetes Leben führen zu können.
Man beachte aber die gewaltige Machtvollkommenheit, die in diesen Worten Jesu zum Ausdruck kommt: "Wer immer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater in den Himmeln, und wer immer mich verleugnet vor den Menschen" usw.5 Versetze dich mit mir im Geist in jene Zeit zurück, wo Jesus diese Worte sprach, und denke dir, diese Weissagungen seien noch nicht erfüllt! Du kannst ihm nun den Glauben versagen und meinen, was er rede, seien unbegründete Märchen, denn was er verkünde, werde nicht eintreffen. Tust du das nicht, bist du vielmehr im Zweifel, ob du seinen Worten Glauben schenken sollst, so wirst du bei dir sagen: Erfüllen sich die Weissagungen und besteht die in den Worten Jesu enthaltene Lehre zurecht, suchen also "die Statthalter und Könige" die zu töten,"welche Jesus bekennen", dann wollen wir glauben, dass er von Gott eine große Macht empfangen habe, um diese Lehre unter dem Menschengeschlecht auszubreiten, und dass er so spricht in der Überzeugung, dass diese alle Hindernisse überwinden werde. Wer wird nicht von Staunen ergriffen werden, wenn er sich im Geist in jene Zeit zurückversetzt, wo Jesus lehrte und die Worte sprach: "Es wird dieses Evangelium in der ganzen Welt gepredigt werden zum Zeugnis für sie und die Völker"6, S. 125 und wenn er sieht, wie das Evangelium, Jesu Christi nach seinen Worten überall unter der Sonne "Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Unverständigen"7 verkündet wird? Denn die ganze Menschenwelt ist von der mit Macht verkündeten Lehre beherrscht, und es läßt sich kein Stand unter den Menschen finden, der sich der Annahme der Lehre Jesu hätte entziehen können.
Und wenn der Jude bei Celsus nicht glauben will, dass Jesus "alles, was mit ihm geschah, vorhergewußt habe", so möge er bedenken, wie Jesus der Stadt Jerusalem das Schicksal, das die Römer ihr bereiten würden, zu einer Zeit "vorhersagte" , wo sie noch stand und der ganze jüdische Gottesdienst innerhalb ihrer Mauern gefeiert wurde. Man wird nicht behaupten wollen, dass die Jünger und Hörer Jesu die Lehre der Evangelien ohne schriftliche Aufzeichnung überliefert und ihre Schüler ohne schriftlich Erinnerungen an Jesus zurückgelassen hätten. Nun lesen wir in diesen Schriften die Worte: "Wenn ihr aber Jerusalem von Heerlagern umgeben seht, dann erkennet, dass dessen Verwüstung nahe ist"8. Es standen damals keineswegs Heere vor Jerusalem, die es umgeben, eingeschlossen und belagert hätten. Diese Belagerung begann noch unter dem Kaiser Nero und zog sich bis in die Regierung Vespasians hinein, dessen Sohn Titus Jerusalem zerstörte. Es geschah dies nach der Meinung des Josephus wegen des Jakobus, des Gerechten, des Bruders von Jesus, welcher Christus genannt wird9, wie aber die Wahrheit beweist, wegen Jesus, des Gesalbten Gottes.
